„Nicht dem Wohle, sondern der Trunkenheit und dem Laster“, sagte der Kutscher.
„Jetzt fängt der auch noch an zu predigen!“ maulte der Profos. „Ist hier Bibelstunde, oder was?“
„Wäre für deine Läuterung gar nicht schlecht“, erwiderte der Kutscher. „Sich in die Bibel zu vertiefen, hat schon so manchem Sünder geholfen, wieder den rechten Weg zu finden.“
„Dann lies sie fleißig und laß dir helfen“, entgegnete der Profos. „Ich empfehle dir Römer zwölf, Vers zwanzig, der da lautet: So nun dein Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn!“ Der Profos räusperte sich. „Vor allem letzteres lege ich dir warm ans Herz, und ich wiederhole: Dürstet ihn, so tränke ihn!“
Der Kutscher war sprachlos, und das wollte etwas heißen.
Der griesgrämige, verbeulte Mac Pellew lebte auf: „Wahr gesprochen, mein lieber Edwin! Uns dürstete, aber er tränkte uns nicht. Statt dessen führte er lästerliche Reden und drohte wegzuschütten, wonach uns dürstete.“
Der Kutscher hatte sich von seiner Verblüffung erholt. Jetzt wetterte er los: „Wonach euch dürstet, ist Schnaps, ihr schlitzohrigen Halunken! Wenn es um den geht, stellt ihr sogar die Bibel auf den Kopf. Schämen solltet ihr euch!“
„Das empfehle ich auch“, erklärte Hasard. „Im übrigen gebe ich dem Kutscher recht. Außerdem: wenn euch dürstet, könnt ihr Wasser trinken – von nichts anderem ist in dem zitierten Römer-Vers die Rede, und das wißt ihr beide sehr genau.“
„Aye, Sir“, murmelte der Profos.
„Aye, Sir“, murmelte auch Mac Pellew, und er sah dabei so grämlich aus, daß bei seinem Anblick sogar ein Bruder Lustig zum Trauerkloß geworden wäre.
Er drehte sich um und schlurfte in Richtung der kleinen Kombüse.
Hinter ihm sagte Dan O’Flynn tiefsinnig: „Unser Mackilein ist heute morgen wieder in Höchstform – eine richtige Frohnatur, voll schäumender Lebenslust und wie immer zum Scherzen aufgelegt. Man könnte direkt heulen!“
Die Mannen grinsten, und sie grinsten noch mehr, als Mac sich noch einmal umdrehte und seiner Verachtung Ausdruck gab, indem er Dan O’Flynn einen „pinseligen Pickelhering“ nannte.
„Besser das“, rief Dan O’Flynn erheitert, „als eine lila-gehörnte Miesmuschel!“
„Phh!“ äußerte Mac, und hinter ihm krachte das Kombüsenschott zu, daß die beiden Masten wackelten.
„Jetzt schmollt er drei Tage“, sagte Dan O’Flynn.
So begann also der Morgen dieses sonnenreichen Tages, und er fand eine halbe Stunde später seine Krönung, als es den beiden Jungmannen Hasard und Philip gelang, mit ihren Blinkern einen Mordsburschen von Stör zu angeln und an Bord zu ziehen.
Es war ein sogenannter Hausen aus der Stör-Familie, und er hatte eine Länge von fast vier Yards, was die Arwenacks für enorm hielten, obwohl der Kutscher es mal wieder besser wußte und kundtat, daß solche „Fischlein“ die Kleinigkeit von acht bis neun Yards Länge erreichten.
Es grenzte an ein Wunder, daß die Angelschnur nicht gerissen war. Allerdings hatte der Stör selbst dabei geholfen, sich an Bord der Dubas zu befördern. Er hatte sich aus dem Wasser geschnellt, und diesen Moment hatten die Zwillinge genutzt, ihn mit einem ruckartigen Zug an der Angelleine binnenbords zu holen.
Immerhin reichte die Beute für mehrere Mahlzeiten, und die Arwenacks brauchten ihre Gürtel noch nicht enger zu schnallen. Zum Frühstück gab’s Kaviar – den Beluga-Kaviar, den der Kutscher mit Zitrone schmackhaft zubereitete und mit gerösteten Brotscheiben darbot.
„Igitt – Fischeier, so ein Schweinkram!“ lamentierte der Profos und geriet schon wieder mit dem Kutscher aneinander.
