Er wischte die Faust beiseite und schrie: „Haltet die Riemen fest, Männer, wir haben es gleich geschafft!“
Er glaubte selbst nicht daran, aber wenn sie sich in diesem Wirbel der Gewalten aufgaben, waren sie wirklich verloren.
Plötzlich war es wieder hell um sie.
Hasard sah Felsen vor sich auftauchen, als seien sie aus dem Wasser gewachsen. Er riß die Pinne, die er wieder gepackt hatte, herum, brüllte einen scharfen Befehl, und die Rudergasten an Steuerbord schwenkten blitzschnell ihre Riemen vor. Ein scharrendes Geräusch, dann waren sie an dem Felsen vorbei.
Der Seewolf dachte in diesem Augenblick, daß sie es geschafft hatten, doch dann war erst die richtige kochende Hölle um sie herum.
Das Beiboot wurde angehoben, herumgeschleudert und kenterte fast. Wasser war über, unter, neben den Männern. Sie konnten sich nur noch festklammern. Ruderschläge waren in diesem Inferno nutzlos.
Ein weiterer Strudel hatte sie gepackt. Er stieß das fast gekenterte Boot wieder hoch, und Hasard und die anderen konnten für Sekunden wieder Luft schnappen.
Plötzlich ließ sich das Boot wieder steuern. Die Riemen tauchten in ruhigeres Wasser. Das Brüllen der Brecher schien mit einemmal hinter ihnen verschwunden zu sein.
Eine dichte Nebelbank hüllte sie ein. Sie hörten gedämpftes Rufen. Für einen Moment hatte der Seewolf die Orientierung verloren. Er lauschte dem Orgeln des Windes und den Geräuschen, die die gegen die Felsen donnernden Wellen verursachten. Sie mußten in einer kleinen Bucht gelandet sein, deren vorspringende Felsnase die Wucht des Windes und der Wellen brach.
Die Nebelbank kroch an den Felsen hinauf und schob sich darüber hinweg wie eine gleitende, zusammenhängende Masse.
Der Strand lag plötzlich vor ihnen. Sie sahen das Boot Easton Terrys am schmalen Sandstreifen. Seine Männer hatten offensichtlich weniger Schwierigkeiten gehabt, die Bucht zu erreichen.
Carberry, der den Kopf gewandt hatte und ebenfalls zum Strand hinüberblickte, lief rot an, als er das abfällige Lächeln um Terrys Mundwinkel sah. Er ballte die Hände, und der Seewolf hörte, wie er leise vor sich hinmurmelte: „Ich dreh dem Bastard noch mal den Hals um!“
Easton Terry wartete, bis Hasard und seine Männer den Strand erreichten, aus dem Boot sprangen und es auf den Sand zogen. Er traf keine Anstalten, Hasard entgegenzugehen und ihn zu begrüßen.
Der Seewolf blickte seine Männer an. Niemand von ihnen schien eine ernsthafte Verletzung davongetragen zu haben. Nur Finnegans Lippe blutete ein wenig, und seine Nase begann sich ins Bläuliche zu verfärben.
Außer den beiden Riemen war auch am Beiboot noch alles heil. Ohne sich zu bücken, warf Hasard einen kurzen Blick auf die Steuerbordseite, wo der Rumpf an dem Felsen vorbeigeschrammt war. Aber er konnte kein Leck entdecken. Er nickte Carberry zu, der mit den anderen Bootsgasten das Boot aufklarte und das restliche Wasser ausschöpfte, dann ging er zu Terry hinüber.
„Freut mich, daß Sie es geschafft haben, die paar Wellen abzureiten, Mister Killigrew“, sagte Terry.
Du verdammter Angeber! dachte der Seewolf, aber laut erwiderte er: „Wir lieben es nun mal nicht, die einfachsten Wege zu gehen.“
Easton Terry zog die Brauen hoch. Das abfällige Lächeln war für einen Moment aus seinem kantigen Gesicht verschwunden. Hasard merkte, daß Terry sich auf den Arm genommen fühlte. Doch der Ausdruck in seinen grauen Augen änderte sich schnell wieder. Er nahm den Hut ab, und seine fast schulterlangen blonden Haare wehten im steifen Wind.
Hasard sah, wie er aufs Meer hinaus sah, und er blickte sich um. Die „Hornet“ und die „Fidelity“ lagen nicht weit voneinander entfernt vor Anker. Hasard hoffte, daß die französischen Piraten nach ihrer vernichtenden Niederlage erst einmal genug hatten. Er glaubte nicht, daß sich die beiden entwischten Schiffe in den nächsten Stunden wieder hier blicken lassen würden.
Er wandte sich an Terry.
