Ja, schon gut, ich seh’s ja vor mir.
Ist doch irre, oder?
Ja, ziemlich irre. Du bist irre.
Idiot. Valerie schlägt in seine Richtung, trifft die Pommes, sie schlittern über den Tisch. Auf der schwarzen Platte ist jetzt ein Fettfleck, einige Pommes liegen verstreut drumherum.
Jetzt musst du mir welche von deinen abgeben, sagt Robert.
Valerie lacht.
Der Imbissbesitzer glupscht schon wieder zu ihnen herüber.
Du bist ein Idiot.
Meinetwegen, sagt Robert und fängt Valeries Hand auf, bevor sie ihn trifft.
Du guckst wohl noch immer so gerne Filme, sagt Robert.
Wer schaut nicht gerne Filme, sagt Valerie.
Wir könnten mal zusammen ins Kino, wenn du willst.
Valerie guckt ein bisschen misstrauisch, findet er.
Okay?, sagt sie. Es klingt wie eine Frage.
Seine Stimme wird etwas zu hastig: Wir gucken auch, was du willst.
Sie schweigt. Im Ernst, Robert, sagt sie dann und schiebt ihm ihre Pommes hin. Du musst mich echt nicht behandeln, als wär ich ein Baby oder so.
Mach ich nicht, sagt Robert, er sagt es vielleicht schon wieder einen Tick zu schnell.
Ich würde gern mit dir ins Kino. Wir stecken doch da jetzt zusammen drin. Aber wir müssen deswegen ja auch nicht zu Hause versauern oder so.
Valerie nickt. Hatte ich nicht vor, sagt sie. Aber danke.
Er hat es verkackt, er weiß es. Dabei hatte er das doch alles so gut durchdacht. Wenn Sie Ihrer Schwester das Gefühl geben wollen, da zu sein, dann müssen Sie das auch klar artikulieren. Schreiben Sie ihr doch einen Brief.
Wie er es hasst, dass er sich alles, was die Psychotante gesagt hat, so gut merken kann. Na ja, fast alles. Manchmal hat er sich auch nur das Nebensächlichste gemerkt. Sandra hat immer gesagt, dass er hinterher alles aufschreiben soll, die wichtigsten Punkte, die neuen Erkenntnisse. Hier, in dieses Notizbuch. Sie hielt ihm ein kleines blaues Ding hin mit einem Kugelschreiber dazu. Der Aufkleber von Woolworth war noch dran.
Einmal hat er es sogar versucht, aber seine Gedanken sind anders, wenn er sie aufschreibt, haben eine andere Stimme. Das bringt nichts. Da könnte er auch gleich Fantasy-Geschichten schreiben. Oder einen ausgedachten Dialog mit Sandra.
Trotzdem würde er sich dann jetzt vielleicht an mehr erinnern als an diese blöden Merksprüche. Oder an den faltigen Ausschnitt der Psychotante, der Krater zwischen ihren Brüsten, der links und rechts von feinen Rissen gesäumt ist.
Valerie kaut auf einer Pommes herum, schaut ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Ich werde jetzt erst mal hierbleiben, sagt Robert. Bis wir wissen, wie’s weitergeht. Also, du musst dir keine Sorgen machen, dass ich – wir stehen das zusammen durch. Wirklich, versprochen. Hundert Prozent. Und das hat nichts damit zu tun, dass du ein Baby bist. Auch Hundert Prozent.
Valerie sagt nichts dazu, aber sie lächelt ein wenig.
Der Imbissbudenbesitzer stellt das Radio lauter und Valerie schaut nach draußen.
Später sitzt Robert auf dem Sofa und fühlt sich irgendwie an gestern Nacht erinnert. Schon wieder ist es draußen fast schwarz, weil das Licht der Straßenlaternen nicht bis nach oben reicht.
Valerie ist in ihrem Zimmer und lernt. Zumindest hat sie das gesagt. Man hört leises Dudeln von Musik. Am liebsten würde Robert klopfen, noch mal mit ihr sprechen. Nur, worüber, weiß er auch nicht so recht.
Sein Handy klingelt erneut. Er schiebt es unter das Sofakissen, er will Valerie nicht stören. Wahrscheinlich hört sie es ohnehin nicht. Er zieht das Handy wieder hervor, starrt auf den Namen.
Wenn Sandra doch einfach mal aufhören würde, immer genau dann anzurufen, wenn es ihm am wenigsten passt.
Er wartet, bis es aufhört zu klingeln, dann schreibt er eine SMS, schickt sie nicht ab.
Seitdem er hier ist, kommen ihm seine Probleme mit Sandra weit weg vor, und noch weiter entfernt ist der ganze Rest, der ganze Azubischeiß, die Firma, die anderen.
