Nichts ließ sich mehr rückgängig machen oder aufhalten, die Dinge nahmen ihren fatalen Verlauf. Don José de Zavallo verständigte sich nur kurz mit seinem Kommandanten an Bord der Führungsgaleone. Dem schien wieder einmal alles recht zu sein.
Und es war keineswegs falsch, die beschlagnahmte Karavelle nach St. Augustine zu bringen. Der Festungskommandant würde es begrüßen, ein weiteres Schiff als Verstärkung seiner Patrouillen zu erhalten. Und dies wiederum warf ein günstiges Licht auf den Verbandsführer.
Noch zehn Seesoldaten setzten sich mit einer zweiten Jolle zur „Goldenen Henne“ in Bewegung. Sie enterten an Bord, um mit den anderen zusammen die Deutschen zu „bewachen“. De Zavallo blieb gleich an Bord des requirierten Schiffes, die überrumpelten „Handelsfahrer“ mußten sich zähneknirschend seinen Befehlen beugen.
Die Seeleute der Führungsgaleone beobachteten genau, was sich an Bord der „Goldenen Henne“ abspielte.
„So“, sagte Lombardez gedämpft. „Jetzt sind wir den Hund von einem Teniente erst mal los. Ihr solltet froh darüber sein.“
„Bist du’s vielleicht nicht?“ zischte El Rojo ihm zu.
„Doch, natürlich.“
„Ich wünsche ihm nur das eine“, sagte Pedro Tores mit finsterer Miene. „Daß die Kerle dort drüben, wer immer sie auch sind, ihm die Gurgel durchschneiden.“
„Den Gefallen werden sie dir nicht tun“, raunte der Decksälteste. „So dumm können sie nicht sein. Wenn sie sich zur Wehr setzen, eröffnen wir das Feuer auf sie.“
„Mit unseren Leuten an Bord der Karavelle?“ fragte der Einarmige. „Das glaube ich aber nicht.“
„Wenn die Männer der Karavelle was unternehmen, werden sie den Teniente und die Soldaten höchstwahrscheinlich zu den Fischen befördern“, erklärte Lombardez ruhig. „Das wiederum bedeutet für uns, daß wir das Schiff in Stücke schießen können.“
„Und wenn sie den Schweinehund als Geisel nehmen?“ fragte Tores. „Was dann?“
Lombardez lächelte ein wenig. „Dann liegt die Bewertung bei unserem Kommandanten. Was ist ihm wichtiger, de Zavallos Leben oder das Schiff?“
„Für das Schiff würde er de Zavallo hopsgehen lassen“, sagte El Rojo leise. „Ganz klar. Hoffen wir, daß es soweit kommt.“
Doch so gespannt sie auch darauf warteten – an Bord der „Goldenen Henne“ geschah nichts dergleichen. De Zavallo führte den Befehl, das Schiff schien bereits ihm zu gehören oder seinem Kommando zu unterstehen. Alles beugte sich seiner Gewalt.
Insgeheim schalt sich Renke Eggens einen kompletten Narren und Anfänger. Welcher Teufel hatte ihn geritten, diesem Hundesohn von einem Teniente die Karavelle gewissermaßen anzubieten? War er verrückt?
Nein. Es hatte ja wirklich niemand ahnen können, was passieren würde. Renke traf keine eigentliche Schuld. Er hatte nicht wissen können, daß ein Mann wie dieser de Zavallo an Bord erschien. Und daß die Spanier zu solchen Mitteln wie diesem griffen, um sich Schiffe anzueignen.
Hinterher war man immer klüger.
„Wir hätten ausreißen können“, murmelte Hein Ropers. „Gleich, als wir die drei Kriegsschiffe sichteten.“
„Irgendwie war mir das Ganze gleich nicht geheuer“, sagte Karl von Hutten leise. „Aber ich habe auch nicht ahnen können, was kommt.“
„Scheiße“, sagte Jean Ribault nur.
Zur Hölle mit den Spaniern! Die „Goldene Henne“ war ein schnelles Schiff, sie hätte den Verband mit einiger Sicherheit abgehängt, wenn die Spanier nicht sehr reaktionsschnell gehandelt hätten. Aber genau das hatte Ribault ja vermeiden wollen – daß man vor den Dons Reißaus nahm. Das hatte er nun davon!
Die „Goldene Henne“ wurde von den Schiffen des Dreierverbandes eskortiert. Als sie wieder Fahrt aufnahmen, segelte die Kriegskaravelle im Kielwasser der „Goldenen Henne“, und je eine der Galeonen befand sich an Backbord und Steuerbord. Der Kurs führte nordwärts, St Augustine entgegen.
