Arne hatte zum Degen gegriffen und trieb damit einen polnischen Offizier, der zum Achterdeck auf entern wollte, die Stufen des Niedergangs hinunter. Dabei erwies er sich als äußerst geschickter Degenkämpfer, der es verstand, die plötzlichen Ausfälle seines Gegners mit ungeheurer Schnelligkeit zu parieren.
Auch Renke Eggens kämpfte wie ein Berserker. Es gelang ihm nach mehreren Versuchen, auch noch die letzte Wurfleine zu kappen, die die „Wappen von Kolberg“ mit der polnischen Galeere verband. Zwei Soldaten, die sich daran hochhangeln wollten, stürzten mit wilden Schreien in die Galeere zurück.
Während sich Renke zwei weiteren Kerlen zuwandte, die sich einige Schritte rechts von ihm über das Schanzkleid schwingen wollten, tönte eine laute Stimme von der Galeere herüber.
„Im Namen des polnischen Königs! Gebt auf, ihr Bastarde, sonst verarbeiten wir euch zu Fischfutter!“
Die Stimme kam von einem untersetzten Mann in Offiziersuniform, der sich ebenfalls anschickte, das Schiff der Deutschen zu entern. Er hatte polnisch gesprochen, aber der dunkelblonde Renke hatte ihn gut verstanden.
„Du verwechselst die Tatsachen, Freundchen!“ brüllte er zornig zurück. „Ganz davon abgesehen, daß euren habgierigen König nicht mal die Heringe fressen würden, wird sich ja bald zeigen, wer als erster nasse Füße kriegt!“
Mit wuchtigen Hieben trieb Renke Eggens die beiden Kerle, die auf die Planken der Kuhl gesprungen waren, auf die Back zu. Dort nahm sie Hein Ropers, der flachsblonde Bootsmann, in Empfang.
„Vielen Dank für das nette Geschenk!“ rief er Renke zu und lachte dabei, daß seine weißen Zähne blitzten. Dann packten seine eisernen Fäuste erbarmungslos zu.
Nachdem er dem ersten Polen die Waffe aus der Hand geschlagen hatte, wuchtete er ihn seinem nachfolgenden Kumpan entgegen. Und da dieser gerade mit seinem Degen zu einem voreiligen Stoß ausgeholt hatte, fuhr die Klinge seinem Landsmann voll in die Brust.
Verblüfft und entsetzt registrierte der Soldat sein eigenes Werk. Hein Ropers hingegen nutzte die Schrecksekunde, packte ihn am Kragen und Hosenboden und hievte ihn schwungvoll über Bord.
Es wurde auch höchste Zeit, daß der Bootsmann seine Fäuste wieder frei kriegte, denn ein kleiner, dürrer Bursche mit spitzem Rattengesicht, hatte sich von hinten an ihn herangepirscht, um ihm das Messer in den Rücken zu stoßen.
„Vorsicht, Hein!“ rief ein Mann aus der eigenen Crew, der selber alle Hände voll zu tun hatte.
Der Bootsmann wirbelte geistesgegenwärtig herum, blockte den heimtükkischen Stoß ab und schlug dem Polen das Messer aus der Hand. Dann riß er ihn herum und verpaßte ihm einen so fürchterlichen Tritt gegen den Achtersteven, daß der Bursche mit ausgebreiteten Armen Renke Eggens entgegensegelte.
„Das ist mein Gegengeschenk!“ brüllt Hein Ropers.
„Danke!“ rief Renke zurück und setzte dem rattengesichtigen Kerl die Faust aufs Haupt. Dieser verdrehte die Augen und ging mit einem schicksalsergebenen Seufzer auf die Planken.
Duckmäuser waren Arne und seine Mannen noch nie gewesen. Auch jetzt schlugen sie sich so, daß den Polen die Augen übergingen. Dennoch war die Übermacht der Angreifer ständig größer geworden, denn auch die Ruderknechte mischten kräftig mit.
Arne und seine dreizehn Männer, die ihm von der alten „Wappen von Kolberg“ geblieben waren, würden die Stellung nicht auf Dauer halten können. Obwohl sie wie die Teufel kämpften, wurde die Lage immer bedrohlicher für sie.
Außerdem waren einige Männer bereits verletzt worden. Die Blessuren waren zwar nicht ernster Art, aber sie reichten aus, die Kampfkraft des einen oder anderen zu schwächen.
Schließlich sah sich Arne von Manteuffel genötigt, den Rückzug zum Achterkastell zu befehlen, das auch gegen eine Übermacht durchaus verteidigt werden konnte.
„Jetzt könnten wir deinen Vetter gut gebrauchen!“ rief Renke Eggens, der gerade mit einem Belegnagel zugeschlagen hatte.
