Das war mal ein feiner Vorschlag, vor allem das mit dem Rum. Blacky sang unanständige Lieder, als ihm Doc Freemont die beiden Splitter entfernte. Und dann wurde er wieder bewußtlos.
Doc Freemont konnte den Fuß exakt richten und schienen.
Als er von Bord ging, sagte er zu Hasard: „Es könnte sein, daß da noch Knochensplitter sind, die ich zunächst nicht festzustellen vermag. Wenn das der Fall ist, müßte sich der Fuß in zwei, drei Tagen entzünden – was ich nicht hoffe. Aber mindestens drei, vier Tage müssen wir abwarten. Ich schaue jeden Tag nach ihm. Wenn er Fieber kriegen sollte, möchte ich sofort benachrichtigt werden.“
„In Ordnung, Doc. Und herzlichen Dank.“
Doc Freemont winkte ab. „Bitte keine Vorschußlorbeeren. Wir müssen abwarten. Aber noch etwas anderes, was Drake betrifft. Selbstverständlich stehe ich als Zeuge zur Verfügung, wenn Sie mich brauchen, Hasard. Allein sein Versuch, Ihre beiden Jungen zu rauben, sollte genügen, ihm das Genick zu brechen. Der Mann ist genial, das steht außer Zweifel. Aber ich schätze, er neigt zum Größenwahn, und da wird’s gefährlich. Seien Sie vorsichtig.“
„Wir passen auf“, erwiderte Hasard.
Sie wechselten einen festen Händedruck.
Nichts passierte – weder am Nachmittag noch in der Nacht. Die Stückgüter aus dem Arsenal waren alle übernommen worden. Später, vor allem für die Nacht, hatte Hasard doppelte Wachen aufziehen lassen.
In der Achterdeckskammer schlief Blacky seinen Rausch aus, bewacht vom Kutscher, den später Jeff Bowie ablöste.
Um zehn Uhr am nächsten Vormittag warf die „Le Vengeur“ die Leinen los und nahm Kurs südwärts, begleitet von den guten Wünschen der Seewölfe.
Eine Atlantiküberquerung Richtung Karibik barg immer Risiken und Gefahren, und es konnte durchaus sein, daß die Seewölfe die Männer der „Le Vengeur“ zum letzten Male sahen – oder umgekehrt. Niemand vermochte in die Zukunft zu schauen. Sie alle wußten nur, wie unberechenbar die See war und wie erbarmungslos sie zuschlagen konnte. Der Mensch hatte sich ihr anzupassen, wenn er überleben wollte. Und wenn er in einen Orkan geriet, dann konnte er nur noch beten.
Die Schlangen-Insel in der Karibik war der Treffpunkt der „Le-Vengeurs“ und der Seewölfe. In den verborgenen Höhlen der Insel lagerten die Schätze, die sie von den Dons erbeutet hatten. Die Insel selbst wurde von Siri-Tong, der Roten Korsarin, bewacht, die dieses Eiland einst auch entdeckt und eine höllische Einfahrt zu einer völlig abgeschirmten Bucht der Insel gefunden hatte.
Dorthin also segelte die „Le Vengeur“, und die „Isabella“ würde folgen, sobald Doc Freemont für Blackys Fuß keine Komplikationen mehr befürchtete. So hatten es Hasard und Jean Ribault miteinander abgesprochen.
Natürlich registrierten auch die Kerle auf der „Revenge“ das Auslaufen der „Le Vengeur“. Sie demonstrierten es, indem sie der schlanken Zweimast-Karacke Flüche hinterherbrüllten und die Fäuste drohend schüttelten. Wenn es nach den Männern von Drakes Flaggschiff ging, dann mußte die „Le Vengeur“ geradewegs in die Hölle segeln. Zumindest wünschten sie dem Franzosen und seiner Crew die Pest an den Hals.
Der Admiral dieser geifernden und pöbelnden Flaggschiffsbesatzung ließ sich nicht auf dem Achterdeck sehen.
Dafür aber erschien er gegen Mittag in Begleitung des Stadtkommandanten, Sir Gordon Huntley, auf der Pier und steuerte zusammen mit ihm die Gangway der „Isabella“ an.
Hasard wurde rechtzeitig gewahrschaut und empfing die beiden Männer auf der Kuhl. Er dachte gar nicht daran, sie aufs Achterdeck, geschweige denn in die Kapitänskammer zu bitten. Gegen den Stadtkommandanten hatte er nichts, absolut nichts, aber wenn der in Begleitung Drakes erschien, dann konnte das nichts Gutes bedeuten. Also war er auf alles gefaßt.
Den Stadtkommandanten begrüßte er mit einem Nicken, den Admiral übersah er mit eisiger Miene.
„Sie wünschen?“ fragte er Sir Gordon knapp. Seine Haltung, seine Miene und sein Ton waren haarscharf an der Grenze der Unhöflichkeit.