De Zavallo hatte Renke Eggens unterdessen mit neuen Fragen überhäuft. Renke mußte auf alles antworten, es blieb ihm keine andere Wahl. Ja, Kolberg existierte wirklich. Es lag an der Ostsee. Und es gab auch das Handelshaus von Manteuffel mit einer Niederlassung in Havanna.
Renke mußte die Papiere vorzeigen – und das Logbuch. Ja, die Crew bestand ausschließlich aus Deutschen, von dem „Bastard“ Karl von Hutten abgesehen. Jean Ribault hieß jetzt Jan Rebauer und war der Erste Offizier der „Goldenen Henne“. So einfach war das.
Aber was nutzte es, daß de Zavallo zumindest darauf hereinfiel? Überhaupt nichts – sie waren ihm ausgeliefert.
Als de Zavallo begann, persönlich die „Henne“ zu inspizieren, hatten Renke Eggens, Jean Ribault und Karl von Hutten Gelegenheit, sich miteinander zu unterhalten. Zwar hatte de Zavallo den „Indianerbastard“ unter Arrest gestellt, doch das beschränkte sich vorläufig darauf, daß die Soldaten von Hutten im Auge behielten, wie sie auch die anderen Männer bewachten.
Ribault und von Hutten konnten immerhin unbehelligt das Achterdeck betreten. Dort standen zwei Soldaten mit den Musketen in den Fäusten, aber sie konnten nicht verstehen, was Renke mit den beiden Männern besprach.
„So“, flüsterte Renke. „Jetzt sitzen wir im Schlamassel. Tut mir leid, aber das ist meine Schuld.“
„Unsinn“, sagte Jean Ribault. „Dir wirft keiner etwas vor.“
„Es wäre besser gewesen, wenn ich mich unter Deck zurückgezogen hätte“, sagte von Hutten. „Dann wäre dieser Drecksack nicht auf mich aufmerksam geworden.“
„Er hat doch nur einen Vorwand gesucht, um die ‚Hen‘ zu beschlagnahmen“, murmelte Renke. „Er hätte schon was anderes gefunden, keine Sorge. Vielleicht hätte ihm meine Nase nicht gepaßt, weil sie spanienfeindlich ist.“
„So ungefähr“, sagte Jean Ribault. „Aber was passiert ist, ist nun mal passiert. Laßt uns lieber überlegen, was wir unternehmen können, statt Trübsal zu blasen.“
„Wie stehen unsere Chancen?“ fragte von Hutten. „Wenn wir die Dons jetzt aus ihren Brustpanzern stoßen, haben wir die drei Kriegssegler am Hals.“
„Man könnte zum Beispiel den Teniente als Geisel nehmen“, schlug Jean Ribault leise vor. „Wäre das nicht eine Idee?“
„Wir halten ihm eine Pistole an die Schläfe und erpressen auf diese Weise freie Fahrt“, sagte Renke. „Warum nicht?“
„Oder wir brechen nachts aus dem Verband aus“, flüsterte von Hutten.
Jean Ribault schüttelte den Kopf. „Alles Mist. Witzlos. Die Dons kennen ja unser Ziel. Sie können uns nach Havanna folgen.“
„Was ist, wenn wir nicht nach Havanna segeln?“ fragte von Hutten.
„Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, erwiderte Jean Ribault. „Aber welchen Sinn hätte es? Wenn wir zur Cherokee-Bucht segeln, schaffen wir uns mit Hilfe unserer Freunde zwar die Dons vom Hals, aber Arne bleibt in Havanna weiterhin im Ungewissen, wo wir unseren neuen Stützpunkt anlegen.“
„Und das geht nicht“, sagte Renke. „Da gebe ich dir recht. Wenn Arnes Beobachtertätigkeit in Havanna überhaupt einen Zweck haben soll, dann muß er schleunigst wissen, wo er uns per Brieftauben erreichen kann.“
„Logisch“, sagte von Hutten. „Und die Brieftauben müssen sowieso erst auf die neue Flugroute eingetrimmt werden.“
„Pech auf der ganzen Linie“, sagte Jean Ribault. „Fatal in diesem Zusammenhang ist eben auch, daß wir nur mit der ‚Golden Hen‘ nach Havanna segeln können, mit keinem anderen Schiff.“
„Weil niemand unsere ‚Henne‘ kennt“, brummte Renke. „Ja, das war alles so schön ausgedacht und eingefädelt, und die Tarnung als deutsches Handelsschiff war perfekt. Beim Donner, warum mußte das schiefgehen?“
„Wegen dieses idiotischen Teniente“, sagte von Hutten. „Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Wir sind die einzigen, die Arne unterrichten können. Und wir müssen es tun, so schnell wie möglich. Die ‚Wappen von Kolberg‘ und die ‚Pommern‘ können Havanna ja erst etwa im August wieder anlaufen, weil sie offiziell am 13. Februar Kuba mit Kurs Kolberg verlassen haben.“
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