„Sinona heißt der Kerl“, sagte der Profos zu Ben Brighton. „Das wird sicher ein Halbbruder von Medina Sidonia sein, was den Namen betrifft, oder ein abgebrochener Enkel.“
„Sie sprachen von einer Insel, die Sie irrtümlich anliefen“, fuhr Hasard fort, ohne die Worte des Profos zu beachten. „Wie groß ist diese Insel, und wie weit ist sie entfernt?“
„Nur ein paar Stunden“, sagte der Spanier. Immer noch stand nackte Angst in seinem Gesicht. „Sie ist nicht sehr groß, es lebten nur ein Dutzend Eingeborene dort.“
„Lebten?“ fragte Hasard gefährlich leise. „Heißt das, sie leben jetzt nicht mehr?“
„Sie flüchteten, als wir die Insel anliefen.“
„Das werde ich überprüfen“, versprach Hasard. „Sie haben natürlich alles plündern lassen, nicht wahr?“
Sinona wand sich unbehaglich in seinen Stricken.
„Meine Leute haben ein paar Nüsse mitgenommen – und eine Handvoll Hühner, die da herumflatterten.“
Hasard sah den Kerl voller Verachtung an.
„So wie ich Sie einschätze, haben Sie alles zerstört. Wahrscheinlich selbst die armseligen Hütten der Insulaner. Ist das richtig?“
„Meine Leute“, sagte Sinona lahm, „ich habe es nicht gesehen.“
Er versuchte, dem Seewolf in die Augen zu blicken, aber er schaffte es nicht, er hielt dem Blick nicht stand.
„Wir sind doch Landsleute“, sagte er sehr leise. „Wir können uns doch nicht gegenseitig behindern, nur weil ein paar Insulaner …“
Verwirrt sah er sich um, blickte von einem zum anderen und sah in harte, abweisende Gesichter.
Da versetzte Hasard ihm den nächsten Schlag.
„Landsleute?“ höhnte er. „Mein lieber Sinona, Sie befinden sich an Bord einer englischen Galeone. Hier gibt es nur die Spanier an Bord, die eben Prügel bezogen haben.“
Er ließ die Worte wirken und sah den Spanier unverwandt an.
Sinonas Lippen bewegten sich, seine Augen irrten hin und her, er wollte es nicht glauben, andererseits war an den Worten des schwarzhaarigen Mannes nicht zu zweifeln, der hatte nicht den geringsten Grund, ihm etwas vorzulügen.
Sein Gesicht nahm eine ungesunde graue Farbe an. Dann schoß ihm eine Blutwelle über das Gesicht, und er begann zu würgen.
„Das ist nicht wahr, Senor.“
Er zitterte so stark, daß er nicht weitersprechen konnte. Der Gedanke, der ihn überfiel, war so ungeheuerlich, daß er ihn nicht zu Ende denken mochte.
„Engländer“, wiederholte er tonlos nach einer Ewigkeit. „Das Schiff heißt ‚Isabella‘ und Sie – Sie sind …“
„El Lobo del Mar“, sagte der Profos grinsend. „Der Seewolf, du Rübenschwein, jener Seewolf, der eurer Allerkatholischsten Majestät immer wieder zu Magenschmerzen verhilft und euch Affenärschen die Haut abzieht. Und jetzt reiß nicht gleich den Mast aus dem Kielschwein, du verlauste Wanderratte.“
Selten hatten die Seewölfe eine derartige Betroffenheit im Gesicht eines Mannes gesehen, wie es hier der Fall war.
Sinona bäumte sich auf, und es sah wirklich so aus, als wollte er vor lauter Angst den Mast aus dem Kielschwein reißen.
„Dann werden wir alle hängen“, murmelte er mit zuckenden Lippen. „Wir sind verloren.“
„Sie sind verloren“, wiederholte Hasard. „Verlorene der Meere, Verdammte der Inseln. Haben Sie schon Brotfruchtpflanzen ausgraben lassen?“
„Bevor wir Ihr Schiff sahen“, hauchte der Kapitän entnervt. „Aber nur ein paar, wir wollten noch warten.“
„Dann werden Sie sämtliche Pflanzen wieder an Ort und Stelle eingraben, und zwar Sie persönlich, und mein Profos wird dabeistehen und die Arbeit überwachen. Sie sind mir für jede einzelne Pflanze persönlich verantwortlich. Haben Sie das begriffen?“
„Ja“, kam es kläglich über Sinonas Lippen. „Ich werde alles tun, bevor Sie mich hängen.“
„Das würde ich Ihnen auch empfehlen. Mit einem guten Gewissen hängt es sich viel ruhiger“, sagte Hasard.
