Der Captain schaute wie ein Erwachender. Dann nahm er sein Walkie-Talkie und begann hastig zu sprechen.
„Alles klar“, rief er dann.
Ich gab die P226 Milo, der nun wie ein Buscadero – das war ein Zweihandschütze im guten alten Wilden Westen – hinter der Mauer kauerte und ein kantiges Kinn bekommen hatte, was Ausdruck seiner Sorge, aber auch seiner unumstößlichen Entschlossenheit und Bereitschaft war.
Dann erhob ich mich.
Die Hände hatte ich in Schulterhöhe erhoben.
Langsam näherte ich mich dem Eingang in die Bar.
Da blieb ich stehen.
„Okay, Trevellian“, kam es von Sergio Antonelli, „ein kleiner Fingerdruck genügt. Du weißt es. Ich lasse jetzt den Knaben gehen.“
Der Boy kam hoch. Er war bleich wie Butterkäse. In seinem schmalen Gesicht zuckten die Muskeln. Er zitterte wahrscheinlich an Leib und Seele. In seiner Uniform erinnerte er mich an die Jungs im Zirkus, die immer im Eilschritt die Auftritte der Künstler und Dompteure vorbereiteten.
Ich setze mich in Bewegung. Antonelli zielte am Tresen vorbei auf mich. Er befand sich am linken Ende der langen Bar.
„Verschwinde!“, zischte er dem Jungen zu.
Der marschierte mit weichen Knien los.
Ich ging so, dass er rechts an mir vorbei musste. Er schaute mich an, und in seinen blauen Augen irrlichterten die Angst und das Entsetzen. Wahrscheinlich brauchte er einen Psychologen, wenn das hier ausgestanden war.
Als wir fast auf einer Höhe waren, stieß ich mich ab; ansatzlos und mit aller Kraft, die in meinen Beinen steckte.
Den brüllenden Donner von Antonellis Schuss in den Ohren riss ich den Jungen um. Wir schlitterten in einem rechten Winkel ein Stück auf die Bar zu. Stühle fielen um, ich stieß mit der Schulter gegen ein Tischbein, und wir nahmen den Tisch wohl einen guten Meter mit. Ein stechender Schmerz fuhr durch meine Schulter und tobte hinauf bis unter meine Haarwurzeln, aber da musste ich durch. Mit meinem Körper deckte ich den Boy, so gut es ging.
Wir waren aus Antonellis Schussfeld.
Wenn er mir jetzt noch die Krawatte zurechtrücken wollte, musste er sich entweder weit um den Tresen beugen, oder er musste sich aufrichten, um über den Tresen zu feuern.
Ersteres tat er. Es riss ihn einfach mit, den Guten. Der Reflex war schneller als sein Verstand – und Milos Kugeln waren schneller als sein Reflex.
Es krachte zweimal so schnell hintereinander, dass sich die Schüsse anhörten wie ein einziger. Die Wucht der Geschosse riss Antonelli von den Beinen. Er drückte zwar noch einmal ab, aber sein Projektil hämmerte nur den Putz von der Decke. Dann seufzte er, als würde er sich nach vollbrachtem Tagwerk schlafen legen, und dann war nichts mehr von ihm zu hören.
Milo rannte an mir vorbei, beide Waffen in den Fäusten. Ich rappelte mich hoch. Der Junge lag am Boden und hätte in diesem Moment keinen Tropfen Blut gegeben. Ich half ihm auf die Beine, biss die Zähne zusammen, weil meine Schulter schmerzte, als hätte ich mir den Flügel ausgekugelt, und drückte den Boy auf einen Stuhl.
Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, hörte sein trockenes Schluchzen, sah seine zuckenden Lippen und murmelte: „Lass ihnen freien Lauf, Junge. Weinen wäscht dir den Kummer von der Seele. Du musst dich deiner Tränen nicht schämen.“
Milo zielte auf Antonelli.
Der Captain brüllte regelrecht in sein Walkie-Talkie hinein.
Es dauerte nicht lange, dann kamen die Cops von der City Police. Mit ihnen kam ein Arzt. Und in ihrem Schlepptau erschien auch Lew Harker mit seinem Blitzlichtgerät.
