Witold Woyda stieß ein heiseres Lachen aus.
„Niemand hängt mich an die Rah, solange dieser Mann hier in meiner Gewalt ist. Gleich, was ihr unternehmt, ich zögere nicht, sofort zuzustoßen! Los, laßt eure Waffen fallen, sonst ist es soweit!“
Zähneknirschend gehorchten die Seewölfe.
Zuerst polterte Bobs Pistole auf die Planken der Piek, sein Messer, mit dem er so meisterhaft umzugehen verstand, folgte. Auch Stenmark und Bill, die mit verkniffenen Gesichtern am Schott standen, warfen ihre Waffen auf den Boden.
„Aufstehen!“ befahl Woyda, und dem Kutscher blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung Folge zu leisten. Langsam erhob er sich von den Planken, und der Pole folgte ihm.
Der Kutscher kochte innerlich vor Wut. Verdammt, warum war er nur auf diesen Kerl hereingefallen? Was würde Hasard dazu sagen? Es war noch gar nicht lange her, seit der räuberische Finne Matti Hakulinen Mac und den Profos durch einen üblen Trick als Geiseln genommen hatte. Sollte sich das jetzt in ähnlicher Form wiederholen? Dem Kutscher wurde abwechselnd heiß und kalt. Er empfand seine Situation als schreckliche Blamage, jawohl! Schließlich waren sie in der Überzahl gewesen, trotzdem waren sie auf diesen Gauner hereingefallen.
„Eins schwöre ich dir, Woyda“, sagte er mit gepreßter Stimme und ohne den Kopf zu bewegen. „Wenn ich dir jemals wieder eine Muck oder Kumme zu füllen habe, dann kannst du dessen sicher sein, daß ich mir ein hochwirksames Gift besorgen werde, aber eins, das dich langsam zu einer Kakerlake zusammenschrumpfen läßt. Und dann zertrete ich dich mit meinem Stiefelabsatz!“
Stenmark übersetzte diese Worte, doch Woyda stieß abermals ein trokkenes Lachen aus.
„Dazu wirst du keine Gelegenheit mehr haben, du Bastard! Im übrigen folgt ihr mir jetzt an Deck, und dann wollen wir mal sehen, wer hier am längeren Hebel sitzt. Wenn euer Kapitän kein Feigling ist, läßt er sich sogar gegen diesen Hund hier austauschen.“
Die Seewölfe hatten längst begriffen, was dieses Schlitzohr von Generalkapitän beabsichtigte. Wie er den Seewolf einschätzte, würde der keinen von seinen Männern über die Klinge springen lassen, sondern sich notfalls selber als Geisel zur Verfügung stellen. Damit hätte sich das Blatt für ihn entscheidend gewendet. Ohne Zweifel wollte Woyda sein ehemaliges Flaggschiff, die jetzige „Wappen von Kolberg“ zurückhaben und ebenso seine geraubten Schätze, die sich noch immer an Bord befanden.
„Ihr geht jetzt schön brav vor mir und eurem Quacksalber her!“ befahl der Pole. „Und vergeßt nicht: eine falsche Bewegung, und er stirbt!“
Bob, Bill und Stenmark blieb nichts anderes übrig, als dem Generalkapitän zu gehorchen. Keiner von ihnen wollte den Kutscher unnötig gefährden, also setzten sie sich in Bewegung.
Witold Woyda schob den Kutscher vor sich her, das Messer direkt an dessen Hals.
„Du hältst dich mit der Lampe direkt vor uns“, forderte er Bob Grey auf, der die Tranfunzel noch immer in Händen hielt.
Bob gehorchte.
Der kleine Trupp gelangte jedoch nicht weit. Bereits nach wenigen Schritten trat ein Umstand ein, mit dem niemand gerechnet hatte.
Der Kutscher, der durch die Umklammerung Woydas den Blick geradeaus gerichtet hielt, stolperte über die schwere Pistole Bob Greys, die dieser auf die Planken geworfen hatte.
„Verdammt!“ stieß er hervor und geriet im selben Moment samt Woyda, der ihm den linken Arm unters Kinn gelegt hatte, ins Straucheln.
Der Pole, der von diesem Umstand genauso überrascht wurde wie der Kutscher, ließ seine Geisel für den Bruchteil einer Sekunde los. Und damit beging er einen schwerwiegenden Fehler.
Der Kutscher, der ein sehr flinker Mann war, reagierte geistesgegenwärtig. Er ging blitzschnell in die Hocke, so daß die Faust mit dem Messer über seinen Kopf hinwegzuckte. Dann sprang er hoch, packte Woyda mit einer Kraft, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, am Unterarm und wuchtete ihn mit Schwung über seine Schultern.
