Gudmundur Oskarsson - Bankster

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Es ist das Jahr 2008. Die Finanzkrise erschüttert das isländische Bank-wesen, Island steuert auf die Staatspleite zu. Ohne vorherige Ankündigung verliert Markús über Nacht seinen Job bei seiner Bank. Völlig perplex angesichts der Tatsache, dass künftig der Verzehr von foie gras bei Kerzenschein in ferne Vergangenheiten verbannt sein soll und dass 24 Stunden täglich ohne Arbeit bewältigt werden müssen, stürzt Markús in eine schwere Lebenskrise. Seine Lebensgefährtin Harpa verliert ebenfalls ihre Stelle als Bankerin, nimmt aber sofort einen Job als Aushilfslehrerin an. Dass sie ihn immer wieder vorsichtig auf seine Ar-beitssuche anspricht, macht die Sache für ihn nicht besser. Auch ein kurzer Ausflug in die aufkeimende isländische Bürgerbewegung hilft nicht weiter. Markús klammert sich an sein Tagebuch, dem er seine Beobachtungen zur Lage der Nation anvertraut. Er scheint sich in seiner neuen Rolle zunehmend einzurichten. Doch Harpa hat ein Geheimnis, und als sie ihn von einem Tag auf den anderen verlässt, wird sein Leben erneut auf den Kopf gestellt. Banker und Gangster: Das Schicksal des Liebespaares Markús und Harpa, die für die größten isländischen Banken arbeiten und beide während der Wirtschaftskrise 2008 ihre Arbeit und Zukunft verlieren.
Mit seinem einnehmenden isländischem Humor und einem liebevollen Blick für seine Protagonisten erzählt Óskarsson von der persönlichen Krise eines jungen Mannes, dessen Leben durch die weltweite ökonomische Krise aus den Fugen gerät. Es ist zugleich das eindrucksvolle Porträt einer fortschrittsverwöhnten und profitgierigen Gesellschaft, deren ökonomischer Optimismus und blinder Wachstumsglaube jäh erschüttert werden.

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Guðmundur Óskarsson

Bankster

Roman

Aus dem Isländischen von Anika Lüders

I Vorwort Sechs Telefonate 2047 Uhr Donnerstag 2 Oktober 2008 Hi Grüß - фото 1

I

Vorwort

(Sechs Telefonate)

20:47 Uhr Donnerstag 2. Oktober 2008

– Hi!

– Grüß dich, mein Lieber.

– Hi hi.

– Wo bist du?

– Bin mit ein paar anderen nach der Arbeit noch was trinken gegangen.

– Und, viel los bei euch?

– Schon.

– Ist in der Hauptstadt nicht Donnerstag, wie anderswo auch?

– …

– Markús?

– Ja, dochdoch. Ist ja auch kein Besäufnis im Gange.

– Jæja. Und hast du gesehen …

– Was?!

– Hast du Geir vorhin gesehen?

– Nein.

– Das …

– Ich höre dich so schlecht!

– …

– Warte!

– …

– Papa, ich bin auf dem Weg nach draußen, warte mal!

– …

– Wurde plötzlich so laut – was hast du gesagt?

– Ich wollte sagen, dass unser Ministerpräsident da wohl kaum eine Regierungserklärung abgegeben hat.

– Was dann?

– Viel eher eine Grabrede.

– Eine Grabrede!

– Nach was Besserem hat es sich nicht angehört.

– Was hat er gesagt?

– Es war eigentlich mehr der Ton als das, was er gesagt hat.

– Und wie war der Ton?

– Trauervoll.

– Trauervoll?

– Trauervoll, mein Markús.

– Hast du dir denn schon ein Schlückchen genehmigt, Papa?

– Nein, aber das ist eine teuflisch gute Idee.

– Spricht nichts dagegen, sich vorm Schlafen einen zu genehmigen.

– Spricht nichts dagegen.

– …

– Und geradezu notwendig, nachdem man sich das angehört hat.

– War sonst noch was Besonderes?

– Nein, wollte nur wegen der Rede mit dir sprechen. Ihr seid da ja mittendrin in diesem Wahnsinnsboom, der anscheinend gerade zusammenbricht.

– Kein Grund, so pessimistisch zu sein. Schon seit Juli letzten Jahres gibt es einen Abwärtstrend und …

– Trend?

– Ja, und wir müssten bald unten angekommen sein. Dann kann es wieder aufwärtsgehen …

– Die Glitnir-Bank ist schon unten angekommen. Macht ihr euch deswegen keine Sorgen?

– Sie müssen das vorher alles gut durchdacht haben.

– …

– Die Notenbank müsste einspringen.

– Und du?

– Was?

– Machst du dir Sorgen?

– Ich lasse mich von ihnen jedenfalls nicht unterkriegen. Die Landsbanki und Glitnir sind so unterschiedliche Unternehmen, beides Banken, aber so unglaublich unterschiedliche Unternehmen.

– Das wollen wir hoffen.

– Glauben wir es. So ist es halt.

– Jæja.

– …

– …

– Schneit es bei euch?

– Ab und zu, im Augenblick aber nicht.

– Hier ist es richtig stürmisch, furchtbar winterlich.

– Nur ein kurzer Herbst dieses Jahr?

– Gemessen am Zähneklappern.

