Die beiden anderen Kutscher hoben nur die Schultern. Sie brauchten das Geld, das sie mit der Fahrt verdienten, für ihre Familien.
Der Bretone verschwand in der Nacht.
Der Spanier tauchte bei ihnen auf.
„Wo ist der sture Kerl geblieben?“ fragte er.
Der Kutscher des zweiten Wagens zuckte mit den Schultern und wies mit dem Daumen hinter sich in die Nacht.
„Der ist weg“, sagte er. „Sie müssen den Wagen schon selber lenken.“
Wieder fluchte der Spanier.
„Wie weit ist es noch bis zur Mühle von Frigus?“ fragte er wütend.
„Etwa zwei Stunden, wenn wir das bisherige Tempo durchhalten.“
Der Spanier nickte.
„Ich werde den ersten Wagen fahren“, sagte er. „Paßt auf, die Straße ist voller Löcher. Die zwei Stunden müssen wir noch hinter uns bringen, dann werden wir von einem Trupp Soldaten begleitet.“
Der Kutscher nickte. Er wartete, bis der Spanier den ersten Wagen wieder in Bewegung gesetzt hatte, dann schwang er die Peitsche über die Rücken der Zugpferde und gab ihnen die Zügel frei.
Polternd setzten sich die drei Wagen wieder in Bewegung und übertönten alle anderen Nachtgeräusche des Waldes.
Zwei Stunden noch, dachte der Kutscher. Beljac ist ganz schön blöd, daß er auf seinen Lohn verzichtet, nur weil der Spanier ihn angemekkert hat.
Er hörte neben sich aus dem Wald scharrende Geräusche und dann ein helles, metallisches Klirren. Als er sich umdrehte, die dunklen Gestalten erkannte, die zwischen den Bäumen auf die Wagen zuhuschten, und einen Schrei ausstoßen wollte, traf ihn ein Pfeil im Hals und tötete ihn auf der Stelle. Mit einem Röcheln ließ er die Zügel fahren und kippte zur Seite. Reglos blieb er mit dem linken Arm am Bremshebel hängen.
Er hörte nicht mehr das Brüllen der Angreifer, die sich auf die Wagen stürzten und auch den Spanier und den Fahrer des letzten Wagens von den Böcken zerrten.
Der Spanier schrie wie am Spieß. Er löste bei den wüsten Gestalten, die ihn umringten, nur grölendes Gelächter aus. Zwei bärenstarke Halunken hatten ihn an den Armen gepackt.
Er hörte auf zu schreien und starrte auf die beiden Männer, die zum ersten Wagen traten und zuschauten, wie ein paar andere die Wagenplanen aufschlitzten. Behende wie Affen kletterten sie hinauf, rissen die Kisten und Säkke auf und schwenkten triumphierend Musketen, Pistolen und Säbel über den Köpfen.
Der Spanier hatte einen der beiden Männer erkannt. Er preßte die Lippen aufeinander, daß sie nur noch schmale Striche waren. Seine schwarzen Augen sogen sich an dem länglichen Gesicht mit dem schmalen Oberlippenbärtchen fest. Die Augen wurden von der breiten Krempe eines dunkelroten Hutes beschattet, nur ab und zu erhellten die zuckenden Flammen der Fackeln, die von den Wegelagerern entzündet worden waren, sein Gesicht bis zur Stirn hinauf.
Das war Gustave Le Testu.
Der Spanier sprach den Namen lautlos aus wie einen bösen Fluch. Er hatte gewußt, daß sich der gottlose Hugenotte in dieser Gegend herumtrieb, deshalb hatte er ja auch Begleitschutz angefordert.
Aber der Schnapphahn mußte eine goldene Nase haben. Nur ein paar Meilen weiter wäre er den Soldaten Heinrich von Bourbons in die Hände gefallen, und dann wäre es ein für allemal um ihn geschehen gewesen.
Der Haß auf den Hugenottenteufel fraß den Spanier fast auf. Er sah, wie die Kerle den toten Kutscher vom Bock des zweiten Wagens zerrten und ihn in den Wald schleiften. Den Mann vom dritten Wagen hatten sie gepackt, und obwohl er um Gnade flehte, wurde er eiskalt mit einem Messer umgebracht.
Der Spanier tat, als verließen ihn die Kräfte. Seine Muskeln erschlafften. Er wehrte sich nicht mehr gegen die harten Griffe der beiden Kerle, die ihn in der Zange hatten. Unter halb geschlossenen Lidern hervor sah er, wie der hochgewachsene, schwarzhaarige Mann neben Le Testu auf ihn aufmerksam wurde. Gleichzeitig spürte er, wie sich die Griffe an seinen Armen lockerten.
