Die Schatzbeute der Flores-Caspicara-Bande war auf Great Abaco zurückgeblieben. Kisten und Truhen voll Gold, Goldschmuck und Diamanten, die am Strand der Cherokee-Bucht lagerten, hinzu kam die Beute von der „Caribian Queen“, die jetzt ebenfalls in dem neuen Versteck verstaut werden konnte.
Old O’Flynn zeigte den Freunden die Tropfsteinhöhle. Auch auf Hasard verfehlte der unterirdische Irrgarten seine Wirkung nicht. Er war beeindruckt. Old O’Flynns Hinweise hingegen, der „Knochenkerl“, der in der einen Seitenhöhle lag, könne irgendwann zu wandeln und zu spuken beginnen, ließen ihn kalt. Diese Art von Prophezeiungen kannte er von Donegal ja zur Genüge.
Siri-Tong übernahm es mit ihrer Crew, die Schatzbeute in die Tropfsteinhöhle zu verfrachten. Zügig wurden die Kisten und Truhen vom Strand der Bucht abgeräumt und fortgetragen. Mit Tauen fierten sie die Kisten in das Einstiegsloch der Höhle ab, und unten standen Männer bereit, um die Ladung in Empfang zu nehmen.
Hasard und die Rote Korsarin hatten einige trockene Nebenhöhlen als Lagerplatz für ihre Reichtümer ausgewählt. Hier wurden die Güter gestapelt – vorsichtshalber auf Hölzern, die sie von unten her gegen Feuchtigkeit schützen sollten.
An der Cherokee-Bucht begannen Hesekiel Ramsgate und dessen Männer unterdessen mit dem Ausbau einer kleinen Werft. Zunächst wurden die Hölzer, die sich in den Laderäumen der „Wappen von Kolberg“ und der „Pommern“ befanden, gelöscht und an Land geschafft, dann auch die Bedarfsgüter für den Schiffbau wie Werkzeuge, Nägel, Leim, Pech, Teer, Werg, Taue und Segeltuch.
Die Männer errichteten Schutzdächer, unter denen das Material vor Feuchtigkeit und Regen sicher lag, dann erst fingen sie an, die Fundamente der Werft zu bauen. Ramsgate hatte eine Zeichnung angefertigt, nach der sie zügig konstruieren konnten.
Mulligan ging mit einem anderen Trupp Männern an die Errichtung der Hütten am Ostende der Cherokee-Bucht. Zunächst zogen sie mit Äxten und Beilen, Sägen, Keilen und Vorschlaghämmern ins Inselinnere und schlugen Kiefern, Zypressen und Pinien. Sie befreiten sie von Ästen und Zweigen, transportierten sie zur Bucht und rammten die halbierten Stämme tief in den Grund. Sie würden als Halt für die Querbalken der Hüttenwände dienen.
Es waren recht zeitraubende Arbeiten, über denen der Vormittag schnell verstrich. Zur selben Zeit bereiteten sich auch die „Patrouillen“-Crews, deren Aufgabe die Erkundung der umliegenden Inselwelt war, auf ihre Fahrten vor.
„Wir laufen mit drei Schiffen aus“, sagte Hasard. „Mit der ‚Empress‘, der ‚Isabella‘ und dem Schwarzen Segler. Die ‚Isabella‘ und der Schwarze Segler werden nach Norden und Nordwesten erkunden. Donegal, du segelst hinunter zu den Andros-Inseln und nach Eleuthera.“
Der Wikinger und Old O’Flynn, die bei ihm am Wasser standen, nickten. Dann aber fragte der Alte: „Und was wird mit Mary? Soll ich sie mitnehmen? Bei ihrem Zustand?“
„Nein“, erwiderte der Seewolf. „Mary, Gotlinde und Gunnhild bleiben hier, beim neuen Stützpunkt. Sie werden die Männer versorgen und bekochen.“
„Das ist auch besser so“, sagte Thorfin Njal. „Wir wissen ja nicht, wem wir unterwegs begegnen. Es könnte Ärger mit Spaniern, Piraten oder Kannibalen geben.“
„Mit Kannibalen wohl am allerwenigsten“, sagte der Seewolf grinsend. „Aber wir müssen selbstverständlich immer auf alles gefaßt und vorbereitet sein.“
Don Juan de Alcazar war – logischerweise – nicht mehr an Bord der „Golden Hen“. Die Gefahr, in Havanna an Bord der Karavelle entdeckt zu werden, war viel zu groß. Don Juan half beim Bau der Hütten mit. Er blickte überrascht auf, als Hasard, Thorfin Njal und Old O’Flynn zu ihm traten.
