Nein, nein, schon okay, sagt Robert, versucht, entspannt zu wirken. Sie sieht so erwachsen aus mit diesem roten Mund. Es steht ihr nicht. Es sieht billig aus, wenn die Lippen so glänzen. Das hat er mal zu Sandra gesagt. Zu Valerie würde er so was nie sagen. Stimmen tut es trotzdem.
Dann ein anderes Mal, du musst schließlich auch mal was Richtiges essen.
Valerie verdreht die Augen.
Sie stehen sich im Flur gegenüber, und vom Hausflur zieht muffig feuchte Luft herein.
Ich geh dann mal, sagt Valerie. Warte nicht, ich weiß nicht, wie spät es wird.
Robert fragt nicht nach, er will es, aber er hält sich zurück. Gibt es eine Uhrzeit, wann sie zu Hause sein muss? Ist das überhaupt seine Aufgabe? Sie ist erwachsen, sagt er sich, sie weiß, was sie tut. Nicht bedrängen, leben lassen.
Viel Spaß, sagt er.
Danke, dir auch.
Wie kann es sein, denkt er dann, dass zwischen dem hier und vorhin im Imbiss nur wenige Stunden liegen. Dass man in dem einen Moment so ein Gefühl hat, so eine Stimmung, und im anderen ein ganz anderes Gefühl, als hätte es nie einen Übergang gegeben, als sei alles, was man fühlen oder denken kann, ganz unverbunden, kleine Fetzchen im Nichts.
Die Tür rumst, bevor er noch etwas sagen kann. Und wie ein Idiot steht er da mit seinen Taschen, während über ihm die Lampe im Takt von Valeries Schritten wankt.
5
Valerie liegt im Bett und denkt an Ali. Immer, wenn sie sich treffen, hat sie danach noch so ein Summen im Kopf. Alles, was er gesagt hat, wirbelt dann in ihr herum, will gar nicht mehr aufhören. Dazu sein Gesichtsausdruck, leicht mürrisch, die verstrubbelten Haare, die Kleidung, die ihm zu groß zu sein scheint und doch sitzt wie angegossen.
Draußen scheint heute die Sonne und Valerie blinzelt, als das Licht ihr Kissen trifft. Sie hört Robert in der Wohnung lärmen, aber sie will nicht aufstehen.
Wie kommt es nur, dass sie Ali am nächsten Morgen immer so lächerlich findet? Dabei ist sie jedes Mal, wenn sie ihn trifft, in diesem Strudel, sie will dann ja gar nicht weg von ihm. Über Nacht erst zeigen die Bilder in ihrem Kopf ihr ein albernes Männchen. Seine großen Ohren sind nahezu grotesk hässlich, jetzt, wo sie sie so vor sich sieht. Nur, wenn sie ihm direkt gegenübersteht, versprüht er seinen Charme.
Das war schon bei ihrem ersten Treffen so, damals auf der fête de la musique . Er tanzte nicht, wippte nur mit den Knien auf und ab, und Valerie hatte kurz gedacht: Was für ein alberner Vogel. Aber die Schiebermütze gefiel ihr, darunter quollen die braunen Haare hervor, wie bei einem Jungen in so einem alten Film. Sie hatte ihn die ganze Zeit heimlich beobachtet, und als er sie schließlich ansprach, war sie furchtbar aufgeregt gewesen. Erst später war ihr aufgefallen, dass ausschließlich er geredet hatte, seine Musik, seine Bücher, die Gedichte, die er schrieb. Er schickte ihr eines, es war lächerlich. Aber irgendwie wollte Valerie sehen, wohin das führte. Ob er ihr auch eines schreiben würde, nur zum Spaß.
Aber Spaß, das ist auch etwas, das man aushalten muss.
Wenn der nächste Tag nicht wäre und seine Stimme dann nicht andauernd in ihrem Ohr weiternäseln würde, wäre es einfacher.
Alis Geruch klebt noch an ihrer Haut, und Valerie steht auf.
In der Küche sitzt Robert am Tisch und blättert in der Zeitung. Valerie wusste gar nicht, dass er sich für Politik interessiert. Robert liest mit gerunzelter Stirn, in der einen Hand hält er ein halb angegessenes Brötchen.
Robert schaut auf. Ich hab Brötchen geholt, sagt er. Setz dich.
Danke, lieb von dir.
Bevor Valerie irgendwas machen kann, hat er ihr schon einen Teller geholt, ein Glas Orangensaft eingeschenkt. Er trägt wieder das weiße T-Shirt, die Ärmel sitzen so, dass man einen Teil seiner Oberarme sehen kann. Sie sind weißer als der ganze Rest von ihm, wahrscheinlich die weißeste Stelle an seinem Körper, denkt Valerie.
Ich dachte, weil heut doch Samstag ist, sagt Robert. Hast du irgendwas Besonderes vor?