Mit einem Ächzen, das diesmal sehr echt klang, krachte der Generalkapitän auf die Planken vor dem Schott.
Damit war sein Schicksal besiegelt, denn jetzt warfen sich auch die anderen Seewölfe mit Hurra auf ihn. Ein Hagel von eisenharten Fäusten prasselte auf ihn nieder. Wuchtige Hiebe trieben ihn hoch und schmetterten ihn erneut auf die Planken.
Witold Woyda bezog die härteste Tracht Prügel seines Lebens, und als ihn die Seewölfe schließlich wieder gefesselt in der Vorpiek zurückließen, sah er tatsächlich aus, als sei er von schweren Krankheiten, beispielsweise der Beulenpest, befallen worden.
Der Kutscher drehte sich noch einmal um.
„Denk daran, Freundchen!“ zischte er wütend. „Ich pflege meine Versprechen zu halten. Bereits beim nächsten Backen und Banken füttere ich dich mit Rattengift, bis es dir zu den Ohren herauskommt!“
Woydas zerschundenes Gesicht verfärbte sich grün, als ihm Stenmark diese wüste Drohung des Kutschers übersetzte. Als der schwere Riegel des Schotts vorgeschoben wurde, schickte er den Seewölfen einen langen polnischen Fluch hinterher.
„Da haben wir echt Glück gehabt“, meinte Bob Grey. „Das hätte genausogut anders ausgehen können.“
Der Kutscher zuckte mit den Schultern.
„Was kann ich dafür, wenn du deine Pistole im Dunkeln herumliegen läßt?“
Bill und Bob nahmen ihre Posten wieder ein, als sei überhaupt nichts vorgefallen. Stenmark und der Kutscher kehrten an Deck zurück.
„Na, lebt unser Gast noch?“ fragte Hasard lächelnd, als er die beiden Männer sah.
„Wir haben ihn am Leben gelassen, Sir“, sagte der Kutscher. „Und gesund ist er auch wieder, wir haben dazu lediglich die Fäuste gebraucht.“
„Soll das heißen …?“ Hasard war erstaunt.
„Genau das soll es, Sir“, erwiderte der Kutscher und grinste. „Der Kerl hat uns was vorgespielt, und wir Idioten wären auch beinahe noch darauf reingefallen. Das heißt – äh – genaugenommen sind wir das sogar. Nur als er mich dann mit meinem eigenen Messer kitzeln wollte, da mußten wir ihn etwas beruhigen!“
Der Seewolf ließ sich die Einzelheiten berichten. Als der Kutscher in Richtung Kombüse verschwand, um nach der Erbsensuppe zu sehen, atmete Hasard fast hörbar auf.
Die Seewölfe fühlten sich satt und rund wie lange nicht mehr. Niemand hätte für möglich gehalten, daß eine kräftige Erbsensuppe mit Speck nach so vielen Räucherheringen so gut schmecken konnte.
Jeder war mit sich und der Welt zufrieden. Selbst Old Donegal lächelte verzückt und rieb sich gedankenverloren den Bauch.
„Die Kerls in der Kombüse haben schon was los, das muß man ihnen lassen“, sagte er. „Wer ein Wort gegen dieses Essen sagt, der gehört tatsächlich an die Rah gehängt, jawohl!“
„Dann kannst du den Generalkapitän gleich dran hochziehen, Opa“, sagte Philip junior.
„Hä? Was willst du damit sagen?“
„Er hat sich strikt geweigert, die Suppe anzurühren“, berichtete Philip. „Er sagte etwas von Rattengift.“
„Na so was!“ Die Stimme des alten O’Flynn klang empört. „Da habt ihr die Suppe doch wohl wieder mitgenommen, wie?“
„Natürlich!“
„So ist’s in Ordnung“, sagte der rauhbeinige Alte. „Dann kann man notfalls später noch einen Schlag kriegen.“
Jung-Philip starrte ihn verblüfft an.
„Aber Opa …!“
Doch Old O’Flynn stolzierte bereits davon. Er drehte sich lediglich noch einmal kurz um.
„Und noch was!“ rief er. „Du Hosentrompeter sollst mich nicht ständig Opa nennen, ist das klar?“
„Klar, Op …, ich meine, aye, aye, Sir!“
Ein Ruf aus dem Ausguck unterbrach die Mittagsidylle. Will Thorne, der grauhaarige Segelmacher, war es, der vom Großmars aus die Kimm mit einem Spektiv abgetastet hatte. Und seine Augen erwiesen sich noch als bemerkenswert gut.
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