Wir schaffen es nicht! schrie es in Le Testu. Er hatte mit der rechten Hand ein armlanges Messer aus der Scheide am Gürtel gezogen und hieb damit auf einen Soldaten ein, der versuchte, Montbars mit seinem Säbel aus dem Sattel zu fegen.
In diesem Augenblick brach die Hölle los. Le Testu fühlte sich wie von einer Riesenfaust angehoben und in die Luft geschleudert. Er versuchte noch, sich an Montbars festzuklammern, aber die Gewalten, die an ihm zerrten, waren zu stark.
Ein ohrenbetäubendes Krachen war in der Luft, das sich zu einem Höllenlärm steigerte. Der Soldat mit dem Säbel war plötzlich verschwunden. Der Himmel hatte sich grellrot gefärbt, und als Le Testu von einer neuen Druckwelle um die eigene Achse gewirbelt wurde, sah er, wie aus allen drei Wagen immer wieder Lichtblitze hervorzuckten, begleitet von donnerndem Krachen.
Er rappelte sich auf. Ein wiehernder Schweißfuchs wollte an ihm vorbei. Instinktiv griff Le Testu nach den hängenden Zügeln und hängte sich daran.
Er wurde einige Schritte mitgeschleift, bevor das Tier schnaubend stehenblieb und Le Testu sich in den Sattel schwingen konnte.
„Montbars!“ brüllte er durch den Lärm.
Eine hochgewachsene Gestalt tauchte neben ihm auf, das dunkle Gesicht rauchgeschwärzt. Zuerst erkannte er den Mann nicht und wollte schon mit dem langen Messer nach ihm stechen, doch dann entblößte der Korse sein Gebiß, und an den blitzenden weißen Zähnen und dem verwegenen Grinsen erkannte Le Testu den Kumpan. Er zerrte Montbars in den Sattel und trieb den Schweißfuchs an, der sofort in Galopp fiel und froh zu sein schien, dem Inferno zu entgehen.
Le Testu beugte sich weit über die Mähne des Fuchses. Erst als er die Laubbäume des kleinen Waldstückes erreicht hatte, wagte er, sich umzudrehen.
Eine dichte, undurchdringliche Rauchwolke, aus der immer noch Blitze schossen, hüllte die drei Wagen ein. Gestalten taumelten aus dem Qualm hervor, wurden aber von den Soldaten, die sich außerhalb des Qualms zurückgezogen hatten, mit Kugeln und Säbelhieben empfangen. Le Testu sah keinen von seinen Leuten, der es geschafft hätte, den tödlichen Ring zu durchbrechen.
Dann sah er, daß man auch sie entdeckt hatte. Doch nur wenige Soldaten waren noch zu Pferde. Die höllische Explosion der Pulverfässer auf den Wagen hatte die meisten Tiere das Weite suchen lassen, nachdem sie ihre Reiter abgeworfen hatten.
Zwei Soldaten wendeten auf den Befehl eines Offiziers ihre Pferde und preschten hinter dem Schweißfuchs her, auf dem Le Testu und Montbars saßen.
Le Testu ließ dem Schweißfuchs die Zügel frei. Er merkte sofort, daß er ein ausgezeichnetes Tier erwischt hatte, das trotz der doppelten Last, die es zu tragen hatte, ein starkes Tempo vorlegte. Sie jagten den Weg entlang, der durch das Waldstück führte. Als sie über die nächste freie Strecke galoppierten, erkannte Montbars, der sich umgedreht hatte, daß die beiden Soldaten ihre Pferde am Rande des Waldstückes gezügelt hatten.
„Sie geben auf!“ brüllte er Le Testu ins rechte Ohr. „Die Hosenscheißer haben Angst! Wahrscheinlich werden sie ihrem Offizier irgendein Märchen erzählen, weshalb sie die Verfolgung abbrechen mußten!“
Le Testu lachte wild auf, obwohl ihm nach allem anderen als nach Lachen zumute war.
Doch wichtig war erst einmal, daß sie ihr Leben gerettet hatten. Alles andere ließ sich wahrscheinlich wieder einrenken. Er ahnte, daß keiner seiner Leute den Soldaten entgangen war. Die meisten von ihnen waren sicher tot. Le Testu hoffte, daß sich alle bis zum letzten Atemzug verteidigten, denn wenn jemand den Soldaten in die Fänge geriet, erwartete sie der Galgen. Auch für Le Testu bestand dann eine Gefahr. Jeder seiner Leute kannte das Versteck, in dem er die geraubten Waffen verborgen hatte, die er für seine gerechte Sache brauchte.
Er schüttelte die Gedanken ab und trieb den Schweißfuchs wieder an.
„Achtung!“ brüllte Montbars und warf sich gegen den Rücken von Le Testu.
