„Nicht lange nach Mitternacht.“
Carberry zuckte etwas zusammen. „Mann, jetzt ist es nach drei Uhr. Da sollen Matt, Sten und Sam noch drei Stunden weitergesoffen haben? Und Smoky und die anderen waren schon bis zum Süll voll, sagtest du?“
„Richtig, Ed.“
„Jetzt überleg mal, Jeff“, sagte Carberry. „Smoky kann eine ganze Menge hinter die Gurgel gießen, er ist da ziemlich standfest, so wie Matt. Aber Sten und Sam, die halten doch nicht drei Stunden länger durch als Smoky.“ Er schob das Rammkinn vor. „Da stimmt was nicht, Junge.“
Jeff Bowie zweifelte. „Vielleicht sind sie bei den Ladys geblieben. Könnte doch sein, oder?“
„Total voll? Das glaubst du doch selbst nicht. Waren Kerle von der ‚Revenge‘ in der ‚Bloody Mary‘?“
„Das mußt du Smoky fragen“, erwiderte Jeff Bowie.
Das tat Ed Carberry auch.
Smoky fuhr aus der Koje und lallte: „Und auf was trinken wir jetzt, Männer?“
„Auf gar nichts, du stinkendes Whiskyfaß“, knurrte der Profos. „Was hast du denn da auf dem Kopf, verdammt noch mal?“
„Haare“, sagte Smoky undeutlich.
„Quatsch!“ Carberry langte sich das Pudelfell. „Sind das deine Haare, du Idiot?“
„Weiß ich nicht“, erklärte Smoky und legte sich wieder lang.
Carberry feuerte die Perücke in eine Ecke und zerrte Smoky wieder hoch.
„Hör zu“, sagte er grollend. „Matt, Sten und Sam sind noch nicht zurück.“
Smoky stöhnte. „Schrei mich doch nicht so an, du Ochse. Was meinst du, wo mein Kopf ist? Was sagst du, wer ist zurück? Wo ist wer zurück?“
Jetzt stöhnte zur Abwechslung mal Carberry – vor Wut. Erstens roch die ganze Bude nach Schnaps, zweitens schielte Smoky und drittens war der noch völlig vernagelt.
Carberry purrte Bill aus dem Schlaf. Jetzt wurde er ziemlich rücksichtslos.
„Mister Carberry?“ fragte Bill gähnend.
„Hol ’ne Pütz Seewasser, Junge, hopp-hopp!“
Bill kriegte Telleraugen, sagte aber nichts, stieg in die Hose und sauste ab.
„Ein Mief ist das hier“, knurrte Edwin Carberry.
„Es lebe die Königin“, murmelte Smoky und streckte sich wieder.
Carberry grinste grimmig. „Warte, du Säufer, was du gleich leben wirst, erleben!“
Bill brachte die Pütz Seewasser. Carberry nahm sie in Empfang, holte Schwung und klatschte das Wasser Smoky ins Gesicht.
Der schoß aus der Koje und brüllte: „Wassereinbruch!“
Bill kicherte.
Die Schläfer ruckten hoch, von der Smoky-Landcrew allerdings nur Pete Ballie. Luke Morgan und Gary Andrews träumten weiter.
Carberry hatte bereits Smoky am Wickel und schüttelte ihn. Und jetzt brüllte er: „Von wegen Wassereinbruch, du Stint! Das war ’ne Pütz Seewasser, um dir den Suff aus dem Schädel zu treiben. Jetzt ist Schluß mit dem Gefasel. Matt, Sten und Sam sind noch nicht zurück. Habt ihr Krach beim dicken Plymson geschlagen? Habt ihr euch mit Kerlen von der ‚Revenge‘ herumgeprügelt? Heraus mit der Sprache!“
„Laß mich los, Ed Carberry!“ fauchte Smoky allmählich etwas wacher und holte aus, um einen Schwinger zu landen.
Carberry blockte ihn lässig ab und nagelte den stämmigen Decksältesten an ein Schapp, daß da drin das Backsgeschirr schepperte.
„Ich hab dich was gefragt, Mister Smoky, und ich will eine Antwort haben, sonst tunke ich dich solange in die Mill Bay, bis du aufhörst, mich anzuschielen.“
„Ja, doch“, knurrte Smoky, „Mann, brummt mir der Schädel! Was hast du mich gefragt? Ob wir Krach mit Plymson gehabt hätten? Nicht die Bohne. Das war ’ne richtige schöne Feier, ganz friedlich. Kerle von der ‚Revenge‘ waren nicht da, nur so’n paar Vögel von den anderen Schiffen. Was soll denn diese dämliche Fragerei?“
„Matt, Sten und Sam sind noch nicht zurück!“ brüllte ihn Carberry an. „Hast du das immer noch nicht begriffen?“
Smoky zog den Kopf etwas ein. „Noch nicht zurück? Versteh ich nicht. Die waren doch auch schon ziemlich voll. Wie spät ist es denn?“
„Halb vier, verdammt.“ Und damit sauste Carberry ab. Sie hörten ihn über die Gangway poltern.