– Geh wieder rein, wenn dir kalt ist.

– Werde ich tun, wir hören uns bald wieder.

– Ja, und ich gönne mir noch einen aus der guten Flasche.

– Hast du den Whisky nicht schon ausgetrunken?

– Gerade bei den Flaschenschultern angelangt.

– Na dann hau mal rein, aber lass es nicht die Runde machen. Ich schicke eine neue, sobald du mit der alten fertig bist.

– …

– Wie bitte?

– Ja, würde ich wohl nehmen, noch so eine Flasche. Das Zeug ist wirklich gut.

– Super.

– Grüße von deiner Mutter.

– Okay, danke. Küss sie von mir auf die Wange.

– Mache ich.

– Und nicht heimlich auf den Mund, alter Mann.

– Nein, zuerst auf die Wange.

– Genau.

– So machen wir es.

– Ja, bye.

– Tschüss, mein Lieber.

Am Tag danach

– Hi.

– Grüß dich, mein Lieber.

– Was gibt’s?

– Zunächst einmal, dass das Gleichgewicht, das mal im Telefonieren steckte, verlorengegangen ist, seit man immer gleich sieht, wer anruft.

– Welches …

– Lach nicht. Sieh mal, ich habe angerufen, und du hast »Hi« gesagt anstelle des gewöhnlichen »Hallo« oder »Hier ist Markús«, und ich habe »Grüß dich, mein Lieber« statt »Grüß dich, mein Lieber, hier ist dein Vater« gesagt, bevor ich dann eigentlich fragen wollte, wie es dir geht, anstatt mich darüber auszulassen, wie sich die Technik verändert hat …

– Es hätte aber auch Mama sein können, da steht nur »Eltern« auf der Anzeige.

– Ist ja auch egal.

– Jæja.

– Ja.

– …

– Und, hast du die Mittagsnachrichten gehört?

– Meinst du das, was der Ökonomie-Professor gesagt hat?

– Ja.

– Nein, aber ich habe im Internet darüber gelesen.

– Was meint ihr?

– Wir Bankleute?

– Ja.

– Es ist gelogen, einfach unglaublich, dass es sich jemand mit einer Stelle an der Universität Islands erlauben kann, zu behaupten, dass die Banken im Land faktisch bankrott seien.

– Aber wenn es wahr ist?

– Ist egal. Es wird wahr, sobald die Leute es ernst nehmen.

– Vielleicht gibt es keinen Grund, es nicht ernst zu nehmen.

– Doch Papa, wir müssen zusammenhalten.

– Einige scheinen da nicht dran zu denken.

– Nur die Neurotiker.

– Vielleicht muss man nicht wirklich krank sein, um auf sein Geld achten zu wollen.

– Ein Bankensturm ist eine sehr ernste Angelegenheit.

– Bezeichnest du das als Sturm?

– Kaum. Aber das macht sich nicht so gut, alle Filialen voller aufgeregter Leute, die Geld in Plastiktüten stopfen.

– Im besten Fall haben die meisten ja vielleicht nur Schulden bei der Bank.

– Viele kommen, um abzuheben, was ihre Kreditkarte noch hergibt. Was soll das?!

– Kommen sie damit denn nicht durch?

– Sicher!

– Verdammter Mist.

– …

– Glaubst du denn, dass es euch genauso ergehen wird wie Glitnir?

– Mensch, die Unternehmen sind so unterschiedlich.

– Wie du schon immer gesagt hast.

– Ja.

– Hoffentlich auch unterschiedlich genug.

– Den Büchern nach sollten sie das sein. Unser Kapital ist zum Beispiel viel sicherer. 63 Prozent unserer Kredite sind durch Einlagen gedeckt. Das ist eine besonders hohe Rate, und die Bank ist daher nicht so abhängig …

– Aber was macht ihr, wenn die Leute ihre Einlagen jetzt sofort haben wollen?

– Ein großer Teil davon ist gebunden.

– Wie groß?

– Ungefähr ein Drittel. Aber davon und von allem anderen einmal abgesehen, hält keine Geschäftsbank einen Ansturm ihrer Kunden aus.

– …

– Das Modell geht davon aus, dass nur relativ wenige innerhalb eines bestimmten Zeitraums an ihr Geld müssen.

– …

– So ist es halt.

– Ja, jæja. Genug davon. Wie sieht das Wochenende bei euch Eheleuten aus?

– Wir sind nicht verheiratet, Papa.

– Aber über die Möglichkeit habt ihr trotzdem schon mal nachgedacht.

– Ja, die Möglichkeit gibt es. Das Wochenende wird wahrscheinlich ruhig, entspannt und angenehm.

– Das ist gut.

– …

– Ihr arbeitet jetzt also weniger am Wochenende?

– Ja, in letzter Zeit. Aber man hat jetzt ja sowieso immer den Computer zu Hause.

– Was für eine Hölle.

– …

– …

– Aber Papa, es gibt gerade ziemlich viel zu tun, sollen wir uns nicht besser später noch mal hören?

– Doch, unbedingt.

– Heute Abend oder spätestens morgen.

– Ja, gut, mein Lieber.

– Bye.

– Tschüss.

Nach dem Wochenende

– Markús hier.

– Na sieh einmal an!

– War das nicht viel besser so?

– Doch, aber jetzt habe ich versagt.

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