Die Menge starrte ihn schweigend an.
Als er genug in den Scherben herumgelatscht war, ließ er sich auf den Boden nieder und legte sich in Glas und Nägel hinein. Dabei reckte und streckte er sich, als wolle er sich zu einem Schläfchen hinlegen.
Auf dem Rücken blieb er schließlich liegen und gab dem Buckligen ein Zeichen mit der Hand. Der sprang ihm daraufhin auf den Brustkasten und trampelte wild herum.
Wieder johlten einige vor Begeisterung. Sie erwarteten Blut zu sehen, doch als Selim sich erhob, waren Brust und Rücken nur ein bißchen staubig und verkratzt, und zwei Glasscherben klebten ihm noch am Rücken. Auch an seinen Füßen war keine Verletzung zu sehen.
Zwei Männer fegten den Scherbenhaufen zusammen und taten alles in den Korb zurück. Selim verneigte sich und verschwand ebenfalls in der Bude.
Carberry lauerte auf den stärksten Mann der Welt, doch der ließ sich vorerst noch nicht blicken. Anscheinend war er die Hauptattraktion.
Zunächst trat ein Feuerspucker auf, ein arroganter Kerl mit dem Gehabe eines eitlen Stutzers, der fast naserümpfend und erhaben in die Menge blickte. Er gab sich den Anschein, als sei er der einzige Feuerspucker auf der Welt und seine Kunst ein Geheimnis, das außer ihm niemand erlernen könne.
Er schob sich kleine brennende Fackeln in den Mund, erstickte die Flammen und blies dann darüber, bis sie wieder wild brüllend und fauchend gluteten.
„Der hätte sich bei dem Großbrand in London mal so richtig vollfressen können“, kommentierte der Profos. „Oder man könnte ihn als Brander gegen feindliche Schiffe einsetzen.“
Der arrogante Schnösel blies eine gewaltige Feuerwolke aus, die brausend in die Luft fuhr und dann versprühte. Dann warf er die erloschenen Fackeln dem Buckligen hochmütig vor die Füße und verschwand. Natürlich verbeugte er sich nicht vor einem Publikum wie die anderen. Das hatte er nicht nötig, denn die Leute waren hingerissen von dem billigen Zauber.
Der nächste war ein Schwert-, Degen- und Messerschlucker, der angekündigt wurde und natürlich genauso gefährdet war wie die anderen Gaukler auch.
„Solche Kerle müßte man auf dem Schiff haben“, sinnierte der Profos weiter. „Der Messer- und Degenschlucker könnte beim Entern eingesetzt werden. Innerhalb kurzer Zeit stehen die Gegner ohne Blankwaffen da, weil er sie alle im Magen hat.“
Fasziniert sah er zu, wie der Mann sich einen armlangen Säbel in den Mund steckte und ihn immer weiter nach unten schob, bis oben nur noch der Griff zu sehen war. Dabei drehte der Mann sich ganz langsam um seine Achse, damit alle sehen konnten, daß er sich keines Tricks bediente.
Danach traten noch ein paar verschleierte Ladys auf, die einen kleinen Bauchtanz aufführten. Als auch das vorbei war, kam endlich das, was den Profos schon die ganze Zeit über bewegte.
Ibrahim, der stärkste Mann der Welt, wurde mit großem Pathos angekündigt. Da begann Carberry breit zu grinsen.
Was da auf die Bretter trat, nötigte sogar dem Profos Respekt ab.
Ein riesenhafter glatzköpfiger Mann mit einem gewaltigen schwarzen Schnauzbart erschien. Sein Körper war eingeölt, und am ganzen Körper zuckten Muskelwülste auf, sobald er sich bewegte.
Dieser Ibrahim trug nur eine knielange Hose und einen gewaltigen Ledergürtel. Sein Oberkörper war nackt, und den Schädel hatte er sich blitzblank rasieren lassen.
Er stellte sich in Positur und holte Luft. Dabei spannte er auch seine Muskeln an, riesige Wülste, die ruckartig aufquollen. Alles an diesem Mann strotzte nur so vor Kraft.
„Ibrahim, der stärkste Mann der Welt!“ verkündete der Bucklige. „Wer ihn besiegt erhält ein Goldstück. Wer ihn nicht besiegt, der wird ein paar Goldstücke brauchen, um seine Knochen zusammenflicken zu lassen. Wer von den ehrenwerten Herren wagt es, gegen Ibrahim anzutreten? Es wird geboxt. Schläge bis an die Gürtellinie sind erlaubt. Ein Goldstück für den, der Ibrahim auf die Bretter schickt!“
Der Bulle flößte zwar allen Respekt und vielen auch Angst ein, aber als der Bucklige das Goldstück hochhielt und es der Menge zeigte, da gab es immer wieder Kerle, die es sich verdienen wollten und direkt hungrig auf das Goldstück blickten.