„Danach lecken sich Kaiser und Könige die Finger, du Blödmann!“ entgegnete der Kutscher. „Denn Kaviar vom Hausen ist das Köstlichste vom Köstlichen, und man sagt ihm nach, daß er die Manneskraft fordere und die Geisteskraft steigere. Aber keiner zwingt dich, davon zu essen. Von mir aus friß deine Schuhsohlen und sieh selbst zu, wie du satt wirst. Mir ist das doch piepe, du verdammter Mecker-Philipp!“
Der Kutscher rannte offene Türen ein. Der Profos hörte schon gar nicht mehr hin – die „Manneskraft“ war das Zauberwort gewesen, und er hatte zugelangt. Von dem Moment an schaufelte er buchstäblich Kaviar in sich hinein und stöhnte vor Behagen. Und als Hasard für jeden Mann ein paar Daumenbreiten Wodka freigab, kannte des Profosen Wonne keine Grenzen.
„Was geht’s uns wieder gut, Leute!“ tönte er lauthals. „Ich hab’s ja gleich gesagt: das Beste am Stör ist der Kaviar! Dagegen sind lausige Heringseier die reinsten Pickel und schmecken rauf wie runter!“ Und strahlend schob der Profos eine weitere Ladung nach, über daumendick auf die Röstscheibe gepackt, die er krachend zermalmte.
Der Kutscher konnte nur noch den Kopf schütteln.
Am Nachmittag dieses Tages umsegelte die Dubas das Kap Emine und stieß mit Südwest-Kurs in den Golf von Burgas vor. Jetzt lag sie platt vorm Wind, das vordere Lateinersegel nach Backbord und das achtere Lateinersegel nach Steuerbord ausgebaumt wie die Schwingen eines Riesenvogels. Sie lief rauschende Fahrt.
Hasard war gespannt, wohin der Kurs führte. Eine größere Ortschaft an der Küste auf Steuerbord hatten sie noch nicht passiert. Bisher hatte die Küste fast genau einen Nord-Süd-Verlauf gehabt. An dem Kap war sie scharf nach Westen abgebogen, dann nach Südwesten. Es war klar geworden, daß sie in einen Golf segelten. In der Regel – das war eine Erfahrung der Arwenacks – bot sich in der Tiefe eines Golfs immer ein günstiger Platz an, wo man einen Hafen angelegt und eine Siedlung gegründet hatte.
Es konnte auch sein, daß dort ein Fluß mündete, der im Lauf von Jahrtausenden die Küste in einen Trichter verwandelt hatte. Vielleicht befand sich ganz hinten im Westen des Golfes sogar jene Verbindung zum Mittelmeer, die sie suchten. Das waren natürlich Spekulationen.
Hasard spähte zum Vorschiff der Dubas. Dort stand am Bug Old Donegal, beschattete mit der Rechten die Augen gegen die im Südwesten stehende Sonne und starrte voraus. Dann schüttelte er den Kopf, zog sein Spektiv aus dem Gürtel und setzte es ans rechte Auge.
„Jetzt hat er was entdeckt“, sagte Dan O’Flynn neben Hasard. Er hatte seinen Alten ebenfalls beobachtet.
Hasard seufzte. „Hoffentlich keinen Wassermann.“
Es war kein Wassermann.
Old Donegal drehte sich halb um und rief nach achtern: „Voraus Fischerboote!“
„Na bitte“, sagte Dan, „kein Wassermännchen oder was Hübscheres mit Fischschwanz und rundem Busen.“
Stenmark, der die Ruderwache ging, fragte: „Kurs beibehalten, Sir?“
Die Frage war berechtigt, denn Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Es konnten auch keine Fischerboote sein oder Boote, die sich nur als solche getarnt hatten und dann als was anderes entpuppten, zum Beispiel als die Fahrzeuge von Küstenwölfen.
„Auf Kurs bleiben, Sten“, sagte Hasard. „Wenn es Fischer sind, dann erfahren wir vielleicht etwas über diesen Golf und den weiteren Verlauf der Küste.“
„Aye, Sir, auf Kurs bleiben“, sagte Stenmark.
„Und wenn es keine Fischer sind?“ fragte Dan O’Flynn.
„Dann haben wir Pech gehabt“, erwiderte Hasard. „Was soll’s! Wir müssen eben jede Gelegenheit wahrnehmen, um etwas über dieses Meer in Erfahrung zu bringen.“
Dan O’Flynn nickte und brummelte: „Wird auch lausig Zeit.“
„Nervös?“
„Das nicht, eher kribbelig. Diese Küstenschleichfahrt geht mir allmählich auf den Geist.“
„Ist aber die einzige Möglichkeit, den Durchschlupf ins Mittelmeer zu finden“, sagte Hasard.
„Und wenn’s keinen gibt?“
„Dann haben wir noch mal Pech gehabt“, entgegnete Hasard lakonisch. „Aber wo Fischerboote sind, da muß es auch eine Ansiedlung geben. Da können wir zumindest unseren Proviant ergänzen und weiterfragen.“
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