Smoky kratzte sich hinter dem Ohr und murmelte: „Verdammt, verdammt, ich glaube, da ist was im Busch, Leute. Ich hab so ’ne dumpfe Ahnung.“
Bill bückte sich und hob verwundert die Perücke auf.
„Was ist das denn?“ fragte er stirnrunzelnd.
„Weiß ich auch nicht“, brummte Smoky geistesabwesend. „Zieht euch an, Männer. Ich schätze, wir werden Matt, Sten und Sam suchen müssen.“
Inzwischen hatte Carberry im Laufschritt die „Bloody Mary“ erreicht und brach in die Kneipe ein wie ein wildgewordener Bulle. Mit einem Rundblick erfaßte er die Situation. Hier gab’s nur schnarchende Schläfer, auf den Bänken, unter den Bänken, unter den Tischen.
Über ein paar Schnapsleichen stieg er zum Tresen vor, umrundete ihn, trank ein noch volles Whiskyglas aus, peilte zu dem dicken Plymson hinunter, der ohne Perücke genauso schlitzohrig aussah, und begann zunächst systematisch die Kellergewölbe abzusuchen.
Dazu gehörte, daß er ein paar der Schnapsleichen umdrehen mußte. Oder er mußte sie unter Bänken hervorzerren. Mollybaby, das schwarzhaarige Satansweib, fand er auch. Mit der hatte er schon verschiedene Male mächtig herumgeturtelt, alles was recht ist.
„Du Starker“, gurrte Mollybaby und umhalste den Profos.
„Jetzt nicht, Mollybaby, schlaf schön weiter“, sagte der Profos und löste sich aus Mollybabys Umschlingung.
Fluchend suchte er weiter. Mollybaby quengelte etwas, schlief dann aber wieder ein. Sie nach Matt, Sten und Sam zu fragen, hatte wohl keinen Zweck. Das hätte nur ein Handgemenge gegeben. Mollybaby war ein bißchen liebestoll, wie man so sagt.
Jedenfalls waren Matt Davies, Sam Roscill und Stenmark verschwunden, und dem Profos schwante mehr denn je Unheil.
In Plymsons Küche pumpte er Wasser hoch, füllte einen Krug und leerte ihn über dem Dicken aus. Beim vierten Krug lag Nathaniel Plymson in einer mächtigen Pfütze und wurde wach.
Als er über sich in Carberrys graue Augen blickte, fuhr er hoch, als habe ihn jemand gepiekt. Carberry langte zu und hievte ihn vollends hoch.
„Guten – guten Abend, Sir“, sagte Plymson unsicher und schielte auf die Faust unter seinen vielen Wabbelkinns. Diese Faust drehte langsam den Hemdausschnitt herum, so daß sich der Hemdkragen eng und enger um des Dicken Hals legte.
„Guten Morgen, Plymmy“, sagte Edwin Carberry so freundlich wie ein gereizter Wildeber. „Ich suche drei Arwenacks – Matt Davies, Stenmark und Sam Roscill. Du hast sie nicht zufällig gesehen, oder?“
Nathaniel Plymson bibberte. „Nein, Sir, die – die waren doch bei Mister Smoky, Sir, wenn ich mich richtig erinnere, Sir.“
Die eisenharte, mächtige Faust drehte den Hemdausschnitt erbarmungslos weiter um.
„Du hast die drei Arwenacks nicht zufällig an gewisse Schweinehunde verkauft, Plymmy?“ fragte Carberry und fletschte die Zähne.
„Niemals!“ schrie Nathaniel Plymson schrill. „Ich schwör’s beim Leben meiner Mutter, Gott hab sie selig!“
Carberry erklärte, was er von „Plymmys“ Mutter hielte und fragte beharrlich weiter.
„Die drei sind hier zuletzt gesehen worden, Plymmy“, sagte er. „Da haben sie friedlich einen gebechert …“
„Mehr als einen“, sagte Nathaniel Plymson erbittert, „und ich mußte einen nach dem anderen ausgeben.“
„Für Englands Seehelden, nicht wahr?“
„Jawohl.“
„Du hast es doch gern getan, oder?“
„Na-natürlich, Sir.“ Der Dicke ächzte. „Ich kriege keine Luft mehr, Sir.“
„Sollst du auch nicht, Plymmy. Ich frage dich noch einmal: Hast du ein schmutziges Spielchen mit den drei Arwenacks gespielt? Überleg dir die Antwort gut, Dickerchen. In deinem verdammten Loch hier sind schon zu viele brave Männer auf Nimmerwiedersehn verschwunden, nicht wahr? Wir wissen das. Wir wissen das sehr genau. Und du weißt, daß wir es wissen. Solltest du deine Wurstfinger im dreckigen Spiel haben, dann rettet dich jetzt nur die Wahrheit. Also?“
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