Mit einem Goldstück ließ sich sehr viel anfangen. Damit war der Lebensunterhalt für mehr als zwei Monate gesichert. Viele waren davon überzeugt, bei Ibrahim den richtigen Schlag anbringen zu können, und viele hielten sich für wesentlich stärker, als sie in Wirklichkeit waren.
Noch bevor der Profos reagieren konnte, drängte sich bereits ein junger, kraftvoller Türke nach vorn. Seine Blicke waren begehrlich auf das Goldstück gerichtet.
„Ich trete gegen ihn an!“ rief er.
Ibrahim sah gelassen und mit über der gewaltigen Brust verschränkten Armen zu, wie sich der Türke das Hemd vom Körper riß.
Dann ging es auch gleich zur Sache. Der junge Türke stürmte wie ein wildgewordener Büffel vor und drosch Ibrahim die Fäuste mit aller Kraft ins Gesicht. Er wollte schon triumphierend losbrüllen, doch der Bulle nahm den Kopf blitzschnell zur Seite. Die Schläge verpufften wirkungslos und gingen ins Leere. Ibrahim erwartete seinen Gegner mit einem schiefen Grinsen.
Beim zweiten Ansturm gelang dem Türken ein Schlag gegen die gewaltige tonnenförmige Brust. Der Bulle steckte den Schlag gelassen weg, als hätte er ihn nicht gespürt.
Er wartete auch den nächsten Ansturm noch ab und stoppte den Türken mit seinen gewaltigen Fäusten. Der versuchte jetzt, angesichts des Goldstückes, alles auf eine Karte zu setzen und schlug wieder zu.
Ibrahim blockte ab. Nur seine Arme wurden getroffen.
Jetzt begann es in der Menge zu kochen und zu brodeln. Die Kerle feuerten den jungen Türken an und brüllten wild durcheinander.
Bei dem Türken rastete etwas aus. Er schrie ebenfalls und drang mit wildem Gebrüll auf Ibrahim ein. Er hatte einen mörderischen Blick drauf und verlor die Übersicht. Statt den Klotz kühl und überlegt anzugehen, um vielleicht dessen Schwäche auszunutzen, schlug er planlos, wild und unüberlegt zu. Seine Arme wirbelten wie Dreschflegel, aber es gelang ihm nicht, einen richtigen Treffer anzubringen.
Als er wieder ins Leere schlug, erwischte ihn ein harter Schlag, dessen Wucht ihn quer durch den provisorischen Ring trieb.
Er stand kaum auf den Beinen, als ihn ein zweiter Schlag erneut fällte. Diesmal blieb er benommen auf den Knien hocken und schüttelte den Kopf.
Ibrahim ließ ihm Zeit und wartete, bis er wieder auf den Beinen war.
„Fair kämpft er ja“, sagte Smoky, „das muß man ihm lassen. Dafür kann er aber verdammt hart schlagen.“
Ganz überraschend griff der Türke an. Offenbar hatte er jetzt eine wilde Wut im Bauch und sah sein Goldstück für immer entschwinden.
Bei diesem Angriff erwischten ihn zwei mörderische Haken. Sein Kopf flog in den Nacken, er überschlug sich fast und brach gurgelnd auf den Brettern zusammen. Dort blieb er stöhnend liegen.
„Der Kampf ist entschieden!“ rief der Bucklige. „Ibrahim hat gewonnen! Oder hat jemand Einwände?“
Keiner hatte Einwände. Der Türke kam von allein auch nicht mehr auf die Beine, und so trugen sie ihn aus dem Ring.
„Du willst doch nicht gegen das Monstrum antreten?“ fragte der Kutscher. „Der hat noch gar nicht richtig gezeigt, was er kann. Für den war das nur ein Spielchen. Immerhin hat er den Türken mit ein paar Schlägen fast zugrunde gerichtet.“
Carberry grinste schief. Er blickte dem Türken nach, den sie auf den Boden legten, und der immer noch so entsetzlich stöhnte, als hätte er keinen heilen Knochen mehr im Leib.
„Warum nicht“, sagte er gelassen. „Spaß muß sein und Abwechslung erst recht. Ich werde den Kerlen doch nicht das Goldstück schenken.“
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