„Die wollen uns ihren Piekser in den Bauch jagen“, sagte Ben Brighton.
„Das werden wir eben verhindern müssen“, erwiderte Hasard. Seine Wangenmuskeln zuckten, was bei ihm auf äußerste Konzentration und Entschlossenheit hindeutete.
Der Abstand zwischen den feindlichen Linien verringerte sich rasch. Jetzt waren bereits das Stimmengewirr, die gebrüllten Kommandos, die Drohungen und Verwünschungen zu hören, mit denen sich die Polen auf das Gefecht vorbereiteten. Hastig eilten Männer der Besatzung und Seesoldaten auf den Decks hin und her, um die Befehle des Kommandanten auszuführen.
Da plötzlich donnerte erneut ein Buggeschütz der Galeere los. Diesmal plumpste die Kugel nur noch höchstens dreißig Yards vor dem Bug der „Isabella“ ins Wasser und ließ eine Wassersäule aufsteigen, die sich spaltete und dann wieder in sich zusammenfiel. Auch eine Salve von Musketenschüssen krachte.
Die Seewölfe konnten jedoch ihre Culverinen noch nicht einsetzen, denn die Galeere befand sich nicht in deren Schußwinkel. Also mußte man ihnen zunächst mit anderen Mitteln beikommen.
„Dan!“ rief der Seewolf. „Gib den Burschen Zunder und halte auf den Bug!“
„Aye, aye, Sir!“ rief Dan O’Flynn zurück, der vorn an der Steuerbord-Drehbasse auf Station war. Gleich darauf senkte er die Lunte nieder.
Einen Lidschlag später stieß das schwenkbare Geschütz wummernd und fauchend seine Ladung aus. Dan hatte sein Möglichstes getan, um die Reichweite zu erhöhen, und siehe da, es klappte.
Die Ladung, die aus gehacktem Eisen und Blei bestand, prasselte der Galeere voll ins Vorschiff. Berstendes Holz und laute Schreie bestätigten den Treffer. Von den Soldaten, die das Buggeschütz hatten nachladen wollen, war plötzlich nichts mehr zu sehen. Einer von ihnen wälzte sich auf den Planken.
Für die Seewölfe war dieser Treffer das Startsignal. Ein lautes „Arwe-nack!“ tönte aus rauhen Männerkehlen, und das war die Kampferklärung der Männer von der „Isabella“. Das Tor, das dieser uralte Schlachtruf aufstieß, war das Tor zur Hölle, wie sich das noch innerhalb der nächsten knappen Stunde erweisen sollte.
„Diese Wasserspinne ist verdammt schnell!“ brüllte Carberry. „Wenn die ihren Kurs nicht ändert, tut sie mit ihrem Rammsporn unserer Lady glatt Gewalt an!“
„Laß sie ruhig näher ran, Ed!“ rief Hasard. „Wenn sie unserer Steuerbordseite den Bug zudreht, bietet sie uns zwar eine kleinere Angriffsfläche, aber wir können ihr dennoch ganz ordentlich einheizen.“
Der Seewolf warf einen Blick zur „Wappen von Kolberg“, gleich darauf huschte ein Grinsen über sein Gesicht, seine eisblauen Augen blitzten.
Ben, Ed und die anderen Männer auf dem Achterdeck folgten seinem Blick, da sahen auch sie, was geschah.
Arne von Manteuffel hatte das Vorhaben seines Vetters rechtzeitig erkannt. Deshalb hatte auch er abdrehen lassen und ging nun ebenfalls auf Gegenkurs zu dem Flaggschiff.
Die „Wappen von Kolberg“ lag nahezu auf gleicher Höhe mit der „Isabella“, und bereits in wenigen Augenblicken würde die Galeere genau zwischen den beiden Seglern stehen. Man konnte sie dann von zwei Seiten aus in die Mangel nehmen, und die Polen mußten sich entscheiden, auf welches Schiff sie sich mit ihrem Rammsporn konzentrieren wollten. Wahrscheinlich würden sie weiter auf die „Isabella“ zuhalten, doch in diesem Falle hatten sie die „Wappen von Kolberg“ im Rücken.
Jetzt krachte auf Arnes Galeone ein Drehbassenschuß, der dem Flaggschiff der Polen riesige Holzstücke aus dem Backaufbau fetzte. Der Galeeren-Kommandant ließ mit Musketenfeuer antworten und wenig später krachte das Minion auf der Steuerbordseite.
Die sechspfündige Kugel orgelte jedoch knapp am Bug der „Wappen“ vorbei, weil der Schußwinkel sehr ungünstig lag.