Seit er hier ist, ist alles, was mit Marburg zu tun hat, irgendwie verflogen, in ihm verstreut. Er könnte es sicher zusammenkratzen, wenn er wollte. Er hatte das vorgehabt. Sich mal hinsetzen und nachdenken, nach vorne schauen. Nicht ganz so, wie die Psychotante ihm das geraten hat. Nicht mit diesen Kärtchen. Aber trotzdem, einfach mal alles ordnen. Jetzt, wo er wieder auf dem Damm ist, wo er alles in Ordnung bringen kann. Nur, jetzt hat er keine Lust mehr dazu. Jetzt ist es auch egal.
Robert steht auf, sucht in den Schränken. Es ist überhaupt nichts mehr zum Essen da. Nicht einmal Nudeln. Er fragt sich, wie Valerie und die Mutter hier zusammen gewohnt haben. So wie es in den Schränken aussieht, war bestimmt kaum jemand hier. Beide sind irgendwie verschwunden, die Mutter in der Krankheit und Valerie, wohin, weiß er auch nicht.
Ich geh einkaufen, brüllt er in den Flur. Es kommt keine Reaktion, nur die Musik dudelt weiter. Okay, ruft Valerie dann, ein dünnes Stimmchen.
Die frische Luft draußen ist angenehm. Er überlegt, vielleicht jemanden anzurufen, ein Bier zu trinken. Aber wen könnte er schon fragen? Seine alten Kiffer-Kumpels bestimmt nicht, jetzt, wo er das endlich alles hinter sich hat. Aber das andere Früher ist schon zu lange her, seine Schulfreunde, er kennt ja kaum noch die Namen. Dann fällt ihm Eric ein. Ein Aussteiger wie er. Aussteiger, das klingt natürlich nach viel zu viel. Aber genauso fühlt er sich schließlich.
Wenn er darüber nachdenkt, hat er doch keine Lust auf Eric. Allein die Fragen. Trotzdem, er muss jetzt gut aufpassen, sich nicht hängen lassen. Das hatte er schon, er kennt die Gefahr. Vielleicht könnte er Fußball gucken gehen mit Eric, irgendwas Unverfängliches.
Er hat das Handy schon in der Hand. Als er die SMS von Sandra sieht, steckt er es schnell zurück.
Im Kaiser’s ist es rappelvoll. Er erinnert sich gut an die Arbeit hier, er hatte meistens die Spätschicht. Hoffentlich trifft er niemanden, den er kennt. Aber die Kassierer sind alle jung, vermutlich Schüler, sitzen genauso gelangweilt da wie er damals. Es war trotzdem ein tolles Gefühl, Geld zu haben, das weiß er noch. Wie stolz er war, als er an die Kasse durfte, nicht nur Regale einräumen. Nicht, dass das was gebracht hätte. Er hat es natürlich versiebt damals, so wie alles.
Valerie ist nie über das Regale-Einräumen hinausgekommen, soweit er weiß. Als die Mutter krank wurde, hat sie aufgehört.
Das ist so lange her, er erinnert sich kaum noch an die Details. Vielleicht sollte er Valerie fragen, wie es für sie war. Vielleicht sollten sie sich zusammensetzen und alles durchsprechen, sich gemeinsam erinnern. Der Kaiser’s ist eigentlich ein guter Ansatzpunkt. Damals waren sie beide anders und das Leben irgendwie gleichförmig. Damals hätte ihm die Psychotante das mit den Kärtchen gar nicht erst erzählen müssen.
Robert hievt seine Einkäufe auf das Band und wartet, bis der kleine Pickelige alles über den Scanner gezogen hat.
Könnte ich Ihren Ausweis sehen?, fragt der Junge, schaut ihm dabei nicht in die Augen. Entschuldigen Sie, ich muss das fragen.
Klar, sagt Robert, möchte fast lachen.
Ich bin dreiundzwanzig, sagt er. Bitteschön.
Er weiß, dass er auf dem Ausweis ganz anders aussieht, dicker, glücklicher. Das Bild ist fünf Jahre alt.
Der Pickelige nickt, der hinter ihm wartet schon und Robert schiebt seinen Wagen davon.
Zu Hause steht Valerie im Flur und hat bereits ihre Jacke an.
Wo willst du hin?, fragt er.
Mal raus, sagt sie.
Bist du verabredet?
Sie sieht irgendwie anders aus. Hat sie sich noch mal nachgeschminkt? Ihr Puppengesicht ist jetzt wieder da, ihre Augen sind groß und glasig.
Ja, sagt Valerie, ein Freund.
Aha, sagt Robert. Ich wollte eigentlich was kochen.
Sorry, sagt Valerie. Hat sich spontan ergeben.
Читать дальше