Dieser spürte, wie der Schweißfuchs plötzlich unsauber ging, und dann stand der helle Knall einer Muskete in der morgendlichen Luft.
Mit einem Satz waren Le Testu und Montbars vom Rücken des stolpernden Schweißfuchses. Sie überrollten sich am Boden und waren schon wieder auf den Beinen, als der Schweißfuchs zusammenbrach, noch einmal mit den Hufen zuckte und dann still lag.
Le Testu sah die kleine graue Wolke vor dem Dunkel der Bäume, wo die beiden Soldaten angehalten hatten. Er sah, daß sich Montbars ziemlich in ihren Absichten getäuscht hatte. Sie dachten nicht daran, die beiden flüchtigen Schnapphähne entwischen zu lassen. Ihre triumphierenden Schreie waren bis hierher zu hören, und als sie ihre Pferde wieder in Galopp trieben, hetzten Le Testu und Montbars auf das nächste Waldstück zu, das etwa hundert Schritte vor ihnen lag.
Die Zunge hing ihnen aus dem Hals, als sie endlich zwischen den ersten Bäumen waren. Die Reiter hatten mächtig aufgeholt und waren nur noch fünfzig Schritte von dem toten Schweißfuchs entfernt.
Le Testu und Montbars sahen, wie sie ihre Tiere zurückrissen und auf den toten Fuchs starrten. Sie unterhielten sich eine Weile, schauten ein paarmal zum Wald und zogen dann ihre Pferde herum. Wie von Furien gejagt, hetzten sie zurück.
Le Testu blickte Montbars an.
„Verstehst du das?“ fragte er den Korsen.
Montbars schüttelte den Kopf.
„Keine Ahnung“, sagte er. „Vielleicht hast du ein Pferd erwischt, das für irgend jemanden eine große Bedeutung hat. Vielleicht fürchteten sie, daß man ihnen den Hals abschneidet, weil sie den Schweißfuchs erschossen haben.“
Le Testu zuckte mit den Schultern. Ihm war es gleichgültig, aus welchem Grund die Soldaten umgekehrt waren. Hauptsache, sie hatten die Flucht geschafft. Er nickte Montbars zu, und sie begannen, nach Norden zur Küste zu marschieren.
Der Sturm hatte sie gezwungen, in der Bucht von Sillon de Talbert Schutz in einer Felsenhöhle zu suchen. Sie hatten ein kleines Feuer entzündet und ein Kaninchen gebraten, das der Korse mit seinem Messer erlegt hatte.
Dann waren sie vom Kanonendonner aufgeschreckt worden, der mit dumpfem Gebrüll über die Bucht hallte. Der Sturm hatte ihnen die Geräusche einer harten Schlacht an die Ohren getragen. Zeitweise hatten sie sogar brüllende Stimmen vernommen, deren Klang sie davon überzeugte, daß es englische Schiffe waren, die im Kampf mit irgendwelchen französischen Piraten lagen.
Dann hatten sie beobachtet, wie Männer an Land schwammen. Wahrscheinlich war ihr Schiff untergegangen. Sie hatten es nicht gewagt, ihre Höhle zu verlassen, aber in Le Testu war ein Plan gereift, den er in der ersten Morgendämmerung, die von feuchten Nebelbänken durchzogen wurde, Montbars mitteilte.
„Die armen Hunde sind fertig“, sagte er. „Sie werden froh sein, wenn sie irgendwo ihre Klamotten trocknen können. Weißt du was, Montbars? Wir werden sie sammeln, und dann haben wir eine neue Bande, mit der wir unsere Aufgabe fortführen können.“
„Es sind Kerle, die gegen die Engländer gekämpft haben“, meinte der Korse zweifelnd. „Vielleicht sind es Soldaten Seiner katholischen Majestät.“
Le Testu wiegte den Kopf.
„Wir werden sehen“, sagte er. „Komm, wir wollen nicht solange warten, bis sie sich in alle Winde verstreut haben.“
Der Sturm hatte etwas abgeflaut, als sie die Höhle verließen und in dem riesigen Waldgebiet untertauchten, in dem auch die Schiffbrüchigen verschwunden waren.
Der Nebel verschluckte fast alle Geräusche.
Montbars und Le Testu hatten Mühe, einander wiederzufinden, wenn sie sich mal ein wenig voneinander trennten, um in den dichten Schwaden ein größeres Stück des Waldes abzusuchen.
Es wollte nicht richtig hell werden an diesem Morgen. Immer wieder starrte Le Testu zu den Wipfeln der Kiefern hinauf, in denen der Nebel nistete und herunterdrückte. Wie ein feuchtes Tuch legte er sich auf die Haut der beiden Männer, die verbissen weitersuchten.
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