„Tja. Was hätte ich dann wohl gemacht?“ brummelte Eric.
„Gutes Fischfutter hättest du abgegeben.“
„He?“
„Vielleicht hätten sich Aale durch deine Leiche gefressen“, meinte Luke unbekümmert. „Hier in der Nähe mündet ein Fluß in die Bucht, und ich hab mir sagen lassen, die Aale wimmeln auch im Hafen von Westport ’rum und …“
„Hör auf“, sagte Eric. Seine Stirn furchte sich drohend. „Hör bloß auf, mir kommt’s gleich hoch.“
„Wieso bist du eigentlich in den Teich gefallen?“ erkundigte sich Luke. „Willst du das nicht endlich mal erzählen?“
„Wie, das hast du nicht mitgekriegt?“
„Nein, habe ich nicht.“
„Und die anderen?“
„Die auch nicht. Merkst du nicht, daß es immer noch regnet? Daß Nebelschleier über der Bucht und der Stadt hängen?“
Eric schaute sich um. „Richtig. Mann, ich mit meinem Kater habe das gar nicht bemerkt. Ist das eine Milchsuppe heute früh! Man kann weiter spucken als gucken …“
„Fein hast du das gesagt, und es reimt sich sogar“ erwiderte Luke Morgan.
Eric musterte sein Gegenüber argwöhnisch. „Willst du mich auf den Arm nehmen?“
„Nein, will ich nicht. Ich will wissen, wie dir das passiert ist. Bist du ausgerutscht?“
Eric überlegte. Die Angelegenheit war ihm peinlich, aber keiner schien gesehen zu haben, wie das Faß von der Kneipe ins Hafenbecken rollte. Also konnte er ruhig ein wenig flunkern.
„Das war so“, erklärte er. „Ich hatte mich zum Pennen in irgendeinen Keller verkrochen, aber dann wurde es hell. Ich wachte auf und kriegte einen Mordsschreck. Um bis zum Wecken rechtzeitig an Bord der ‚Vengeur‘ zu sein, lief ich los, geriet wohl zu nah ans Wasser und wurde von einer Bö vom Kai gerissen. Dann …“
„Dann hörten wir alle jemanden fluchen, und ich rannte los, um nachzusehen, was los ist“, sagte Luke.
„Sehr richtig“, ertönte eine Stimme hinter seinem Rücken. „Und wenn du noch lange ’rumstehst und mit Winlow herumpalaverst wie ein Waschweib, statt uns bei der Arbeit zu helfen, Morgan, du Rübenschwein, ziehe ich dir deine Hammelbeine lang und die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch, kapiert?“
„Aye, Sir“, sagte Luke.
Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer da hinter ihnen auf der Pier erschienen war, um nach dem Rechten zu sehen. Nur einer verfügte über eine so blumige Ausdrucksweise und einen so wunderbaren Wortschatz – Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“.
Obwohl Eric Winlow nicht zu seiner Crew gehörte, ließ Carberry auch ihn nicht ungeschoren.
„Winlow!“ brüllte er. Brüllen war bei ihm gleichbedeutend mit ganz normalem Sprechen. „Winlow, konntest du dir keinen besseren Augenblick aussuchen, um in die stinkende Brühe hier zu fallen? Bist du total besoffen?“
„Nicht mehr“, entgegnete der Glatzkopf.
Carberry blickte angestrengt durch die Dunstschleier ins Hafenwasser und sah das Heringsfaß auf den Wellen schaukeln. „Ausgerutscht und ’reingekippt, was, wie? Und was ist das da?“
„Was denn?“ fragte Luke scheinheilig.
„Das da – das ist ja ein Faß“, polterte der Profos.
„Was für ein Faß?“ erkundigte sich Eric, der seine ganze schöne Geschichte schon in die Brüche gehen sah.
Luke, der längst begriffen hatte, was das Faß mit Eric zu tun hatte, leistete dem Glatzkopf Schützenhilfe: „Also, es ist so verdammt neblig hier, ich kann einfach kein Faß erkennen.“
„Ich auch nicht“, fügte Jean Ribaults Koch sofort hinzu.
Carberry wandte sich ab. „Ihr könnt mir kreuzweise den Buckel ’runterrutschen“, sagte er. „Und jetzt folgt mir gefälligst, oder es gibt Ärger, und zwar mächtigen.“
Sie marschierten in Kiellinie hinter ihm her, und Eric grinste Luke zu. „Fast hätte ich’s vergessen“, meinte er. „Vielen Dank für die Hilfe.“
„Gern geschehen“, erwiderte Luke Morgan. „Aber warum hast du dir so fürchterlich einen hinter die Binde gegossen, daß du jetzt noch halb blau bist?“
„Ach, das liegt alles nur an den Weibern“, klagte Eric. Er war gerade richtig in Fahrt und erzählte Luke freimütig, was sich an dem Tisch der Kneipe, an dem er gesessen hatte, abgespielt hatte.