Er dachte an das Messer, das in seinem Stiefelschaft steckte, aber noch konnte er sich nicht befreien. Er mußte den Ohnmächtigen, der sich selbst aufgegeben hat, weiterspielen, wenn er noch eine Chance haben wollte.
Der Schwarzhaarige trat näher auf ihn zu.
„Wen habt ihr denn da?“ fragte er die beiden Kerle, die den Spanier gepackt hatten.
„Er hat den ersten Wagen gelenkt“, erwiderte der eine der bärenstarken Burschen.
Der Schwarzhaarige grinste wie der Teufel persönlich.
„Der sieht mir nicht wie ein Franzose aus“, sagte er. Mit einer herrischen Handbewegung befahl er den beiden, den Mann loszulassen.
Sie gehorchten und traten einen Schritt zurück.
Auf diesen Augenblick hatte der Spanier gewartet.
Seine Hand zuckte hinunter zum Stiefel, und nur Sekundenbruchteile später glitzerte die schmale, lange Klinge im Licht der blakenden Fakkeln.
Der Schwarzhaarige sprang zurück, und die kreisende Klinge verfehlte ihn knapp. Ehe die beiden Kerle, die seitlich hinter dem Spanier standen, wieder zupacken konnten, hatte der Spanier einem von ihnen das lange Messer in die Seite gestoßen. Der Mann klappte zusammen, als hätte ihn ein Pferd getreten.
Der andere begann zu brüllen. Mit einem mächtigen Satz versuchte er, sich aus der Reichweite der langen Klinge zu bringen, aber er schaffte es nicht ganz. Die Spitze erwischte sein Hemd an der Brust. Er schrie auf und starrte an sich hinunter. Ein blutiger Streifen zog sich quer über seine Brust.
Der Spanier nutzte die Verwirrung. Er warf sich herum, duckte sich und hetzte ein Stück den dunklen Weg entlang, den sie zur Mühle von Frigus hatten fahren wollen. Dann verschwand er seitlich zwischen den Bäumen.
In seinen Ohren dröhnte es vom Geschrei der Männer. Ein fürchterliches Krachen ließ ihn zusammenzucken. Hinter ihm wurde die Nacht von einem Blitz erhellt, und dann schlug ein Stück Blei dicht neben ihm im Stamm einer Eiche ein.
Panik ergriff ihn. Wie ein Wilder bahnte er sich einen Weg durch das Unterholz, stolperte, fiel der Länge zach hin, rappelte sich wieder hoch und hetzte weiter.
Er wußte, daß es um mehr als sein Leben ging. Er mußte die Soldaten m der Mühle von Frigus erreichen, sie warnen und auf Gustave Le Testu hetzen, der einer der ärgsten Feinde Heinrichs von Bourbon war.
Erst nachdem er mehrere hundert Schritte weit in den Wald gelaufen war, wagte er, stehenzubleiben und zu lauschen. Noch immer waren aus weiter Entfernung die Geräusche der Männer bei den Wagen zu vernehmen. Aber noch deutlicher hörte er das Rascheln von Sträuchern und das leise Brechen von Zweigen.
Sie hatten jemanden hinter ihm hergeschickt, um ihn zu töten!
Die Brust des Spaniers hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen. Das Stechen in seinen Lungen hatte sich bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Er wußte, daß er nicht mehr lange würde laufen können. Er konnte die Mühle von Frigus nur erreichen, wenn er die Verfolger ausschaltete und langsam seinen Weg fortsetzte.
Er verfluchte die Tatsache, daß er seine Pistolen nicht bei sich trug. Als er die Zügel des Gespanns übernommen hatte, waren sie ihm hinderlich gewesen, und er hatte sie hinter sich auf die Bank gelegt. Der Überfall der Schnapphähne war zu schnell erfolgt, als daß er Zeit dazu gehabt hätte, danach zu greifen. Vielleicht war gerade das sein Glück gewesen. Auch wenn er einen oder zwei von ihnen getötet hätte, wäre er selbst wahrscheinlich auch längst tot gewesen.
Sein Atem beruhigte sich nur langsam. Er starrte auf das lange Messer in seiner rechten Hand. Es mußte genügen, um mit den Verfolgern fertig zu werden.
Fackelschein zuckte in fünfzig Schritten Entfernung durch den Wald. Er hörte die Stimmen der drei Männer, die sich keine Mühe gaben, leise zu sein.
Auf einmal blieben sie stehen und lauschten.
Читать дальше