„Juan“, sagte Hasard. „Ich möchte dich darum bitten, mit an Bord der ‚Isabella‘ zu kommen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.“
„Dagegen?“ Der Spanier lachte. „Ich bin froh darüber. Es interessiert mich ja selbst sehr, wie die anderen Inseln aussehen.“
„Gut.“ Hasard bedeutete ihm, ihn zu begleiten, dann versammelte er die Mitglieder seiner Crew, die sich an Land befand, in unmittelbarer Nähe der Werft.
„Ed“, sagte er. „Du gehst mit an Bord der ‚Empress‘. Donegals Crew ist zu klein, eigentlich hat er ja nur Martin Correa als festen Bootsmann. Die Frauen bleiben hier.“
„Aye, Sir“, erwiderte der Profos. „Wie wär’s, wenn wir auch die Zwillinge mitnehmen?“
„Daran habe ich auch schon gedacht“, entgegnete der Seewolf. „Also, Donegal, du nimmst Ed und die Zwillinge mit – außerdem den Kutscher, Nils Larsen und Sven Nyberg. Ist dir das recht?“
„Und ob“, erwiderte der Alte. „Das gibt eine feine Crew ab.“
„Nicht so voreilig“, erklärte Carberry. „Sag das nicht zu früh.“ Er setzte ein gleichsam teuflisches Grinsen auf.
„Fünf Mann als Verstärkung genügen mir“, sagte der Alte, ohne auf die Bemerkung einzugehen.
„Sechs Mann“, berichtigte Hasard junior, der mit seinem Bruder Philip junior hinzugetreten war. Aber sie wußten beide schon, was jetzt folgte.
„Ihr Burschen zählt nur als ein Mann“, brummte der Alte.
„Donegal, du solltest dich daran gewöhnen, daß sie jetzt erwachsen sind“, sagte Hasard.
„Die Kerlchen? Daß ich nicht lache!“
„Wir werden dir schon beweisen, was wir können“, sagte Philip junior. „Ich merke schon, du hast eine völlig falsche Meinung von uns.“
„Im Moment meine ich nur, daß ihr verdammt kiebig seid“, sagte Old O’Flynn.
Hasard unterbrach die Diskussion, indem er zum Aufbruch drängte. Wenig später begaben sich die Crews an Bord der Schiffe. Es blieb dabei nicht aus, daß Sir John, der karmesinrote Aracanga, und Plymmie, die Wolfshündin, mit an Bord der „Empress of Sea II.“ genommen wurden – ein Umstand, an den Old O’Flynn allerdings nicht gedacht hatte.
„Auch das noch“, sagte er mit gallebitterer Miene. „Jetzt haben wir das ganze Viehzeug an Bord.“
„Magst du meinen Sir John nicht?“ fragte Carberry drohend.
„Weiß ich nicht, hab’ ihn ja noch nicht probiert“, erwiderte der Alte frostig.
Plymmie setzte sich neben ihm auf die Planken der „Empress“ und blickte fragend zu ihm auf. Sie gab einen leisen, winselnden Laut von sich, dann stupste sie ihn mit ihrer Nase an.
„Na ja“, brummte Old O’Flynn. „Ist ja schon gut. Meinetwegen. Wir werden uns schon verstehen.“
An Bord der „Isabella IX.“, des Schwarzen Seglers und der „Empress of Sea II.“ wurden alle Vorkehrungen für das bevorstehende Auslaufen getroffen. Gegen Mittag gingen die Schiffe in See. Zurück blieben die „Caribian Queen“, die „Wappen von Kolberg“ und die „Pommern“.
Die „Empress of Sea II.“ lief auf ihrem südlichen Kurs gute Fahrt – bei handigem bis frischem Wind aus Nordosten. Rasch stellten sich Carberry, Nils Larsen und Sven Nyberg sowie der Kutscher auf die Besonderheiten des Schiffes ein. Die Zwillinge kannten sich ebenfalls bereits aus, sie fuhren ja nicht zum ersten Male auf der „Empress“.
Plymmie richtete es sich in der Nähe des Bugs gemütlich ein – nicht allzuweit von der Pantry entfernt. Sir John schien der einzige zu sein, der sich mit der neuen Umgebung noch nicht richtig zurechtfand. Er verließ die schützende Profos-Schulter vorläufig nicht und nervte Carberry mit seinen englischen und spanischen Flüchen und hektischer Ohr-Zwackerei.
In einem Punkt aber behagte die „Empress“ dem Profos doch nicht ganz.
„Hör mal zu, Donegal“, sagte er zu dem Alten, der selbst die Ruderpinne übernommen hatte. „Die Räume unter Deck sind verdammt eng. Ich fürchte, da stoße ich mir irgendwo den Kopf oder sonst was.“
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