Arne nickte, ohne dabei seinen Gegner, einen mindestens sechs Fuß großen, bulligen Soldaten, aus den Augen zu lassen.
„Ich kann nur hoffen, daß Hasard den Lärm hört“, stieß er hervor, „und daß er uns in diesem verdammten Nebel wiederfindet!“ Sein Degen zuckte hoch, um einen Ausfall seines Gegners abzuwehren. Dann entdeckte er eine winzige Blöße bei dem grobschlächtigen Kerl, der seine Waffe wie einen Zahnstocher handhabte, und stieß blitzschnell zu.
Der Pole sank auf die Planken.
Die Seewölfe hatten längst begriffen, was sich auf der „Wappen von Kolberg“ abspielte. Obwohl sie das Schiff nicht sehen konnten, sagte ihnen das laute Gebrüll genug. Auch waren sie sich darüber im klaren, daß es sich bei der Galeerenbesatzung um Polen handeln mußte. Nils Larsen und Stenmark hatten das schon mitgekriegt, als die Galeere an der Bordwand der „Isabella“ entlanggeschrammt war.
Die dichten Nebelschwaden begannen sich stellenweise aufzulösen, wodurch die Sicht langsam etwas besser wurde. Dennoch konnten weder der Seewolf noch Ben Brighton etwas durch ihre Spektive erkennen. Selbst Dan O’Flynn, der die schärfsten Augen an Bord hatte, mußte kapitulieren.
„Hast wohl heute nicht deinen Adlerblick drauf, was, wie?“ fragte der Profos grinsend. „Aber tröste dich, wir haben ja immer noch Paddy mit seiner prächtigen Knollennase. Wenn er mit diesem Zinken hoch genug an den Wind geht, wird er die Rübenschweine sofort riechen!“
Bevor Dan O’Flynn eine geharnischte Antwort vom Stapel lassen konnte, mischte sich der Seewolf ein.
„Zum Glück sind wir jetzt weder auf Adleraugen noch auf Knollennasen angewiesen“, sagte er. „Allein der Lärm wird alle Schiffe im Umkreis auf den richtigen Kurs lotsen. Außerdem können wir nicht weit vom Schauplatz entfernt sein.“
Das Gebrüll, das von der „Wappen von Kolberg“ herüberdröhnte, war in der Tat nicht zu überhören.
Edwin Carberry rieb sich in Erwartung der bevorstehenden Ereignisse tatendurstig die Pranken.
„Man hört’s ganz deutlich“, sagte er, obwohl durch den Lärm kein einziges Wort zu verstehen war, „das sind die Lümmel des Königs Siegermund …“
„Sigismund!“ unterbrach ihn Dan.
„Ach was“, fuhr Ed fort, „ist mir egal, wie sich diese beutelüsterne Majestät nennt! Hört ihr nicht, daß das Geschrei dieser plattfüßigen Strolche so richtig gierig klingt, he? Ich sage euch, die wollen die hübschen Klunkerchen unter sich aufteilen, die Arne an Bord hat, jawohl!“
„Du hast es erfaßt“, pflichtete ihm Old Donegal Daniel O’Flynn bei, der trotz seines Holzbeins und der Krükke gewandt zum Achterdeck aufgeentert war. „Die wissen bestimmt, daß sich noch die vierzehn Kisten mit Bernsteinen und Halbedelsteinen an Bord befinden, die Witold Woyda in Hopsal geklaut hat. Da wird Arne aber gut auf das Zeug aufpassen müssen!“
Edwin Carberry nickte mit grimmigem Gesicht.
„Wir hätten die Kisten zu uns an Bord nehmen sollen“, meinte er.
„Hä? Warum das denn?“ fragte Old Donegal.
„Ich hätte sie zusammen mit dem Mister Generalkapitän in der Vorpiek eingeschlossen“, fuhr Ed fort. „Dann hätte ich dem habgierigen Rübenschwein einen alten Lumpen in die Hände gedrückt und ihn beauftragt, jedes einzelne Steinchen schön zu polieren. Was glaubt ihr, was dieser Räucherhering für einen Spaß an dieser Arbeit gehabt hätte! So aber sitzt der Kerl da unten in unserer Piek und ruht sich aus. Vielleicht freut er sich sogar über den Lärm und wartet schon darauf, daß ihm seine Befreier das Schott öffnen. Ich wette, daß dieser Affenarsch …“
„Ha!“ entfuhr es dem alten O’Flynn. „Hör bloß auf zu wetten! Aus dem letzten Reinfall müßtest du eigentlich was gelernt haben. Wenn ich mir so deinen vierkantigen Glatzkopf ansehe, dann muß ich an eine verbeulte Kokosnuß denken.“
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