Despite the enormous success of conventional medicine, especially in combating infectious diseasesas well as in intensive care, the limitations of such medicine, which is based primarily on a pathogenetic understanding of health, have become evident. Today, conventional medicine is being employed increasingly in the integration of preventive medical practices and those of health promotion, which are based, in particular, on salutogenesis and the strengthening of resilience factors.
Evidence-informed or evidence-based methods of naturopathy as well as complementary or traditional medicine and self-care/health promotion will complement medicine in a meaningful way, with special emphasis on encouraging self-responsible, active patients as well as empathetic physicians who are genuinely interested in a participative dialogue.
Of central importance in this development is the thorough scientific investigation of naturopathy and complementary medicine, especially by focusing on the complexity of its procedures to be investigated in the sense of ‘Whole Medicine Research’, which should also be funded by public authorities.
In this context, complementary medicine will increasingly be part of future comprehensive and holistic – supposedly integrative – medicine, as is already the case in the USA.
In addition to patient activation, a central component of future Integrative Medicine is the interdisciplinary networking of all health care professions involved in medical care and health promotion, with the support of social partners being a key factor in promoting this development. In addition, the social, political and ecological conditions surrounding health should be given greater consideration in the future. Only if we succeed in modernizing medicine in the direction of Integrative Medicine, will we be able to meet the health policy challenges of the future.
Trotz enormer Erfolge der konventionellen Medizin insbesondere bei der Bekämpfung vieler Infektionskrankheiten und in der Akutmedizin sind in den letzten Jahrzehnten die Limitationen dieses v.a. auf einem pathogenetischen Gesundheitsverständnis basierenden Ansatzes offensichtlich geworden. Folge ist, dass den aktuellen Herausforderungen der globalen Medizin bei der Versorgung von einer zunehmenden Weltbevölkerung sowie die Zunahme an chronischen Erkrankungen insbesondere in den Industrienationen nicht mehr allein durch die kostenaufwendige konventionelle Medizin begegnet werden kann. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Medizin zunehmend in Richtung einer Integrativen Medizin entwickelt. In dem vorliegenden Artikel wird diese Entwicklung ausgehend von den Konzepten von Gesundheit und Krankheit, von den Konzepten der komplementären naturheilkundlichen bzw. traditionellen Medizin bis hin zu den verschiedenen Definitionen von Integrativer Medizin nachgezeichnet. Des Weiteren werden Konkretisierung wichtiger Aspekte in Form vom Berlin Agreement, das im Rahmen des 1. Weltkongresses für Integrative Medizin entwickelt wurde, vorgestellt.
1.2 Konzepte von Gesundheit und Krankheit
Die Integrative Medizin ist unter anderem das Ergebnis der durch die gesellschaftlichen Bedingungen sich wandelnden Konzepte von Gesundheit und Krankheit insbesondere im 20. Jahrhundert.
Der WHO-Gesundheitsbegriffvon 1947 „Gesundheit ist der Zustand des völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“ (WHO 2006) ist zwar mehrdimensional und positiv, deutet aber auch auf einen Idealzustand hin, der unerreichbar erscheint und somit realitätsfern ist. Insbesondere das der konventionellen Medizin zugrunde liegende biomedizinische Krankheitsbildmit der Grundannahme, dass jeder Krankheit eine Veränderung des organischen Substrats durch innere Bedingungen (z.B. genetische Codes) oder äußere Einwirkungen (z.B. Infektionen oder chemische-physikalische Einflüsse) zugrunde liegt, hat die Medizin seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich geprägt und insbesondere bei der Bekämpfung von Infektionserkrankungen zu unübersehbaren Erfolgen geführt. Allerdings hat dieser Ansatz auch nicht zu übersehende Schwächen, so haben Befindlichkeitsstörungen und funktionelle Erkrankungen kaum einen Platz in diesem System, bei dem der menschliche Körper eher wie eine Maschine interpretiert wird, die Krankheit als Betriebsschaden aufgefasst und der Körper wird bei technischen Störungen repariert wird. Auch die diesem System entsprechenden äußeren Bedingungen haben mit einer zunehmenden Technisierung der Medizin die Grenzen des biomedizinischen Krankheitsbilds aufgezeigt. Darüber hinaus ist bei der pathogenetischen Betrachtungsweisedie Festlegung der Grenze zwischen „normalen“ und „pathologischen Werten“ problematisch, da die sich daraus ergebende Dichotomisierung zwischen „sicher gesund“ und „sicher krank“ zu einem Reduktionismus des menschlichen Lebens führt. Auch gilt nicht immer das Normale (entlang der Verteilung von Merkmalen in der Normalbevölkerung) als gesund, heute werden zunehmend Referenzwerte für gesunde Merkmale (vgl. systolische Blutdruckwerte, Plasma-Lipidwerte etc.) weit außerhalb ihrer Normalverteilung definiert, was große Gruppen der Bevölkerung automatisch – per definitionem – zu „Kranken“ macht.