„Meine Hochachtung, Mister Terry“, sagte er. „Es war eine ausgezeichnete Schlacht. Ich hätte mir keinen besseren Mitstreiter aussuchen können.“
Er meinte zwar nicht, was er sagte, aber warum sollte er Terry nicht seine Anerkennung aussprechen? Vielleicht nahm das seinem Zynismus und seiner Überheblichkeit ein bißchen die Spitze.
Hasard merkte schnell, daß er sich gründlich getäuscht hatte. Das Grinsen auf Terrys Gesicht war schon mehr als eine Beleidigung. Er tat, als hätte der Seewolf noch weit untertrieben.
„Sie sind nicht der einzige, Mister Killigrew, der große Stücke auf mich hält“, erwiderte er großspurig. „Wie wäre es, wenn Sie mir den Oberbefehl über unser Unternehmen übertrügen? Das Risiko, daß etwas schiefgeht, wäre damit ausgeschaltet.“
Der Seewolf hörte neben sich ein Geräusch, das sich wie eine Mischung aus dem Brummen eines Braunbären und dem Stöhnen eines geschundenen Mannes anhörte. Aus den Augenwinkeln sah er Carberry heranstampfen. Der Profos blieb neben ihm stehen, und sein Gesicht sah aus, als müßte ihm jeden Augenblick Dampf aus den Ohren und der Nase steigen.
„Es freut mich, daß Sie nicht an Minderwertigkeitskomplexen leiden, Mister Terry“, sagte Hasard. „Und es ist mir durchaus recht, wenn Sie und Ihre Männer während unseres Einsatzes keine Fehler begehen.“
Easton Terry begann zu lachen, aber seine grauen Augen blieben davon unberührt. Sie blickten Hasard kalt an.
„Sie scheinen ein Mann ohne Humor zu sein, Killigrew“, erwiderte er heiter.
Hasard hob die Schultern.
„Wahrscheinlich haben wir nur eine andere Art von Humor“, sagte er. Er wies zu den Felsen hinüber, die den schmalen Sandstrand einschlossen. „Gehen wir dort hinüber und beratschlagen, wie wir die Sache am besten anpacken. Ich nehme nicht an, daß sich die beiden geflohenen Schiffe so bald wieder in dieser Bucht sehen lassen werden.“
„Das will ich meinen“, sagte Terry.
Hasard winkte seinen Männern zu, ihm zu folgen. Carberry stiefelte dicht neben ihm her.
„Wie lange willst du dir das von dem verdammten Affen noch bieten lassen?“ fragte er wütend. „Laß mich sein hämisches Grinsen mit einem Belegnagel breitklopfen, und ich verspreche dir, daß ich ein halbes Jahr auf meine Rumrationen verzichte.“
Der Seewolf schüttelte den Kopf.
„Bleib ruhig, Ed“, sagte er leise. „Du weißt, wie wichtig unsere Mission für England ist. Ich konnte mir den Partner nicht aussuchen. Er ist ein harter Kämpfer, und das ist im Augenblick das wichtigste. Vielleicht kann er nicht mal was dafür, daß er immer so schäbig grinsen muß.“
„Und ob der was dafür kann!“ stieß Carberry hervor, und sein narbiges Gesicht glühte vor Zorn. „Das ist ein eiskalter Hund, den Englands Wohlergehen einen Scheißdreck interessiert, glaub mir. Das ist ein Killer, nichts weiter. Und wenn wir uns mit ihm einlassen, wird er uns eines Tages alle unter die Erde bringen.“
„Du übertreibst, Ed“, murmelte Hasard, aber er wußte, daß Carberry im großen und ganzen recht hatte. Er selbst schätzte Terry nicht viel anders ein. Seine ganze Art bewies, daß für ihn nur eins zählte: er selbst.
Im Sichtschutz der Felsen blieb der Seewolf stehen und wartete, bis Terry und seine Männer heran waren.
Der Seewolf blickte ihnen entgegen. Ein paar von ihnen kannte er aus London schon mit Namen. Da war der hochgewachsene, schlanke Jerry Reeves, Terrys Bootsmann. Er war ein Mann, der voller Energien zu stecken schien, immer in Bewegung, die Augen überall. Reeves sollte ein hervorragender Kanonenschütze sein, und im Gefecht gegen die französischen Freibeuter hatte er sein Können schon in ausreichendem Maße unter Beweis gestellt.
Neben Reeves stand Stoker, der Decksälteste der Terry-Crew. Shane hatte behauptet, der Kerl hätte mehr Ähnlichkeit mit ihrem Schimpansen Arwenack als mit einem Menschen. Der Eindruck war nicht unrichtig, hatte Stoker doch viel zu lange Arme für seinen gedrungenen Körper. Außerdem hatte er eine flache, in tausend Falten gelegte Stirn. Stoker sah ziemlich bescheuert aus, aber immer, wenn Hasard in seine Augen blickte, dachte er, daß der Mann ein Bluffer war. Er war offensichtlich bei weitem nicht so dumm, wie er aussah.
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