Mulligan, der auf Terrys anderer Seite stand, war als Schiffszimmermann auf der „Fidelity“. Er war ein großer, ungeschlachter Klotz mit stoppelkurzen strohblonden Haaren und einem etwas träumerischen Blick.
Der Ausdruck der kalten Augen des Mannes neben ihm war alles andere als träumerisch. Halibut hieß der Kerl, der sich an Mulligans Seite hielt. Mit seinem stumpfsinnigen Gesichtsausdruck hatte er schon so manchen getäuscht, aber der Seewolf spürte, daß dieser Kerl zu der hinterhältigen Sorte gehörte, die es fertigbrachte, die eigene Großmutter wegen ein paar Pennies um die Ecke zu bringen.
Die vier anderen Burschen waren dem Seewolf vom Namen her unbekannt, aber sie standen den anderen wahrscheinlich an Kampfkraft in nichts nach. Terry hatte sicher nicht die schwächsten Kerle für diesen Landgang ausgesucht.
„Es gibt nicht viele Möglichkeiten für die überlebenden Schiffbrüchigen, sich hier in dieser Gegend zu verbergen“, begann Terry. „In den Dörfern dürfen sie sich nicht sehen lassen, weil man ihnen die Haut abzieht, wenn man sie unbewaffnet erwischt. Und sie werden außer ein paar Messern keine Waffen mehr bei sich haben.“
Der Seewolf nickte. „Ich nehme auch an, daß sie sich in den Wäldern verborgen haben. Es dürfte uns nicht schwerfallen, sie zuhauf zu treiben und gefangenzunehmen.“
Terry blickte den Seewolf an.
„Und was wollen Sie mit den Kerlen anfangen, Killigrew?“ fragte er zynisch. „Wollen Sie sie in Ihre Kammer zu einem Glas Port einladen?“
„Darf ich mit einer Gegenfrage antworten, Terry?“ fragte Hasard zurück. „Wie haben Sie es sich vorgestellt?“
„Eine ziemlich einfältige Frage, Mister Killigrew“, erwiderte Easton Terry überheblich. „Wir werden uns ein oder zwei Gefangene holen und den Rest über den Haufen schießen oder niederstechen, damit wir nicht irgendwann und irgendwo wieder auf sie treffen, wo sie uns dann töten könnten.“
Aus den Augenwinkeln sah der Seewolf die harten Gesichter seiner Männer, und er war froh, daß Terrys mörderische Absicht bei ihnen genauso auf eisige Ablehnung stieß wie bei ihm selbst.
„Wir sind keine Mörder, Mister Terry“, sagte Hasard kalt. „Merken Sie sich das, solange Sie unter meinem Kommando stehen. Wir werden alle Piraten, die wir im Wald auftreiben, lebend einfangen und an Bord unserer Schiffe bringen.“
„Dürfen wir uns wehren, wenn sie uns angreifen?“ fragte der Mann namens Halibut hämisch, und Terry, der es sich eigentlich hätte verbitten müssen, daß sich einer seiner Männer ungefragt in die Unterhaltung einmischte, setzte nur sein abfälliges Lächeln wieder auf.
Der Seewolf überging die Bemerkung des plattnasigen Mannes.
„Ich werde jede Zuwiderhandlung gegen meinen Befehl unnachsichtig bestrafen“, sagte er mit harter Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
Terry drehte sich mit einem Grinsen um und wollte seinen Männern das Zeichen zum Aufbruch geben, aber Hasards Stimme hielt ihn zurück.
„Es ist nicht so, daß ich Ihnen nicht traue, Mister Terry“, sagte er, „aber ich möchte, daß ein paar meiner Männer mit Ihnen gehen, ein paar von Ihren Männern mit mir.“ Er drehte sich um. „Shane, Blacky und Carberry, ihr schließt euch der Gruppe Mister Terrys an.“
Sie traten sofort zu Terrys Leuten hinüber. Hasard dachte einen Augenblick daran, ob er keinen Fehler begangen hatte, ausgerechnet Carberry mit Terry gehen zu lassen, aber dann schüttelte er den Kopf. Wenn Ed auch manchmal leicht explodierte, in bestimmten Situationen behielt er einen klaren Kopf.
Terry teilte Stoker, Halibut und einen dritten Mann ein, dessen Name Hasard nicht kannte. Dann brach Terrys Gruppe auf und verschwand zwischen den Felsen. Edwin Carberry warf noch einen Blick zurück, den Hasard auffing. Er wußte, was der Profos ihm sagen wollte, doch er würde schon hart genug sein, um seinen Willen gegen Terry durchzusetzen.
Dan O’Flynn war vor die drei Terry-Männer getreten.
„Na, hoffentlich scheißt ihr euch nicht in die Hosen, wenn der Kampf losgeht“, sagte er grinsend.