Der Stadtkommandant zuckte leicht zusammen, als er in die eisblauen Augen blickte. Er hatte diesen Seewolf auf dem Bankett des Bürgermeisters kennengelernt und auch gehört, wie sich Kapitän Killigrew gegen die Unverschämtheiten des Admirals verteidigt hatte. Um so schwerer fiel es ihm, jetzt mit seiner Forderung herauszurücken – die ihm von Admiral Drake befohlen worden war.
Verdammt, dachte er, das ist die übelste Situation, in der ich mich je befunden habe.
„Sir Hasard“, sagte er nervös, „bitte, könnten wir nicht in Ihrer Kapitänskammer verhandeln – ich – ich meine …“ Er blickte sich um, starrte in die verschlossenen, abweisenden Gesichter der Seewölfe, räusperte sich, schluckte und warf Admiral Drake einen hilfesuchenden Blick zu.
Der hatte die Hände auf den Rükken gelegt, wippte auf den Fußballen und stierte in die Luft. Seine Miene war arrogant wie immer.
„Was wollten Sie sagen?“ fragte Hasard frostig. „Sie haben nicht zu Ende gesprochen.“
„Ich – ich meine“, sagte der Stadtkommandant gequält, „daß es besser sei, wenn nicht alle Welt zuhört.“
„Was verstehen Sie unter ‚alle Welt‘?“ erkundigte sich Hasard.
„Nun – die Männer hier, Sir. Es ist mir sehr peinlich, vor aller Augen – ich meine …“ Er brach wieder ab und verstummte.
„Es gibt in der Kapitänskammer nichts zu verhandeln“, erklärte Hasard unhöflich. „Wenn Sie etwas wollen, dann sagen Sie es hier, die Männer der ‚Isabella‘ haben ein Recht, zuzuhören, zumal sie Eigner dieses Schiffes sind, wie sich wohl auch bis zu Ihnen herumgesprochen haben wird, und ich keine Geheimnisse vor ihnen habe. Ich wiederhole meine Frage: Was wünschen Sie?“
„Ich habe – äh – Befehl, Ihnen mitzuteilen, daß Sie Plymouth zu verlassen haben. Sofort.“
„Befehl von wem?“
„Admiral Drake.“
Hasard zog die Augenbrauen hoch. „Interessant. Und weiter?“
„Was weiter?“ fragte der Stadtkommandant verwirrt.
„Nun, Sie müssen doch eine Begründung haben, wenn Sie eine solche Forderung stellen. Oder ist es in englischen Häfen üblich geworden, englische Schiffe wie lästige Straßenköter davonzujagen – ohne Begründung, meine ich.“
„Äh, ja, das kann begründet werden. Mir ist von Admiral Drake berichtet worden, Ihre Leute hätten in unverantwortlicher Weise die Besatzung der ‚Revenge‘ provoziert und in verschiedenen Prügeleien fast über die Hälfte der Besatzung lazarettreif geschlagen. Als Stadtkommandant kann ich solche Umtriebe keineswegs dulden. Um weitere Zusammenstöße zu vermeiden, hat Ihr Schiff unverzüglich den Hafen zu verlassen.“
Hasard fixierte den Stadtkommandanten, bis dieser immer nervöser wurde und nicht mehr wußte, wo er hinschauen sollte.
„Mein Freund“, sagte Hasard sanft, „sind Sie davon überzeugt, daß das, was Sie hier eben erklärt haben, auch den Tatsachen und der Wahrheit entspricht?“
„Natürlich.“
„Haben Sie für Ihre Behauptungen Beweise?“ Hasard blieb völlig ruhig, aber das wirkte um so gefährlicher.
„Ich sagte doch, das sei mir von Admiral Drake berichtet worden!“ fuhr der Stadtkommandant auf. „Ist das nicht Beweis genug?“
„Der Admiral lügt“, sagte Hasard kalt.
Drake stieß einen Zischlaut aus. Der Stadtkommandant schnappte nach Luft.
„Der Admiral lügt“, wiederholte Hasard, „und ich bin bereit, das vor einem neutralen Gericht zu beweisen. Nicht meine Männer haben die Männer der ‚Revenge‘ provoziert, sondern umgekehrt. Und sie werden es wieder tun, sollten sich diese Provokationen wiederholen. Das ist ihr gutes Recht. Aber weiter. Dieser Mann im Range eines Admirals der Royal Navy hat es gewagt, meine beiden Söhne zu entführen. Dafür habe ich Zeugen – unter anderem den Arzt Sir Anthony Abraham Freemont, dessen Integrität wohl auch Ihnen bekannt sein dürfte. Sir Freemont, der meine beiden Söhne während der Gefechte gegen die Armada in seinem Hause aufgenommen hatte, wollte sie nach unserem Einlaufen hier an Bord zurückbringen. Dieser Admiral überfiel ihn mit vorgehaltener Pistole und zwang ihn zur Übergabe der Jungen. Meine Jungen konnten sich selbst befreien. Sie haben gottlob das Zeug, mit einem solchen Dreckskerl fertig zu werden …“
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