Dan grinste. „Vergiß nicht, daß auch die berühmte Manila-Galeone bis vor kurzem mutterseelenallein gesegelt ist, Dad. Wer weiß, was für ein Schatzschiff wir da vor uns haben.“
„Ach, hör doch mit dem Quatsch auf“, fuhr der Alte ihn an. „Die ‚Nao de China‘ ist ganz was anderes. Ich sage euch, wir haben keinen Grund, uns mit dem Schiff dort näher zu befassen. Schätze hat der nicht an Bord.“
„Dan“, sagte der Seewolf. „Was mich besonders interessiert, sind die Beiboote. Hatte der Don nicht zwei abgefiert?“
„Ja, das hatte er. Eins kann ich unweit von seinem Heck sehen, aber das andere scheint spurlos verschwunden zu sein.“
„Nehmen wir mal an, es ist in südlicher Richtung gepullt worden, auf die Azoren zu“, sagte Hasard: „Dann könnte es sich doch bereits Backbord von uns befinden, oder?“
„Klar, wenn die Kerls wie die Teufel gepullt haben“, erklärte Old O’Flynn.
Dan hatte seinen Kieker nach links geschwenkt und spähte mit verkniffener Miene durch die Optik. Er bewegte das Rohr kaum merklich hin und her, hielt dann aber plötzlich inne und sagte: „Da ist tatsächlich was – eine Jolle. Die Burschen, die auf ihren Duchten sitzen, pullen, als gelte es, einen Preis zu gewinnen.“
Hasard trat neben ihn und hob ebenfalls sein Spektiv ans Auge. Er blickte in die gleiche Richtung wie Dan, sichtete das Boot der spanischen Galeone mit schätzungsweise sieben; acht Männern darin – und vernahm wie alle anderen Männer der „Isabella“ in diesem Moment einen Schrei.
„Mann“, sagte Old O’Flynn. „Die Dämonen der See sollen mich holen, wenn das nicht der Ruf einer Frau war.“
In der Jolle begannen die Spanier zu fluchen und zu gestikulieren. Hasard und Dan verfolgten ziemlich deutlich, wie nur noch einige von ihnen weiterpullten, während die anderen sich über das Dollbord der Backbordseite beugten.
„Eine Frau im Wasser“, stieß der Seewolf verblüfft und entsetzt zugleich aus. „Die Dons machen Jagd auf sie. Aus welchem Grund auch immer, wir dürfen ihr unsere Hilfe nicht versagen.“
„Dan“, sagte Old O’Flynn. „Zur Hölle, kannst du denn nicht sehen, wo sie schwimmt?“
„Nein.“
„Egal“, sagte der Seewolf. Er wandte sich ab und schritt nach achtern. An der Schmuckbalustrade, die zur Kuhl wies, hielt er.
„Ed“, sagte er. „Sofort abfallen und Kurs Süden nehmen.“
„Aye, Sir, Kurs Süden“, raunte der Profos. Jawohl, er raunte – ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten. Er drehte sich zur Crew hin um und zischte: „Schrickt weg die Schoten, ihr Affenärsche, bewegt euch, ihr lahmen Hunde, haltet ab, und zwar dalli, oder es gibt Dampf.“
„Wir fliegen ja schon“, wisperte Jeff Bowie grinsend.
Gemeinsam mit den anderen Männern der Deckswache eilte er zu den Brassen und Schoten. Als die Crew begann, die Stellung der Rahen zu verändern, ließ Rudergänger Pete Ballie das Ruderrad unter seinen schwieligen Fäusten wirbeln. Die „Isabella“ drehte nach Süden ab und legte sich vor den Wind und glitt – einem drohenden, gigantischen Schemenwesen gleich – auf das Beiboot des Spaniers.
Natürlich war auch der Rest der Crew, der eigentlich in den Kojen hätte liegen sollen, auf den Beinen. An diese Männer gab der Profos nun weiter, was Hasard ihm durch einen Wink zu verstehen gegeben hatte:
„Klar Schiff zum Gefecht! Kommt in Fahrt, ihr Kanalratten, willig, willig, hoch mit den Stückpforten und ’raus mit den Geschützen! Hölle, was seid ihr doch für eine Bande von Faulenzern!“ Er flüsterte immer noch, verspürte jetzt aber den unbändigen Drang, in der üblichen Lautstärke loszubrüllen.
