„Sie werden an seine Stelle treten“, entgegnete der Seewolf. „Sie haben das Zeug dazu.“
Münnever lächelte überrascht. „Danke. Aber ich möchte es so ausdrücken. Ich habe den festen Willen. Ob ich meine Ziele in allen Punkten erreiche, hängt wohl auch von Kemals und meinen Gegnern ab.“
„Sie meinen, diese Leute könnten jetzt schwerere Geschütze auffahren?“
„Damit rechne ich. Sie halten mich für geschwächt, nachdem ich meinen Mann verloren habe. Sie werden versuchen, mich zu ruinieren. Das wird der einfachste Weg sein. Denn ohne den finanziellen Hintergrund, den ich bislang hatte, kann ich meine Arbeit für die Armen nicht fortsetzen.“
„Kennen Sie Ihre Gegner?“ fragte Hasard unverblümt. „Die Mörder Ihres Mannes?“
Einen Moment sah ihn die Frau an, als müsse sie nachdenken.
„Ich habe natürlich keine Beweise“, sagte sie dann. „Aber der Kopf der politischen Gruppierung ist Mehmet Küzürtüsi. Als Kaufmann ist er einer der größten Konkurrenten unseres Handelshauses. Privat war er ein erklärter Feind Kemals. Er hat meine Hilfsaktionen in öffentlichen Reden in den Dreck gezogen. Aber er würde es natürlich weit von sich weisen, mit verbrecherischen Umtrieben zu tun zu haben.“
„Man muß Beweise gegen ihn sammeln“, entgegnete der Seewolf. „Und genau das werden wir tun.“
Don Juan de Alcazar nickte zustimmend und voller Entschlossenheit.
Münnever Yildiz blickte die beiden Männer an. „Ich bin froh über Ihre Hilfe. Ich wäre unehrlich, wenn ich das nicht zugeben würde. Aber es ist meine Pflicht, Sie zu warnen. Sie haben miterlebt, wie wenig ein Menschenleben in dieser Stadt wert ist. Auf Sie als ungläubige Ausländer wird man noch viel weniger Rücksicht nehmen. Wenn Sie in die Fänge der Mörder-Clique geraten, fürchte ich, sind Sie verloren.“
Hasard und Don Juan standen auf, um sich zu verabschieden.
„Wir sind gewohnt, auf uns aufzupassen“, sagte der Seewolf. „Bereiten Sie sich also keine Sorgen. Und quälen Sie sich vor allem nicht mit Selbstvorwürfen. Sie tragen keinerlei Schuld. Sie haben sich den Aufgaben gestellt, die gelöst werden müssen. Bleiben Sie dabei.“
Münnevers Blick war voller Dankbarkeit, als sie dem großen Mann die Hand reichte.
Süleyman Ayasli nahm den Schweren Lederbeutel, den Öbül ihm gebracht hatte. Er ging damit in den Wohnraum seines Gemäuers, schloß die Verbindungstür zur Werkstatt und ließ den kleinen dünnen Mann vorerst allein. Zu tun gab es immer etwas. Öbül würde um Beschäftigung nicht verlegen sein.
Ayasli setzte sich unter eine blakende Wandlampe, öffnete den Lederbeutel und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Die schweren Goldstücke verursachten harte Geräusche. Ayasli beobachtete sie mit ihrem milden Glanz, bis sie zur Ruhe gelangten und liegenblieben. Ein regelrechtes Feuer ging von ihnen aus. Für Ayasli war es die Glut, die ihren Wert bedingte.
Er zählte nach. 50 Piaster.
Der Wert eines Menschenlebens.
Der Wert des Kemal Yildiz.
Ayasli ließ 45 Goldstücke zurück in den Lederbeutel gleiten. Er schnürte ihn sorgfältig zu und trug ihn zu einer Kommode auf der anderen Seite des Zimmers. Dort rückte er die Kommode weit genug beiseite, so daß er einen Ausschnitt zweier Fußbodendielen anheben konnte. Die beiden Dielen bildeten eine kleine Luke, die nicht zu erkennen war, wenn die Kommode darüberstand.
In der gemauerten Aussparung unter dem Fußboden des Wohnraums lagen Beutel aus Leder und grobem Leinen. Sie enthielten Süleyman Ayaslis Todeslohn vergangener Aufträge. Es war seine Art von Reichtum, den er hortete – bis er sich eines Tages nicht mehr verstecken mußte.
Es würde der Tag sein, an dem seine Auftraggeber alle Macht an sich rissen. Dann würden sie ihn aus seinem Schattendasein befreien. Allerdings fühlte er sich wohl in seinem unauffälligen Leben, und er fürchtete sich manchmal vor dem Tag, an dem er sich nicht mehr in die Einsamkeit zurückziehen konnte.
