Julia Rothenburg - hell/dunkel

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Auf einmal sitzt er auf dem Sofa, in einer Rauchwolke, wie eine Fata Morgana. Valerie hat nicht mit ihm gerechnet, aber er ist es: Robert. Er dreiundzwanzig, sie neunzehn, sie hell, er dunkel – keiner hat sie je für Geschwister gehalten. Halbgeschwister, daher vielleicht. Mit der Rückkehr der Krankheit ihrer Mutter ist auch er zurückgekehrt, und er verspricht zu bleiben. Gemeinsam stehen Robert und Valerie nun vor Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt: Wie umgehen mit einem Abschied? Valerie und Robert suchen Halt aneinander. Sie hoffen darauf, dass, indem sie die Distanz zueinander verringern, sie auch sich selbst und dem unfassbaren Geschehen um sich herum näherkommen. Doch die Nähe zwischen ihnen hat viele Gesichter: zart und schmerzlich, wild und tröstlich – und nicht zuletzt: gefährlich.
Direkt, ungezähmt, aufrichtig und berührend schreibt Julia Rothenburg über den Abschied von einem nahen Menschen. Sie zeigt die Trauer als ein zutiefst widersprüchliches, durch und durch lebendiges Gefühl und verleiht den Innenwelten ihrer Figuren, die sich über ein tragisches Ereignis wieder näherkommen – zu nah –, eine entwaffnende Intensität. Julia Rothenburgs literarisches Talent ist beachtlich, ihre Empathie und ihr Gespür für Zwischentöne, ihre scharfgestochene Sprache machen «hell/dunkel» zu einer besonderen Leseerfahrung von einer betörenden Kraft, die von Seite zu Seite trägt.

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Robert und Valerie, er dreiundzwanzig, sie neunzehn, sie hell, er dunkel – keiner hat sie je für Geschwister gehalten. Halbgeschwister, daher vielleicht. Mit der Rückkehr der Krankheit ihrer Mutter ist auch er zurückgekehrt, und er verspricht: Diesmal wird er bleiben.

Gemeinsam stehen sie nun vor Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt: Wie umgehen mit einem Abschied, mit all den Gefühlen, die kein Ventil finden? Valerie und Robert suchen Halt aneinander, in der Hoffnung, so auch sich selbst und dem unfassbaren Geschehen um sich herum näherzukommen. Doch die Nähe zwischen ihnen hat viele Gesichter: zart und schmerzlich, wild und tröstlich – und nicht zuletzt gefährlich.

Julia Rothenburg zeigt die Trauer als ein zutiefst widersprüchliches, durch und durch lebendiges Gefühl und verleiht ihren Figuren eine entwaffnende Intensität. Ihre große Empathie, ihr Gespür für Zwischentöne und ihre scharfgestochene Sprache machen »hell/dunkel« zu einer betörend spannenden Lektüre.

Inhalt Teil I Teil I 1 So fühlen sich immer 2 Sie schläft schon als 3 - фото 1 Inhalt Teil I Teil I 1 So fühlen sich immer 2 Sie schläft schon als 3 - фото 2

Inhalt

Teil I Teil I

1. So fühlen sich immer …

2. Sie schläft schon als …

3. So sonnenbestrahlt ist die Welt …

4. Sie sitzen im Imbisshäuschen …

5. Valerie liegt im Bett …

6. Von der Straße aus wirkt …

7. Valerie und Robert sind wieder …

8. Auf dem Nachhauseweg …

9. Sie hasst es …

10. Er hat Valerie bestimmt …

11. Wie kann man gleichzeitig …

12. Es ist absurd, dass er …

13. Valerie, I can hear …

14. Es gibt keinen Gedanken …

15. Roberts Lippen sind weich …

Teil II

16. Von weitem betrachtet …

17. Ali sitzt auf ihrem Bett …

18. Nachts kann Robert nicht schlafen …

19. Valerie ist froh, dass die Mutter …

20. Robert schwimmt …

21. Krass, sagt Ivana …

22. Robert wartet an die kalte Wand …

23. Nach dem Essen schauen sie fern …

24. Ich schulde dir ein Bier …

25. Der Kanal ist heute merkwürdig …

26. Robert sitzt auf dem Teppich …

27. Bereits in der Frauenumkleidekabine …

28. Robert wartet vor dem Schwimmbad …

29. Da stehen sie also schon wieder …

Teil III

30. Valerie hat sich im Schlaf …

31. Die Mutter ist zum Glück …

32. Da sitzt er nun also …

33. Valerie erinnert sich noch an …

34. Robert steht am Bahnhof …

35. Die Zeit ist klebrig …

36. Es dämmert bereits wieder …

Teil I

1

So fühlen sich immer die ersten Schritte an. Jedes Mal sitzt ihr Atem fest, kommt nur abgehackt aus ihrem Körper, in jämmerliche Stückchen zerteilt. Jedes Mal denkt sie, dass das so unmöglich gehen kann, nicht mit diesen Beinen, den viel zu kurzen. Viel zu langsam ist ihr Körper, behäbig und schwer. Und dann geht es doch, dann geht es wie von selbst.

Die Stimme der Sportlehrerin hört sie jetzt nicht mehr, aber sie sieht sie winken. Ihr pochendes Herz verdrängt das Gefühl von Kälte, der Feuchte in den Kniekehlen. Die Luft schmeckt kalt, aber ihre Ohren werden heiß, alles zieht sich zusammen. Während sie immer schneller wird, verschwimmen die anderen zu bunten Flecken. Wie vorgespult, denkt Valerie. Wenn man das bloß könnte.

