Von dem Gangster war nicht mal die Nasenspitze zu sehen.
„Was ist mit Scharfschützen? Habt ihre welche postiert?“, rief Milo.
„Yeah, rundum in den Buildings. Aber wir können das Feuer nicht freigeben, solang er dem Boy die Kanone an die Schläfe hält.“
Ich nahm alles in mich auf. Die Bar hatte mehrere große Eingänge – Glastüren natürlich. Die meisten waren geöffnet.
„Na schön“, knurrte ich. „Dann wollen wir mit Sergio mal ein paar Takte reden.“
„Er wird sich auch von dir nicht überzeugen lassen, dass Aufgabe das klügste für ihn wäre“, kam es wenig motivierend aus Milos Mundwinkel.
Ich grinste säuerlich. „Während ich ihn mit Worte erschlage, kannst du ja hineinspazieren und ihn dir holen.“
Milo schaute mich verdutzt von der Seite an.
Ich rief: „Sergio Antonelli, hier spricht G-man Trevellian, FBI New York. Sie kommen hier nicht raus. Also lassen Sie den Jungen laufen und ergeben Sie sich. Wenn Sie dem Jungen auch nur einen Kratzer zufügen, verschlimmern Sie Ihre Lage nur.“
Ein erzwungenes, blechernes Lachen erklang. Sergio war gewiss nicht nach Lachen zumute. Dann ließ der Italoamerikaner seine Stimme erklingen: „Ah, Trevellian, der Oberschnüffler. Steh‘n wir uns wieder mal gegenüber, wie? Und jetzt bist du voll des Jubels, weil du denkst, du kriegst mich endlich.“
„Ich kann fast nicht mehr vor Freude, Sergio. Und du wirst es nicht glauben, ich denke nicht nur, dass ich dich heute erwische, ich bin sogar fest überzeugt davon.“
„Dann vergiss nur nicht den zitternden Knaben, den ich vor der Knarre habe. Du hast doch noch nie unschuldiges Blut vergossen, Trevellian.“
„Werd ich auch heute nicht, alter Kumpel. Warum wolltest du eigentlich den Mann erschießen?“
„Privatsache. Eine alte Rechnung.“
„Glaub ich dir nicht.“
„Glaub es oder glaub es nicht. Vielleicht kannst du die Cops überzeugen, Trevellian, dass es besser wäre, Sie ließen mich mit meiner Geisel abziehen. Alles, was ich will, ist eine vollgetankte Karosse mit Sicherheitsglas. Man soll mir den Wagen vor die Tür stellen, die Bullen sollen sich verziehen, und vor allem soll man nicht versuchen, mich hereinzulegen. Der Knabe hier – du weißt schon.“
Ich wusste jetzt genau, wo der Bursche hinter dem Tresen saß. Der Barraum war riesig. Ein Ding der Unmöglichkeit, auf die andere Seite des Tresens zu gelangen, ohne dass Sergio Antonelli seine Stahlmantelgeschosse in den hineinjagte, der verrückt genug war, es zu versuchen.
„Ich glaube nicht, dass man darauf eingehen wird, Sergio“, rief ich.
Milo lugte um die Mauerecke. Irgendwie ahnte ich, dass er verrückt genug sein wollte. Ich zupfte ihn am Ärmel und schüttelte den Kopf.
Der Verbrecher schwieg.
Ich hub wieder an. „Versuchter Mord und Geiselnahme, Sergio. Ein paar Jahre gibt‘s sicherlich dafür. Aber bei vollendetem Mord kriegst du lebenslänglich. Und weil es eine ganz besonders verwerfliche Tat ist, lebenslänglich ohne die Aussicht, jemals begnadigt zu werden. Man wird dich hinter Zuchthausmauern lebendig begraben. Das ist das selbe wie ein Todesurteil. Nein, das ist schlimmer als ein Todesurteil.“
„Red dir ruhig den Mund fransig, Trevellian. Wenn der gepanzerte Wagen nicht in fünfzehn Minuten unten vorfährt, spalte ich dem Haufen Elend hier mit einer fünfundvierziger Kugel den Kopf. Das ist mein letztes Wort.“
„Und dann? Ohne ihn bist du ganz schön aufgeschmissen.“
„Ein paar von euch werde ich jedenfalls noch mitnehmen.“
Ich überlegte. Was nützt es uns, wenn wir seiner habhaft werden oder ihn mit einem Schuss kalt stellen, fragte ich mich, wenn er die Geisel erschießt. Das Leben des Jungen durfte auf keinen Fall durch uns aufs Spiel gesetzt werden.