Nun, immerhin konnte er selber entscheiden, welche Art von Leben er bevorzugte.
Unter den neuen Machthabern ein öffentliches Amt zu bekleiden, würde er nicht ablehnen. Aber sie konnten ihn nicht zwingen, sein Leben außerhalb des Amtes anders zu gestalten, als er es wollte.
Er ließ den Lederbeutel zu den anderen gleiten, schloß die kleine Luke und schob die Kommode wieder an ihren Platz.
Er nahm die fünf Goldstücke für Öbül und ging damit in die Werkstatt.
Sein Gehilfe war damit beschäftigt, kleine Pulversäcke aus fein gewebtem Leinen in jene Truhe zu packen, die mit dem Steinschloß hinter dem Schließmechanismus ausgestattet war.
„Dein Lohn“, sagte Ayasli und legte die Goldstücke auf die Werkbank neben der Truhe.
Öbül sah kaum hin. Er strich die Piaster ein und nuschelte ein Wort des Dankes. Wohlstand bedeutete ihm nicht viel. Er war zufrieden mit dem Dasein, das er führte. Ein Dach über dem Kopf, Essen und Trinken, mehr brauchte er nicht.
„Wann soll ich die Truhe ausliefern?“ fragte Öbül. Er hielt mit der Arbeit inne und sah seinen Meister voller Respekt an.
Der Mann mit der topfförmigen Mütze wirkte geistesabwesend – schon den ganzen Abend, seit Öbül den Lohn für den Mord an Yildiz an einem Treffpunkt in der Stadt abgeholt und hergebracht hatte.
Der Höllenfürst schien die Frage gar nicht gehört zu haben.
„Was ist mit diesen Engländern?“ fragte er seinerseits, statt zu antworten. „Ich will die ganze Geschichte hören.“
Öbül seufzte. Er begriff nicht, daß Ayasli an diese Sache Gedanken verschwendete. Gut, er hatte schon am Nachmittag berichtet, daß der Kapitän der Dubas und ein Begleiter mit der Witwe des getöteten Kaufmanns Kontakt aufgenommen hatten. Öbül verstand jedoch beim besten Willen nicht, warum sich Ayasli deshalb sorgte.
„Ich habe doch schon alles gesagt“, erwiderte der Gehilfe des Höllenfürsten.
„Dann sage es noch einmal. Vielleicht fällt dir etwas ein, was du vorher vergessen hast.“
Öbül wagte nicht, zu widersprechen. „Der Kapitän der englischen Mannschaft heißt Philip Hasard Killigrew. Der Mann, mit dem er in der Stadt unterwegs war, ist allerdings Spanier. Ein gewisser Don Juan de Alcazar. Was sie mit Münnever Yildiz besprochen haben, weiß natürlich niemand. Aber es wird gemunkelt, daß sie ihr Hilfe angeboten haben.“
„Hilfe wobei?“ stieß Ayasli hervor.
„Diejenigen zu finden, die für den Tod ihres Mannes verantwortlich sind.“
„Die Auftraggeber?“
„Ich weiß es nicht, Effendi.“
„Oder die Ausführenden?“
„Ich weiß es wirklich nicht, Effendi. Aber wenn ich meinen nüchternen Menschenverstand gebrauche, sage ich mir, daß sie sowohl hinter den Auftraggebern als auch hinter den Ausführenden her sind. Wenn sich diese Ungläubigen einmischen, so vermute ich, dann tun sie das gründlich. Sie fühlen sich uns überlegen, diese Ausländer. Und sie wollen uns beweisen, daß sie es sind.“
Ayasli grinste. Sein Furchengesicht wurde zu einer diabolischen Maske. „Du hast unsere Feinde sehr genau studiert, mein Lieber. Du bist überhaupt nicht auf den Kopf gefallen. Was würdest du mir also raten?“
Der kleine Mann mit den vom Schießpulver geschwärzten Händen wurde rot vor Verlegenheit. „Ich würde etwas gegen diese ungläubigen Bastarde unternehmen, bevor sie es tun können.“
Ayasli klopfte ihm auf die schmale Schulter. „Das ist es! Wir sind uns in unserem Denken sehr ähnlich. Ich nehme deinen Rat an. Du wirst mich zum Hafen führen und mir das Schiff zeigen. Ist die Zeit dafür günstig?“
„Sie könnte nicht günstiger sein, Effendi. Mitternacht ist vorüber. Wir werden zwar aufpassen müssen, daß wir keiner Streife in die Hände fallen, aber sonst wird es wohl niemanden geben, der uns aufhält.“
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