Als dann die „Isabella“, die „Caribian Queen“ und „Eiliger Drache“ bei den vier anderen Seglern ankerten, blieb der Seewolf am Strand stehen und betrachtete sie in aller Zufriedenheit.
„Ja, das ist ein feines, geschütztes Plätzchen, Freunde“, sagte er, „von der Idylle ganz abgesehen.“
„Handige Bucht“, brummte auch der Profos. „Aber was sollte das ganze Theater? Mußtet ihr wirklich so tun, als ob ihr nicht hier wäret?“
„Das hatte seinen Sinn und Zweck“, entgegnete Jean Ribault.
„Natürlich“, sagte Hasard. „Die Tatsache, daß wir eure Schiffe nicht gleich entdeckt haben, ist der beste Beweis dafür, wie sicher die Bucht ist.“
„Wie wär’s denn, wenn wir unseren neuen Stützpunkt hier einrichten?“ fragte Dan.
„Darüber wollten wir mit euch diskutieren“, entgegnete Jean Ribault.
„Das werden wir tun“, sagte der Seewolf. „Nachher, am Lagerfeuer. Aber jetzt spannt uns nicht länger auf die Folter. Was gibt es Neues? Wo sind die algerischen Piraten?“
„Mubaraks wilde Horde?“ Don Juan, der inzwischen ebenfalls erschienen war, sah Hasard ernst an. „Die Kerle waren wirklich noch hier. Sie versuchten, die ‚Wappen‘ und die ‚Pommern‘ von der Seeseite mit Flößen anzugreifen, aber da tauchten wir auf.“
„Hat es einen Kampf gegeben?“ fragte Hasard.
„Klar“, erwiderte Old O’Flynn. „Die Alis waren total verrückt. Es muß an dem langen Inselaufenthalt gelegen haben. Jedenfalls nahmen sie mit ihren Flößen Kurs auf uns. Na, und wir haben es ihnen mit den Drehbassen besorgt.“
„Und den Rest haben die Haie erledigt“, fügte O’Brien hinzu.
„Das müßt ihr uns heute abend noch ausführlich berichten“, sagte der Seewolf. „Unsere Befürchtung, daß sie sich noch hier befinden könnten, war also gerechtfertigt.“
„Zehn Monate haben sie hier festgesessen“, sagte Renke Eggens. „Aber die Sonne hatte nicht nur ihre Gesichter verbrannt. Sie muß sie auch um den Verstand gebracht haben. Wie konnten sie es wagen, uns nahezu unbewaffnet anzugreifen?“
„Das war Mut“, sagte Old O’Flynn. „Sie haben alles auf eine Karte gesetzt.“
„Trotzdem haben sie es falsch angepackt“, sagte Jean Ribault. „Sie hätten sich als Schiffbrüchige ausgeben sollen.“
„Das haben sie ja getan“, sagte O’Brien. „Der eine hüpfte wie ein Irrer am Strand herum. Aber wir haben ihn durchschaut. Weil Renke sich rechtzeitig genug daran erinnert hat, was hier im letzten Jahr vorgefallen war.“
„Hallo, Mary!“ rief Dan plötzlich. Er winkte zur „Empress“ hinüber. „Wie geht’s denn so?“
„Ich bin bester Dinge!“ rief Mary. „Und guter Hoffnung für eure Sippe!“
„Wie soll ich das denn verstehen?“
„So, wie ich’s gesagt habe!“ rief sie und lachte amüsiert, als sie sein Gesicht sah.
„Augenblick mal, Miß Snugglemouse!“ schrie Old O’Flynn. „Das wollte ich doch – schön langsam und deutlich, meine ich – äh, erklären!“
„Fängst du schon wieder an?“ stieß sie drohend hervor. „Nimm dich ja in acht, Mister O’Flynn! Ich bin ganz schön nervös!“
Old O’Flynn schnappte nach Luft. Dan wandte den Kopf und sah seinen Alten völlig entgeistert an.
„Sag mal!“ stieß er hervor. „Ist das dein Ernst?“
„Mach’ ich vielleicht Witze?“ fragte Old O’Flynn unwirsch zurück.
„Das kann nicht sein“, sagte Dan. Er mußte sich erst mal hinsetzen und ließ sich einfach in den Sand sinken.