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich aber auch Gesundheitsmodelle entwickelt, die primär den Begriff der Gesundheit und nicht der Krankheit in den Mittelpunkt stellen (Franke 2012). Diese Modelle werden häufig als salutogenetische Modellebezeichnet, die für die Entwicklung der Integrativen Medizin von größter Bedeutung sind (Franke 2012): Vom Begründer der Salutogenese, dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky, wird die Salutogenese, die Lehre bzw. Erforschung von Faktoren und Prozessen, die die Gesundheit erhalten und fördern, bewusst dem Begriff der Pathogenese, der Lehre bzw. Erforschung von Faktoren und Prozessen, die die Krankheit erzeugen oder verlängern, gegenüber gestellt. Antonovsky weist darauf hin, dass die Pathogenese und die Salutogenese eine komplementäre Beziehung bei der Betrachtung von Gesundheits- und Krankheitsprozessen eingehen (s. Abb. 1).

Abb. 1 Integration von Pathogenese und Salutogenese entlang des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums. Linke Säule: Pathogenetische Perspektive (Fokus auf Risikofaktoren bzw. Krankheiten). Rechte Säule: Salutogenetische Perspektive (Fokus auf Schutzfaktoren/Widerstandsressourcen bzw. Gesundheit) (Esch 2017)
Das Modell der Salutogenesevon Antonovsky geht von der Annahme aus, dass Gesundheit und Krankheit zwei Pole eines Kontinuums sind, auf dem sich der Mensch befindet, so, dass folglich Krankheit eine normale Erscheinung des menschlichen Lebens ist. Aus der Sicht der Salutogenese gelingt das Verständnis des Krankheitsprozesses und somit eine optimale Therapie bzw. eine Gesundheitskorrektur nur durch ein möglichst breites Wissen über den Menschen, insbesondere auch über die Möglichkeit, krankmachende Stressoren und Belastungen zu meiden sowie gesundmachende Faktoren und Prozesse zu stärken (Gesundheitsschutzfaktoren). Ein wichtiger Bereich, der einen konstruktiven Umgang mit Stressoren ermöglicht, sind hier auch die „ generalisierten Widerstandsressourcen“. Diese ergeben sich einerseits aus gesellschaftlichen Widerstandsressourcen – den Bedingungen, in denen der Mensch lebt – und andererseits aus den individuellen Widerstandsressourcen – z.B. den kognitiven, physiologischen, psychischen und materiell-ökonomischen Ressourcen. Entscheidende Bedeutung misst Antonovsky dem sogenannten Kohärenzgefühl(engl. Sense of Coherence, SOC ) bei, das eine Hauptdeterminante dafür ist, welche Position der Mensch auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum hat, als auch die Richtung mitbestimmt, in welche der Mensch sich auf einen der Pole zubewegt (Antonovsky 1997). Das Kohärenzgefühl ist definiert als „eine globale Orientierung“, die ausdrückt, in welchem Ausmaß der Mensch ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass 1. die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind, 2. einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen und 3. die Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengungen und Engagement lohnen (Antonovsky 1997). Antonovsky identifiziert dazu drei Teilkomponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit, die zum Kohärenzgefühl entscheidend beitragen sollen. Verstehbarkeit ist dabei das Ausmaß, in dem interne und externe Stimuli kognitiv erfasst werden. Handhabbarkeit ist das Ausmaß, in dem der Mensch über Ressourcen verfügt, um auf die Stimuli reagieren zu können, und Bedeutsamkeit ist das Ausmaß, in dem dem eigenen Leben ein Sinn, eine Bedeutung zugeschriebenen wird (Franke 2012). In der aktuellen Forschung auch zu Resilienzmodellen und Persönlichkeits-Gesundheits-Kontexten – jenseits der Integrativen Medizin – spielt das Kohärenzgefühl weiterhin eine große Rolle, wobei nach Faktorenanalysen heute die Validität einer Auftrennung in die drei beschriebenen Teilkomponenten hinterfragt wird.
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