Sergio Antonelli war unberechenbar und gefährlich. Ein Auftragsmörder, dem wir bisher nicht das Handwerk legen konnten. Und wenn er versprach, einige von uns mitzunehmen auf die Reise ohne Wiederkehr, dann glaubte ich ihm das auch.
Wenn ich über die Blumentöpfe hinweg linste, konnte ich durch die riesigen Panoramascheiben der Bar die beiden Buildings auf der anderen Straßenseite sehen. An einigen Fenstern im 8. und 9. Stock hatten sich maskierte Scharfschützen postiert. Sie standen über Funk mit der Einsatzleitstelle in Verbindung.
Wir selbst kamen nicht hinein in die Bar, ohne dass wir Federn lassen mussten. Das war für mich so klar wie Kloßbrühe.
Also musste der Schurke bewegt werden, sich von seiner Geisel zu lösen, und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick.
„Was machst du, wenn ich jetzt einfach zu dir hineinkomme, dir die Pistole vor die Nase halte und dich auffordere, die Waffe fallen zu lassen?“
Das war natürlich Unsinn. Aber ich wollte ihn tatsächlich beschäftigen und ablenken.
Antonelli lachte scheppernd. „Dann werde ich dich in ein Sieb verwandeln, Trevellian. Ich werde dich so voll Blei pumpen, dass von deinem Gewicht der Boden deines Sarges durchbrechen wird.“
„Und wenn ich dir vorschlage, dass ich mich anstelle des Boys als Geisel zur Verfügung stelle?“
Jetzt schien der Gangster ziemlich verblüfft zu sein.
Aber die Betroffenheit war nicht nur bei ihm. Milo schaute mich an, als hätte ich plötzlich was an der Birne. Sein Mund stand halb offen, in seinen Augen stand unverhohlen die Frage nach meinem derzeitigen Geisteszustand.
Antonelli schien es verarbeitet zu haben. „Du würdest tatsächlich ohne deine Kugelspritze zu mir hinter den Tresen marschieren und dich mir auf Gedeih und Verderb ausliefern?“
Er schien richtig erstaunt zu sein und es verstandesmäßig noch gar nicht richtig erfassen zu können.
„Dir haben sie wohl Juckpulver ins Essen geschüttet“, zischte Milo.
Ich griente ihn an. „Wieso Juckpulver?“
„Es kann auch irgend was anderes sein. Jedenfalls scheint dich der Hafer zu stechen.“
„Lass nur“, sagte ich. „Warten wir erst, ob er darauf eingeht. Ich schreibe gerade im Geiste ein Drehbuch, weißt du. Ich übernehme in dem Stück die Rolle des Geknechteten, und du wirst der Held sein. Also gib jetzt gut Acht, Milo.“
Mit wenigen Sätzen verklickerte ich Milo, was mein Plan war.
„Das kann aber auch verdammt ins Auge gehen“, streute er seine tiefsitzenden Zweifel aus. Skepsis prägte sein Gesicht, Skepsis bedeckte den Grund seiner Augen.
„Wir müssen es versuchen. Falls es schief geht, nun ja – du erbst meine Uhr.“
„Ich will den Sportwagen“, knurrte Milo mit Galgenhumor.
„Ja, Sergio“, schrie ich. „Ich gehe jetzt mit erhobenen Händen zur Tür. Dort bleibe ich stehen. Du hast mich also im Visier. In dem Moment, in dem ich den ersten Schritt mache, lässt du den Pagen gehen. Ist das so in Ordnung.“
Aus den Augenwinkeln sah ich den Captain, der mich anstarrte, als hätte man ihm soeben das Gehirn amputiert. Um es auf einen Nenner zu bringen: Er schaute dümmer aus der Wäsche als ein Muli, dem ein Floh ein unsittliches Angebot macht, wobei ich bei diesem Vergleich dem Muli wahrscheinlich Unrecht zufüge.
„Natürlich, Trevellian. Und – verdammt noch mal – keine krummen Touren. Ich werde dich vor der Mündung haben, und ich werde auch nicht zögern. Und glaub‘s mir, es wäre mir ein innerlicher Thanksgiving Day, dir mit ein paar Kugeln die Krawatte zurechtzurücken.“
„Das weiß ich, Sergio. Darum werde ich mir alle Mühe geben, die Krawatte zu schonen. Ich komme jetzt.“ Laut, so dass es auch Sergio hören konnte, sagte ich zum Captain: „Funken Sie Ihre Scharfschützen an, dass sie nicht schießen sollen. Denn selbst mit einer Kugel im Kopf findet ein Mann wie Antonelli immer noch die Zeit, mich mitzunehmen auf die Höllenfahrt.“
„Worauf du Gift nehmen kannst!“, tönte Antonelli.
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