„Sei doch froh“, sagte Carberry grinsend. „Es gibt wieder Nachwuchs. Donnerwetter, Donegal, das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
Der Alte legte den Kopf ein wenig schief und musterte den Profos grimmig. „Wie meinst du das, Mister Carberry!“
„So, wie ich’s sage. Eine tolle Überraschung!“
„Wirklich toll“, pflichtete Hasard ihm bei. Dann drückte er dem Alten kräftig die Hand. „Meinen Glückwunsch, Donegal.“
„Langsam, langsam“, sagte der verlegen. „Noch ist ja nichts da. Wird wohl auch noch ’ne Weile dauern. Äh, sieben Monate, schätze ich.“
„Mann, Mann“, sagte Dan. Er war immer noch erschüttert. „Da ist man mal ein paar Tage weg, und schon passiert so was. Ein Ding ist das! Ein schwerer Hammer!“
„Ach was!“ rief Carberry. „Es ist das beste Stück, das Old Donegal seit langem zustande gebracht hat, sage ich! He!“ Er winkte zur „Isabella“, zur „Caribian Queen“ und zum Schwarzen Segler hinüber. „Habt ihr das gehört? Mary wird Mutter! Und Donegal Vater!“
Die Kunde wurde mit Pfeifen, Johlen und Gebrüll quittiert. Hasard schüttelte nur lächelnd den Kopf und trat mit Jean Ribault und Don Juan ein wenig zur Seite.
„Erstaunlich“, sagte er. „Das hätte ich kaum für möglich gehalten.“
„Ja, unser alter Poltergeist steckt nun mal voller Überraschungen“, sagte Jean Ribault.
Dan teilte die allgemeine Freude weniger. Er war immer noch ziemlich schockiert. Am liebsten hätte er sich die Haare gerauft. Ja, es stimmte: Sein „Alter“ war für jede Art von Überraschung gut. Daß er „was Kleines“ auf Stapel legen würde, hätte Dan nun wahrhaftig nicht erwartet.
Er rappelte sich auf und musterte den Alten fassungslos. „Träum’ ich oder spinn’ ich?“
„Hör auf“, sagte Old O’Flynn brummig. „Übertreib’s nicht. Du hast nun gehört, was los ist, und damit hat sich der Fall.“ Frostig fügte er hinzu: „Wenn du nicht für Nachwuchs sorgst, muß ich das eben tun, klar? Schließlich muß die Sippe der O’Flynns vor dem Aussterben bewahrt werden.“
„Ach, deswegen ist die gute Mary schwanger?“ fragte Dan entgeistert.
„Weswegen denn wohl sonst?“
Dan gab es auf, weiter mit ihm herumzudebattieren. Es hatte keinen Sinn. Der Alte mußte immer das letzte Wort haben, auch wenn seine Argumente einem die Stiefel auszogen. Dagegen war kein Kraut gewachsen. Aber Dan brauchte eine gute Stunde, um die Nachricht zu verdauen.
Es wurde allmählich dunkel. Am Strand wurde ein großes Feuer entfacht. Das Backen und Banken fand noch an Bord der Schiffe statt, aber dann begaben sich die Crews mit den Jollen an Land, und alle versammelten sich um das Lagerfeuer.
Hasard hatte zwei Fässer Wein aus den Vorräten der „Isabella“ an Land schaffen lassen. Der Kutscher und Mac Pellew stachen das erste Faß an, und der dunkelrote Wein lief in die Mucks und Becher, die herumgereicht wurden.
Hasard hob seine Muck. „Auf das Wohl des Bundes der Korsaren!“
„Auf unseren Bund!“ riefen die Männer im Chor.
„Und auf den Nachwuchs!“ rief Jean Ribault.
„Auf den Nachwuchs!“ ertönte es. Und dann riefen alle: „Prost!“
Renke Eggens, Oliver O’Brien, Jean Ribault, Old O’Flynn und Don Juan de Alcazar schilderten nun, was sich zugetragen hatte, als sie mit ihren Schiffen Great Abaco erreicht hatten. Hasard, Siri-Tong und der Wikinger sowie die Besatzungen der neu eingetroffenen Schiffe erfuhren, wie sich der Kampf gegen Mubaraks Horde abgespielt hatte, in allen Einzelheiten.
Danach war noch einmal die Rede vom O’Flynnschen Nachwuchs – und wie der Alte seinen „Rappel“ gekriegt hätte, als er von Mary über das freudige Ereignis aufgeklärt worden wäre.
„Plötzlich war er weg“, sagte Ribault. „Einfach auf und davon und spurlos verschwunden.“
„Ich fiel in ein Geisterloch“, erklärte Old O’Flynn mit dumpfer Stimme, und er berichtete, wie er Bekanntschaft mit der Tropfsteinhöhle geschlossen hätte. Danach war wieder Ribault an der Reihe. Er erzählte, wie sie den Alten wiedergefunden hätten. Als letztes war dann die Schilderung fällig, wie es in dem Höhlenlabyrinth aussah.
„Auch das ist wichtig für uns“, sagte der Seewolf. „Ihr habt ganze Arbeit geleistet.“
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