Sinona rang sich zu einem Entschluß durch. Er zitterte immer noch sehr stark, und sein Blick irrte hin und her.
„Würden Sie mir Pardon gewähren, Senor?“ fragte er bebend.
„Das Wort kenne ich nicht. Es fehlt in meinem Sprachschatz.“
„Ich weiß“, murmelte der Spanier. „Ich weiß es, aber ich habe Angst um mein Leben.“
„Das hat jeder. Sogar die Insulaner haben Angst um ihr Leben und um ihre Existenz, wenn man ihnen die Grundlage dazu entzieht.“
„Ich flehe Sie an, Senor, bitte. Ich will nicht hängen, nein, ich will nicht hängen!“ schrie er laut.
Niemand dachte auch nur entfernt daran, ihn zu hängen, Hasard hätte ihn nicht einmal auspeitschen lassen. Aber das wußte dieser Don natürlich nicht, und so wurde seine Angst immer größer, und er versuchte erneut, sich von seinen Stricken loszureißen, um wenigstens über Bord springen zu können.
Da müssen ja schöne Schauergeschichten über El Lobo del Mar in Umlauf sein, dachte Hasard. Ganz besonders bei den Spaniern, die ihn schon lange zu ihrem Todfeind erklärt hatten.
Er sah Sinona noch vor sich, arrogant und überheblich, wie er die „Isabella“ requirieren wollte, und bei diesem Gedanken lachte er leise.
Sinona nahm es jedoch als Beweis dafür, daß er bald hängen würde, und diese unbeschreibliche Angst ließ ihn fast wahnsinnig werden.
„Ich habe noch einen Beutel Perlen an Bord der ‚Kap Hoorn‘ versteckt“, sagte er. „Er befindet sich in meiner Kammer. Niemand weiß es. Den gebe ich Ihnen für mein Leben.“
Hasard sah seine Männer der Reihe nach an, wie sie verächtlich auf den zitternden Kerl blickten.
„Ach, Sie möchten sich freikaufen?“
„So ist es, Senor“, keuchte Sinona.
„Mag einer von euch Perlen?“ fragte Hasard die Seewölfe.
Alle schüttelten die Köpfe.
Da sah Sinona ein, daß seine letzte Stunde geschlagen hatte. Nein, dachte er, dieser schwarzhaarige Teufel kannte keine Gnade. Er hatte ihn beleidigt, und jetzt erhielt er die Rechnung von ihm. Namenlose Angst würgte ihn, er lief grünlich an, und danach wich wieder alle Farbe aus seinem Gesicht.
Nie im Traum hätte er daran gedacht, sich einmal an Bord jenes Schiffes zu befinden, das dem Seewolf gehörte, über den soviel Gerüchte und Legenden kursierten.
„Bindet ihn los und bringt ihn ins Boot“, sagte Hasard. „Und damit Sie nicht mit vollen Hosen von Bord gehen, Sinona, verspreche ich Ihnen, daß Sie nicht hängen werden. Auch Ihre Leute nicht. Wir werden Sie auf der Nachbarinsel aussetzen oder auf einer anderen, die nicht bewohnt ist, damit Sie keinen Schaden mehr anrichten können und die Insulaner um ihre Existenz bringen. Aber zuvor regeln Sie das mit den Brotfruchtpflanzen und sorgen dafür, daß Ihre Leute am Strand die Waffen niederlegen, sonst erleben Sie die Hölle.“
Sie hatten ihn kaum losgebunden, als er vor dem Seewolf auf die Knie fiel und sich bekreuzigte.
„Ich danke Ihnen, Senor!“ rief er. „Ich werde Ihnen das nie vergessen, nie Senor.“
Hasard ließ ihn winseln. Er hörte nicht mehr hin, er wollte auch nichts mehr hören, der Kerl widerte ihn an.
Leise lachend drehte er sich um und ging zum Achterkastell.
Von dort aus sah er, wie der Profos Sinona am Genick packte und vor sich herschob. Er begleitete Sinona mit schauderhaften spanischen Flüchen, von denen „Rübenschwein“ noch das harmloseste war.
Jetzt kann auch Don Alfredo aufkreuzen, dachte Hasard. Dann würde das Großreinemachen weitergehen …
Fußnote
1)Papalagi, sprich: Papalatschi = Stammeshäuptling der Südsee-Inseln, meist ältere Männer.
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