Der Kommandant brüllte mit wütender Stimme weitere Befehle, die jedoch das Durcheinander an Bord der Galeere nur noch verstärkten. Offenbar hatte man erkannt, daß es ein Fehler gewesen war, den anderen Galeeren zu weit vorauszueilen. Doch es blieb den Polen nicht die Zeit, über diese Fehlentscheidung lange nachzudenken. Die beiden Segler befanden sich jetzt auf gleicher Höhe, und die Galeere lag schräg dazwischen.
Die Besatzung des Flaggschiffs erkannte die Gefahr und begann aus allen Rohren zu feuern, aber sie wurde durch das Drehbassen-, Musketen- und Tromblonfeuer der beiden Galeonen in ihre Grenzen verwiesen.
„Sir?“ rief Ferris Tucker, der an seiner Schleudervorrichtung wartete.
Hasard nickte. „Gib ihnen eine Flasche Brandy, Ferris!“
Sekunden später flog die Flasche in hohem Bogen durch die Luft und senkte sich auf die Bugpartie der Galeere nieder. Die ohrenbetäubende Explosion, die dann alle anderen Geräusche übertönte, löste bei den Polen Wuhling aus. Kein Wunder, denn es flogen ihnen buchstäblich die Fetzen um die Ohren. Der gefährliche Rammsporn war plötzlich verschwunden, und von dem gesamten Backaufbau waren nur noch Bruchstücke zu erkennen.
Die Galeere geriet augenblicklich aus dem Kurs, denn die Ruderknechte dachten nicht mehr daran, als Kugelfang zu dienen. Sie ließen die Riemen fahren und versuchten, in Dekkung zu gehen.
„Und jetzt geben wir ihnen den Rest!“ befahl der Seewolf. „Paßt auf, daß die Schüsse nicht zu hoch liegen, sonst blasen wir am Ende noch Arne einige Pfunde Eisen zwischen die Rippen. Steuerbordseite Kuhl – Feuer!“
Sofort senkten die Männer an den vier 25pfündern die Zündschnüre auf die Bodenstücke der Geschütze, dann drückten sie die Luntenstöcke fest auf die Öffnungen der Zündkanäle. Mit einem gewaltigen Fauchen rasten die Kugeln aus den Rohren, die Kanonen rollten in den Holzlafetten zurück und wurden von den Brooktauen abgebremst.
Das Inferno ließ das ganze Schiff erzittern. Dunkler, fetter Qualm stieg auf, während die Kugeln über die See orgelten und wie Blitzschläge in die Galeere hieben.
Kaum war der Donner verstummt, mischte sich die „Wappen von Kolberg“ ein. Die Mündungsflammen ihrer Backbordgeschütze stachen grell aus den Rohren und jagten ihre Kugeln von der anderen Seite her in den Leib der Galeere.
Das höllische Bersten und Krachen dauerte nur einen Augenblick. Das Flaggschiff war buchstäblich in Stücke gerissen worden. Trümmer flogen durch die Luft, Masten splitterten und stürzten ins Wasser, Planken wirbelten durch die Gegend. Das Gebrüll der Besatzung verriet totale Panik. Wer noch konnte, sprang über Bord, um wie vom Teufel gejagt davonzuschwimmen. Niemand wollte von dem sinkenden Wrack in die Tiefe gerissen werden.
„Die haben ihr Fett!“ stellte der Profos überflüssigerweise fest. „Sie wollten es ja nicht anders haben.“
Inzwischen waren die drei anderen Galeeren ziemlich nahe heran und begannen, aus ihren Buggeschützen zu feuern. Eine Kugel raste gefährlich dicht über die Galion der „Isabella“ weg und schlug in die sinkenden Trümmer des ehemaligen Flaggschiffs. Ein weiteres Geschoß streifte die Querbalustrade, die die Back zur Galion hin abgrenzte.
Dan und Gary, die sich wegen der Drehbassen in unmittelbarer Nähe befanden, kriegten einige Splitter um die Ohren. Aber sie hatten Glück, die Sache war mit einigen Kratzern abgetan. Auch am Schiff entstand kein größerer Schaden.
Die Galeeren griffen mit dem Mut der Verzweiflung an, denn für einen Rückzug war es jetzt zu spät. Außerdem fühlten sie sich ja immer noch in der Überzahl – trotz der Vernichtung ihres Flaggschiffs.
„Die Lücken sind noch immer groß genug!“ rief der Seewolf. „Los, wir segeln hinein, und dann feuern wir aus allen Knopflöchern!“
Rasch winkte Hasard zu Arne hinüber. Seine Geste wurde sofort beantwortet. Beide Galeonen liefen direkt auf die Linie der herankrebsenden Galeeren zu, auf denen man in Windeseile die Segel barg.
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