Sergio Antonelli musste mit dem Zinksarg abgeholt werden. Milo wollte kein Risiko eingehen, als er den Killer vor den Mündungen hatte.
„Einer wie Antonelli kann dich noch in den letzten Zuckungen liegend totschießen“, murmelte Milo, als ich vorsichtig bemerkte, dass er lebendig für uns wertvoller gewesen wäre.
Irgendwie musste ich ihm recht geben.
Milo hatte seine Kugeln so platziert, dass der Killer nicht mehr zuckte.
Wir erkundigten uns bei den Hoteldetektiven nach dem Mann, den Antonelli killen wollte.
„Er heißt Tom Sommerby und wohnt im zwölften Stock, Zimmer zwölf-null-vier.“
„Wart ihr zufällig in der Nähe, als sich Antonelli an Sommerby ranmachte?“, wollte ich wissen. Meine Kanone steckte wieder im Holster. Der Schmerz in meiner Schulter war erträglich geworden.
Der Mann nickte. „Wir erhielten einen Anruf, dass sich im zwölften Stock jemand herumtreibe und sich recht auffällig benehme. Als wir oben ankamen, stand der Bursche, den ihr – nun ja, der dort bei der Bar das Zeitliche segnete, unter der Tür von Zimmer zwölf-null-vier. Als er uns sah, feuerte er und rannte zur Treppe. Wir hinterher. Im achten Stock, als wir ihn fast hatten, schnappte er sich den Boy, der zufällig aus der Toilette kam, und verschanzte sich mit ihm in der Bar.“
„Wann erfolgte der Anruf?“, erkundigte sich Milo.
Der Mann schob die Unterlippe vor, sah seinen Kollegen fragend an, dann erwiderte er: „Es dürfte ein oder zwei Minuten vor zwei Uhr gewesen sein. Was meinst du, Clark?“
Der andere nickte.
„Wie lange brauchtet ihr, bis ihr oben wart?“
„Hm“, machte der Detektiv, ein rotgesichtiger Mister mit blondem Bürstenhaarschnitt, ein Kerl wie ein Kleiderschrank, „wir waren im zehnten Stock und haben die Treppe genommen ...“
„Der Schuss fiel also fast punktgenau um vierzehn Uhr“, stellte ich fest.
„Dürfte hinkommen“, murmelte Mister Kleiderschrank und nickte wiederholt.
Die Frage, ob Sommerby verletzt wurde, erübrigte sich, da wir ja wussten, dass Antonelli vorbeigeschossen hatte.
„Reden wir mit Sommerby“, knurrte Milo.
„Yeah.“
Dort, wo Antonelli gelegen hatte, waren seine Konturen mit Kreide nachgezeichnet worden. Die Blutflecke auf dem Fußboden waren noch feucht. Die Kollegen von der Spurensicherung machten ihren Job. Um den Hotelboy kümmerte sich eine Psychologin des Police Departements. Es wimmelte noch von Polizisten und Neugierigen.
„Ist er in seinem Zimmer?“, fragte Milo.
„Ich denke mal“, antwortete der Kleiderschrank.
Wir wandten uns ab, um uns zum Aufzug zu begeben. Ehe ich mich aber in Bewegung setzte, fiel mir noch etwas ein. „Wer hat Sie informiert, Mister?“
Der Riese zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung. Es war eine Männerstimme.“
Wir fuhren hinauf in den 12. Stock. Einige Leute waren im Zimmer von Mr. Sommerby. Neben anderen der Manager des Hotels. Er hatte wahrscheinlich beruhigend auf den grauhaarigen Mann mit der schwarzen Hornbrille eingeredet. Solche Publicity konnte sich kein angesehenes, renommiertes Hotel leisten. Darum kümmerte sich der Manager persönlich um den Gast. Er tat sicher alles, um ihn zu besänftigen.
Als wir eintraten, wurde es schlagartig still. Wir wurden angestarrt wie jemand mit zwei Köpfen.
Sommerby saß auf seinem Bett. Er starrte uns durch die dicken Gläser seiner Brille an, hinter denen seine grauen Augen übergroß erschienen. Die Gläser mussten die Stärke des Bodens einer Colaflasche haben.
Wir stellten uns als Special Agents des FBI vor und zeigten unsere ID-Cards, dann schickten wir die Leute hinaus.
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