„Sieh mich doch mal an“, sagte Luke. „Was soll ich denn erst sagen? Mich läßt vorläufig auch die allerletzte Hafenhure abblitzen. Aber ich mache mir einfach nichts daraus.
Nein, schön sah er nicht aus, das hatte Eric ja schon vom Hafenbekken aus deutlich zum Ausdruck gebracht. Lukes Gesicht war von Brandnarben verwüstet, denn bei dem Angriff der Brander auf die spanischen Schiffe vor Calais hatte er eins der Höllenschiffe gesteuert und war am schwersten verletzt worden.
Eric dachte darüber nach und befand, daß das Leben eigentlich doch noch seine schönen Seiten hatte, besonders nach einem morgendlichen Bad in der Clew Bay. Fast heiter erreichte er mit Carberry und Luke Morgan die Pier, an der die „Isabella VIII.“ und die „Vengeur“ fest vertäut lagen, und verfolgte halb belustigt, halb überrascht, wie die Kameraden Fässer und Kisten an Bord der Schiffe mannten.
Fast schlafwandlerisch sicher bewegten sich die Männer über die Gangways auf die schwankende Galeone und Karacke, und ein sehr dikker, sehr unsympathischer Mensch stand etwas abseits und taxierte die harten Kerle mit seinem Blick.
Der Seewolf, Jean Ribault und Karl von Hutten hielten sich in der Nähe des dicken Kerls auf. Sie schienen ziemlich vergnügt über irgend etwas mit ihm zu reden.
„Was geht hier denn vor?“ sagte Eric Winlow. „Was sind das für Fässer und Kisten?“ Von Fässern hatte er genug, aber seine Neugier war doch geweckt, wenn der Anblick des Dicken ihm auch Unbehagen bereitete.
Carberry war stehengeblieben. Er drehte sich zu Eric um und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Noch mehr Fragen, Kombüsenhengst?“
„Ja. Wer ist der Fettwanst, und wieso glotzt er unsere Leute so dämlich an?“
Carberry tat einen Schritt, dann stand er ganz dicht vor Eric. Luke hatte sich unterdessen den anderen zugewandt und berichtete ihnen, daß er Eric aus dem Hafenbecken gezogen hätte, wobei er das Faß natürlich verschwieg. Die Seewölfe und die Männer der „Vengeur“ grinsten und blickten zu Carberry und Winlow, die sich wie feindselige Stiere gegenüberstanden.
Über ihren Köpfen flatterte Sir John, der karmesinrote Aracanga, im Sturmwind. Es war wirklich ein ergötzliches Bild.
Carberry blieb ganz ruhig. „Der Fettwanst ist Sir Richard Bingham, der sogenannte Stadtgouverneur in diesem elenden Nest. Hasard und Jean haben eine Flasche edlen irischen Whiskey mit ihm ausgesoffen, und dabei sind sie zum Schein auf einen miesen Kuhhandel eingegangen, den er ihnen vorgeschlagen hat. Dafür läßt der Hundesohn jetzt Proviant und Trinkwasser in rauhen Mengen springen, und außer dem Wasser auch noch ein paar andere Fässer, die ein Kombüsenhengst und Heringsbändiger wie du ganz besonders schätzen sollte.“
„Ach“, sagte Eric. Sonst fehlten ihm die Worte.
„Und jetzt schieb ab, Mister Winlow, und bereite deinen Männern ein ordentliches Frühstück, wie es sich für einen Kesselschwenker gehört. Ich weiß, ich habe dir eigentlich keine Befehle zu erteilen, Mister Winlow, aber ich rate dir trotzdem, so schnell wie möglich zum Dienst anzutreten, sonst rauht es im Schapp.“
Eric wußte, daß es gefährlich wurde, wenn Carberry jemand mit „Mister“ und mit seinem Nachnamen anredete, und er legte keinen Wert darauf, sich mit dem Profos der „Isabella“ zu streiten. Er hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen – wegen der Sache mit dem Heringsfaß und seinem viel zu spätem Aufkreuzen.
Schleunigst setzte er sich wieder in Marsch. Er nahm Roger Lutz, diesem Weiberheld, ein dickbäuchiges Faß ab, schleppte es mühelos über die Pier, balancierte es vom Laufsteg an Bord der „Vengeur“ und transportierte es in die Kombüse, von der es auch in die Vorratsräume der Zweimast-Karacke hinunterging.
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