Irgendwo schrillt es, das Geräusch holt auch die anderen zurück, den Straßenlärm, das Keuchen, ihren eigenen viel zu lauten Atem.

Am Zaun stehen ein paar Grundschüler und stecken ihre Nase durch das Gitter, die Hände in den Fäustlingen hängen wie Tierköpfe in den Streben.

Sie hat gepfiffen, ruft Nathalie, als Valerie sie überholt. Nathalie geht nur noch, die Arme um ihre Mitte geschlungen, als müsste sie sich zusammenhalten. Ihr Gesicht sieht aus wie das eines Neugeborenen, runzelig und rot vom Rennen.

Erst als Valerie langsamer wird, bemerkt sie das Seitenstechen.

Sie bleibt stehen, genießt den Schmerz, genießt die Hitze. Ihre Haut ist eiskalt. Die Sportlehrerin winkt ihr zu, reckt den Daumen nach oben, nickt dazu. Valerie lächelt.

In der Umkleidekabine riecht es schon nach kaltem Schweiß, als sie hereinkommt. Nathalie und Ivana haben ihr einen Platz freigehalten. Beide keuchen noch immer, ihre Gesichter fleckig.

Und, was ist jetzt, fragt Ivana und atmet dabei laut, die Worte einzeln dazwischen. Treffen wir uns am Samstag, Lernkreis, du weißt schon.

Valerie merkt erst, dass sie gemeint ist, als die beiden sie anschauen. Aus ihrer Tasche blinkt es.

Ja, sagt sie, klar, wieso nicht.

Sie schaut auf ihr Handy. Drei Anrufe in Abwesenheit, alle von ihrer Mutter. Und zwei SMS.

Fahre jetzt doch ins Krankenhaus. Ruf zurück.

Das ist eine Fähigkeit, die allein ihre Mutter besitzt: in so wenige Worte so viel Vorwurf hineinzulegen. Oder woher sonst soll diese Walze aus Gefühlen kommen, die durch sie hindurchrollt? Ausgelöst von, sie zählt nach, nur sieben Worten.

Also um elf bei mir oder was?, fragt Ivana. Valerie, huhu.

Was?, fragt Valerie.

Die nächste SMS ist kurz, sie klingt trotzdem in ihren Ohren nach.

Bleibe über Nacht.

Wieso gehen wir nicht mal ins Café, sagt Nathalie.

Da ist es samstags zu voll, also bei mir, ja?

Valerie steckt das Handy zurück in die Tasche, zieht sich das T-Shirt über den Kopf und ist froh, dass man so wenigstens für eine Sekunde ihr Gesicht nicht sieht. Und dass sie so auch die anderen nicht sehen muss, wie sie jetzt bestimmt schon wieder zu ihr hinglotzen.

Ja, sagt sie. Klar.

Vor der Sporthalle hat sich schon eine Traube gebildet, hin- und herwankend, von weitem hört man es kreischen. Je näher man kommt, desto mehr einzelne Stimmen sind auszumachen, die da rufen.

Ivana steckt sich eine Zigarette an, hält sie Valerie hin. Nein, lass, sagt Valerie. Ich muss jetzt eh schon.

Alles klar, sagt Ivana, bläst den Rauch aus. Ich bereite dann schon mal die Übungsaufgaben vor.

Super, sagt Valerie und meint es nicht im mindesten. Ich guck auch mal, was ich machen kann.

Aber Nathalie und Ivana schauen sich schon um, als suchten sie irgendwas. Von hinten nähert sich der Jungskurs.

War ja klar, denkt Valerie. Wir sehen uns morgen, sagt sie in die Luft.

Sie ruft ihre Mutter zurück, sobald die anderen nicht mehr als eine Rauchwolke sind. Aber es tutet nur, ein leeres Tuten, dann die Stimme ihrer Mutter, eine Ansage, die sie schon tausendmal gehört hat. Und trotzdem klingt es jedes Mal so, als wäre ihre Mutter doch am Telefon.

Ganz wie von selbst läuft sie immer schneller. Die Kälte zischt ihr in den Ohren.

Die Tür ist nicht abgeschlossen. In der Wohnung riecht es nach ihrer Mutter, schwach noch nach ihrem Parfum, aber vor allem nach Camels.

Eigentlich riecht es in der Wohnung immer so, der Geruch haftet an den Tapeten, so oft man auch lüftet. Valerie hasst das, aber gegen so etwas kann man nichts machen. Da hilft auch das beste Raumspray nichts. Diesmal ist es allerdings frischer Rauch, das merkt man sofort. Valerie muss fast husten.

Irgendwo in der Wohnung knallt es. Als wäre etwas umgefallen.

Hallo, ruft Valerie.

Ihr Herz rast jetzt. Sie schleicht, aber die Dielen knarren unter ihrem Schritt.

Vor lauter Rauch kann man ihn kaum erkennen, aber es ist Robert, der da auf dem Sofa sitzt und mit dem Finger auf eine Zigarette klopft, als wäre nie etwas gewesen.

Spinnst du, sagt Valerie. Ihr Herzschlag beruhigt sich nur langsam.

Wie wär’s mit ’ner Begrüßung?

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