Nein, sagt Valerie. Du?
Nein, sagt Robert.
Ach doch, ich muss ja lernen, Lerngruppe, Mathe. Sie nimmt die Tasse Kaffee, die Robert ihr jetzt hinhält. Bei Ivana.
Ich glaube, ich erinnere mich an sie, sagt Robert, nickt, schaut dann wieder in die Zeitung. Valerie findet, er hat heute etwas bemüht Gleichgültiges. Noch nie hat er so erwachsen gewirkt. Nicht mal rasiert hat er sich.
Hattest du einen schönen Abend?, fragt er.
Ja, sagt sie. War okay.
Sie denkt daran, wie plötzlich Alis Freunde aufgetaucht sind. Ein Zufall, sagte Ali, aber sie waren den ganzen Abend geblieben. Valerie hatte dazwischen gesessen und gelächelt und genickt, ganz automatisch, sie hasste das, aber die Art, wie die anderen sprachen, war ihr fremd. Ab und zu hatte Ali den Arm um sie gelegt und zu ihr hingeschaut. Er redete wie immer viel zu laut, damit alle ihn hören konnten. Worum war es noch mal gegangen? Valerie hatte das Buch nicht gelesen, ihr fällt nicht mal mehr der Titel ein. Wie lächerlich ihr das jetzt vorkommt.
Auch mit Ivana?, fragt Robert und schaut ganz schnell zu ihr hin, wieder weg. Sie verbrennt sich die Zunge an dem Kaffee, heiß kraucht es ihr die Speiseröhre entlang bis ins Herz hinein.
Nein, sagt sie. Ich war mit einem Freund unterwegs. Ali, fügt sie hinzu, weil Robert immer noch guckt.
Robert nickt, schaut zur Zeitung, schaut zu ihr zurück.
Dein Freund?
Valerie zuckt mit den Schultern, Robert stopft sich sein Brötchen in den Mund. Sie denkt wieder an Alis Arm, den er wegzog, wenn einer der Freunde zu lange zu ihnen herüberschaute. Valerie wäre es lieber gewesen, er hätte sie gar nicht erst angefasst.
Und bei dir? Wie läuft’s da. Frauentechnisch?
Jetzt zuckt Robert mit den Schultern, grinst dazu. Valerie muss auch grinsen. Wie Idioten sitzen sie da.
Valeries Handy piept.
Du bist ja sehr gefragt, sagt Robert, er sagt es spöttisch, trotzdem ist da noch dieses leichte Lächeln in seinem Gesicht.
Ivana fragt, ob wir uns hier treffen können. Ihr Bruder hat Magen-Darm, sagt Valerie.
Klar, sagt Robert. Ich stör auch nicht.
Er faltet die Zeitung zusammen. Es sei denn, natürlich, ihr führt Mädchengespräche.
Halt die Klappe, sagt Valerie. Sie grinst noch immer. Aber jetzt ist es anders, Robert zwinkert und steht auf, bleibt kurz bei ihr stehen, geht dann doch weiter.
Heute bist du dran mit Einkaufen, ruft er von der Tür.
Ivana und Nathalie wirken wie Fremdkörper in der Wohnung. Seit die Mutter weg ist, nur Robert und sie da sind, ist hier alles so ruhig geworden. Beinahe fühlt es sich erst jetzt wie ein Zuhause an. Valerie merkt das, weil sie es nicht leiden kann, wie Ivana und Nathalie den Küchentisch zumüllen, ihre Jacken auf das Sofa schmeißen. Ivana nimmt alles in die Hand, so macht sie das immer, als könnte es dadurch ihr gehören. Valerie mag es nicht, wie sie ihre Blicke über die Bilder im Flur gleiten lässt. Eines zeigt Robert und sie als Kinder, es wirkt irgendwie deplatziert. Auch das fällt Valerie erst jetzt auf. Es ist schrecklich, dass sie in dem Moment, wo die anderen hingucken, automatisch auch alles noch einmal kritisch beäugt: die von den Schuhen dreckige Tapete, der zerkratzte Fußboden, die feine Staubschicht auf dem Bücherregal, in dem ein vergilbtes Glas mit Cent-Münzen steht. Und diese blöde Porzellanfigur, die der Mutter so wichtig ist. Beinahe ärgert sie sich, dass sie sie nicht weggeräumt hat. Dabei ist ihr die Figur nie wirklich aufgefallen. Nur jetzt schaut ihr dieser Engel so kindlich und schaurig im Flur entgegen. Als wolle er sie prüfen oder so.
Robert kommt, als sie fast mit den Hausaufgaben durch sind. Seine Haare sind nass und liegen platt am Kopf. Und er trägt ein Hemd, als hätte er sich schick gemacht.
Robert sieht ihren Blick, nickt den anderen nur schnell zu und verschwindet wieder.
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