Auf dem Achterdeck winkte Ben Brighton Pete Ballie zu, daß der gewünschte Kurs erreicht sei. Dann blickte er zu Ferris Tucker und raunte: „He, Ferris, klar bei Flaschenbomben!“
„Längst klar“, sagte der Rothaarige mit breitem Lächeln. Er wies auf die Batterie Flaschen, die er vorsichtshalber schon bereitgelegt hatte. Sie waren alle mit Pulver, Blei, Eisen und Glas gefüllt, und in einem Kupferbecken glühte die Holzkohle, mit der Ferris im Ernstfall die Lunten zünden würde.
Von der spanischen Galeone hallte jetzt ein gellender Schrei herüber. Dan und Hasard, die wieder das am weitesten nach Süden versetzt liegende Boot des Dreimasters durch die Kieker beobachteten, sahen deutlich, wie in der Jolle Unruhe entstand. Auch von dort wurde jetzt gerufen.
„Sie haben uns also entdeckt“, sagte der Seewolf. „Ich bin gespannt, wie sie darauf reagieren. Schön, ich bin bereit, mich mit ihnen zu schlagen, denn ich will jetzt wissen, was es mit der Frau oder dem Mädchen auf sich hat.“
Hinter seinem Rücken ertönte das Rumpeln, das beim Ausrennen der Culverinen durch das Rollen der Hartholzräder auf den Planken entstand. Die Männer arbeiteten hart, schnell und konzentriert, jeder Griff, hundertmal geübt, saß.
Auch Philip und Hasard, die Zwillinge, beteiligten sich auf die Order ihres Vaters hin an den Gefechtsvorbereitungen. Sie streuten Sand auf der Kuhl aus und nahmen vom Kutscher Kübel und Pützen mit Seewasser entgegen, die sie an jedem der sechzehn 17-Pfünder zum Befeuchten der Wischer und Schwämme bereitstellten.
Die „Isabella“ rauschte mit prallem Zeug genau auf die Jolle der Spanier zu.
„Wenn sie Ärger wollen, können Sie ihn haben“, sagte Hasard. „Ich an ihrer Stelle würde mich zwar schleunigst zurückziehen, aber falls sie unbedingt die Helden spielen wollen – bitte sehr, von mir aus kann es losgehen.“
Luis Benavente kauerte im Bug der Jolle. Er hatte bei der Suche nach Florinda auf Lampen verzichtet, um dem Mädchen nicht zu verraten, wo das Boot sich befand – und diese Methode hatte sich als richtig erwiesen. Mit bloßem Auge hatte der Waffenmeister der „Gran Duque de Almeria“ die Schwimmerin nach einigem Umherspähen in den Fluten entdeckt.
Er hatte die sieben Männer auf den Bootsduchten angefeuert, schneller zu pullen, und dann hatten sie es geschafft: Sie waren bei Florinda angelangt, ehe sie ihrer richtig gewahr wurde.
Benavente hatte versucht, ihr ein Tau über die Schultern zu werfen. Er hatte sein Ziel getroffen, aber Florinda war trotz ihres Schreckens geistesgegenwärtig genug gewesen, das Tau wieder abzustreifen.
Die Jolle war näher an sie herangeglitten. Benavente hatte die Hände nach ihr ausgestreckt, hatte ihre Haare gepackt und daran gezerrt. Florinda hatte jenen Schrei ausgestoßen, der bis zur „Gran Duque“ und zur „Isabella“ hin zu hören gewesen war.
Dann hatte Luis Benavente getrachtet, den Kopf des Mädchens unter Wasser zu drücken. Ja, er hatte sie wie eine Katze ersäufen wollen. Mit Leichtigkeit hätte er es später so hingestellt, daß es aussah, als habe sie erbitterten Widerstand geleistet und habe dabei den kürzeren gezogen.
Aber wieder hatte er sich verkalkuliert. Florinda hatte ihn in die Hand gebissen. Sie hatte sich losgerissen, war getaucht, von der Jolle weggeschwommen – und ehe der Waffenmeister an eine neue Verfolgung denken konnte, hatte einer der Rudergasten entsetzt ausgestoßen: „Luis, Luis – da ist was, das auf uns zusteuert!“
Fast im selben Moment hatte der Ausguck der „Gran Duque“ seinen gellenden Warnruf ausgestoßen.
Luis Benavente fuhr herum. Er mußte sich mit beiden Händen am Dollbord festhalten, um vor Schreck nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Nur schwach waren die Konturen des heranrauschenden Schiffes in der Finsternis dieser Nacht zu erkennen, und doch wirkten sie so wuchtig und drohend, daß dem durchtriebenen Waffenmeister das Herz wahrhaft in die Hosen sank. Ein Gespenst schien dieses große Schiff zu sein, ein Monstrum unter den Wolkentürmen, unwirklich und gleichzeitig doch so erschreckend real.
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