Halibuts strichdünner Mund öffnete sich. Ein Zischen drang zwischen seinen schmalen Lippen hervor. Plötzlich hielt er ein Messer in seiner rechten Hand und reckte es Dan entgegen. Der hatte sofort reagiert, und die haarnadelscharfe Spitze seiner abgesägten Pike, die er sich an Bord der „Hornet“ gebastelt hatte, klirrte gegen die Schneide von Halibuts Messer.
„Hört auf mit dem Quatsch“, sagte Hasard. Er wandte sich an den dritten Mann. „Wie heißen Sie?“
Der Mann blickte ihn mißtrauisch an.
„Bingham, Sir!“ knurrte er. „Warum wollen Sie das wissen?“
Der Seewolf dachte: ein seltsamer Haufen, diese Leute von Terry. Er sagte: „Es könnte doch sein, daß ich Sie warnen müßte, Bingham, nicht wahr? Sie wissen schneller, daß Sie gemeint sind, wenn ich Sie mit Ihrem Namen anrufen kann, oder?“
Der Mann senkte den Kopf und nickte leicht.
„Tut mir leid, Sir“, sagte er. „Ich wollte nicht unhöflich erscheinen.“
Das waren ganz neue Töne, und Matt Davies, Dan und Stenmark nickten sich überrascht zu. Ferris Tucker hatte sich neben Stoker aufgebaut, falls dieser auch noch irgendwas zu sagen hatte. Doch der affenartige Mann hielt den Mund.
Hasard ging den Männern voraus. Zuerst folgte er den Spuren von Terrys Leuten, doch als sie den Wald vor sich sahen, schwenkte er nach Norden ab.
Die Bäume bewegten sich knarrend im steifen Westwind und übertönten die Geräusche, die die Männer verursachten.
Hasard wußte nicht, wie weitläufig das Waldgebiet war. Er hoffte nur, daß sich die Piraten nicht allzuweit von der Küste entfernt hatten.
Weiter nach Westen sah Hasard eine Kirchturmspitze über einen Hügel ragen. Die Nähe des Dorfes beunruhigte ihn, doch dann schüttelte er die Gedanken an die Gefahr ab. Sie hatten einen Auftrag zu erfüllen, und von Erfolg oder Mißerfolg hing das Wohl Englands ab, das der Rache der Spanier hilflos ausgeliefert war, wenn es dem Feind gelang, in Frankreich einen Verbündeten zu finden.
Sie wären fast mit dem Messer aufeinander losgegangen, als sie sich in der Dämmerung zwischen den hohen, geraden Stämmen der Kiefern begegnet waren. Erst im letzten Augenblick hatte ein Wort des anderen sie erkennen lassen, daß sie keine Feinde waren, sondern vernichtend geschlagene Freunde, die Glück im Unglück gehabt und den Untergang ihrer Schiffe überlebt hatten.
Pierre Servan und Jean Bauduc hatten mit zitternden Händen ein kleines Feuer entfacht, an dem sie klappernd hockten und versuchten, ihre völlig durchnäßte Kleidung zu trocknen.
Pierre Servan, der Kapitän der von den verfluchten Engländern versenkten „Antoine“ hatte sein gestreiftes Hemd auf einen Stock gehängt und schwenkte es über dem Feuer. Sein schwarzer, mit breiter Krempe versehener Hut, den er wie durch ein Wunder am Strand gefunden hatte, nachdem er der kochenden See entgangen war, lag neben ihm am Boden, noch immer feucht. Aber er hatte seine Form zum Glück nicht verloren. Sein graues Haar hing ihm wirr in die Stirn, sein Schnauzbart sträubte sich, weil er immer wieder darüber gerieben hatte.
Jean Bauduc, sein Leidensgefährte von der zerstörten „Petite Fleur“, kümmerte sich um seinen riesigen Waffengurt mit den drei Pistolen, die er krampfhaft festgehalten hatte, als er durch die mörderischen Brecher an Land geschwommen war. Die Waffen waren zur Zeit nutzlos, weil das Pulver vom Wasser unbrauchbar geworden war, doch er war froh, daß sie ihm nicht verlorengegangen waren.
Seine dunklen Augen starrten in das Feuer. Er hatte seine Hände über seinem Bauchansatz verschränkt und fluchte kaum hörbar vor sich hin.
„Hör auf zu fluchen, Jean“, sagte Pierre Servan unwillig. „Das hilft uns nichts. Grammont kann uns nichts vorwerfen. Wir haben gekämpft wie die Löwen, aber die Engländer waren eben besser bewaffnet als wir. Ich dachte, mich trifft der Schlag, als plötzlich Stückpforten an den Seiten der Schiffe klafften und die Culverinen Feuer auf uns spuckten.“
Читать дальше