Jetzt ging ihm richtig der Stift! Einbruch?
Die Bullen?
Fehlalarm?
‚Dackelblicks‘ Eltern waren in Baden-Baden zu einem Kongress der Bohrerelite. Neue Substanz für noch weißeres Bleaching. Da stehen die Frauen in München drauf. Sein Alter konnte es gar nicht erwarten, seinen Patientinnen – Männer besuchten seine Praxis sehr selten – das neue Zeug zu verklickern. Darin war er spitze. Noch weißere Zähne als weiß. Das war es doch! In unverständlichstem Bayerisch quatschte Doktor ‚Volli‘, wie er liebevoll von seinen Patientinnen genannt wurde, die Tussis voll, wenn sie auf seinem Stuhl lagen und, Schlauch im Mund, eh nichts erwidern konnten. Methode.
Aber jetzt?
Was war das?
Es wurde laut im Erdgeschoss. Die Villa in der Dall‘Armistraße in Nymphenburg war gleichzeitig die Praxis des Promi-Zahndocs. Das ganze großzügige Erdgeschoss, eingerichtet von Ennio Graf Pilati, dem Innenarchitekten der Stadt, wenn man viel Kohle raushauen will.
Es klirrte und krachte, dass ‚Dackelblick‘ in Panik geriet. ‚Dackelblick‘ überlegte, ob er die Bullen rufen soll.
Er riet sich selbst davon ab.
Vermutlich würden sie sein Labor finden. Das wäre nicht so gut für ihn und seine Familie …
Er verbarrikadierte sich in seiner Behausung. ‚Dackelblick‘ war messiemäßig unterwegs. Wohnung konnte man zu der Edel-Chaos-Bude nicht gerade sagen. Er wartete ab.
Um 07:13 wagte er sich ins Erdgeschoss und erstarrte: Die Luxus-Praxis war ein einziges Schlachtfeld. Alle Computer rabiat rausgerissen. Weg. Die Telefonanlage ebenfalls. Weg. Die Gemälde – rund um Zähne –, Sonderanfertigungen von Matthias Waske, dem Promi-Maler für die Münchener Schickeria-Profis, wie den Promi-Bohrer, zerschnitten. Die Wände, das teure Interieur – alles hin. Ein genialer Sprayer hatte sich ausgetobt:
»Fick dich!«
»Arschloch!«
»Promi-Wichser!«
»Zahn-Loser!«
»Drogen-Dödel!«
»Dosenöffner!«
Das waren noch die ganz harmlosen Losungen.
‚Dackelblick‘ war sich nicht sicher, ob das alles seinem Vater galt oder ihm oder beiden. Fest stand, dass die Praxis eigentlich um 08:30 geöffnet werden würde. Zwei der Helferinnen würden, wie stets, überpünktlich kommen, um die Damen der Gesellschaft zu empfangen. Zum Säubern der Beißerchen, Airflow, Bleaching, Fissurenversiegelung und all das, was die reiche, schöne, die junge und fast junge Frau, die reifere, die schon leicht in die Jahre gekommene usw. wöchentlich dringend braucht, um in der Gesellschaft bestehen zu können.
‚Dackelblick‘ bekam weiche Knie.
Das ging nicht ohne Polizei.
Also raffte er sich auf. Er hatte genau eine Stunde, um sein Labor im Untergeschoss zu cleanen. Fieberhaft machte sich Rainer Bormann, der blutjunge Drogenmillionär – also fast –, an die Arbeit.
07:15. Geschafft. Alle 213 Party-People, die eigentlich einen geilen Abend auf Kosten des Starnberger Tierschutzvereins im MEGA abfeiern wollten, waren aufgenommen, vernommen, registriert und katalogisiert. Blut abgenommen, Fingerabdrücke gemacht, Speichelabstriche. Von Sepp und seinem Team, die alle einen harten Job hinter sich hatten.
156 PP weiblichen Geschlechts zwischen 14 und 28. Die meisten verschüchtert, friedlich, aber zu 90 Prozent irgendwie überdreht, weggetreten. Nur fünf weigerten sich und wollten unbedingt ihren Anwalt sprechen. Nur einer der Gewünschten rief zurück. Er wurde abgewimmelt und für 10:00 ins Präsidium gebeten. Bei 28 der jungen Damen wurde ein Alkoholpegel von über 1,6 Promille festgestellt.
Anders die 57 aufgezäumten Typen, die im MEGA megaerfolgreich Mädels aufreißen wollten. Sie waren zwischen 19 und 48 Jahre alt. Mehr als die Hälfte verweigerte einen Speicheltest. Ebenso verweigerten sich 30 der männlichen PP, freiwillig Blut für keinen guten Zweck zu spenden.
Es gab richtig Zoff.
Die Kerle wurden laut, unverschämt. „Bullenarschgesicht“ war noch der freundlichste Ausdruck. Aber Sepp nahm alles mit stoischer Ruhe hin. Kein lautes Wort von ihm. Er grinste die Arschgesichter an und war sich seiner Sache sicher: Das war ein erfolgreicher Einsatz.
35 der Typen verlangten sofort und jetzt auf der Stelle nach ihrem Anwalt.
Abgelehnt.
10:00 im Präsidium.
Die Familie der Toten war benachrichtigt. Also zur Hälfte. Vater Adalbert Herzog, 54, Münchens Immobilienhai, den kaum jemand kannte. Ein gehetzter Typ, stark übergewichtig, immer nervös, ein wenig abwesend wirkend, der seine Tochter abgöttisch liebte. Er stand, kaum erreichte ihn der Anruf des leitenden Beamten, nur wenige Minuten später mitten im MEGA. Aufgelöst, fahrig, wie ein Edelclochard angezogen: weißes Hemd, bis zum Knie offen, zerfledderter schwarzer Kaschmirmantel – und das im Hochsommer – zur ausgewaschenen Flickenjeans, ungeputzte Ed.Meier-Schuhe. Schweißperlen auf der Stirn und eine Gauloises im Mund, an der er aufgeregt zog, die Schachtel nervös zwischen den Fingern drehend.
Fee Herzog lag längst im obligatorischen Blechsarg. Kaum sah Adalbert Herzog den Sarg, kniete er schon vor ihm. Tränen in den Augen, die nächste Gauloises zwischen den Lippen.
»Ihre Frau konnten wir nicht erreichen, Herr Herzog. Mein Beileid.«
Sepp cool und relaxed dem erschütterten Mann die Hand schüttelnd.
»Ich bin geschieden. Meine Frau Rita, Ex-Frau, lebt in Kitzbühel. Ich werde sie informieren. Was ist passiert? Kommissar …?«
»Huberbauer. Hauptkommissar, Mord Eins.«
»Herr Huberbauer, was ist mit meiner Tochter!?«
Leise, aber mit Nachdruck bestand der Immohai darauf zu erfahren, wie seine Tochter, gerade erstarrte 23 Jahre alt, ums Leben gekommen war.
»Wir gehen von einem Mord aus, Herr Herzog«, antwortete ihm der Hauptkommissar, sich ein Zigarillo der Marke Mehari‘s Mini Dominican ansteckend.
Jahrzehntelang Bulle und noch immer das gleiche Lied: Auch er zeigte Nerven, jetzt, wo der Vater vor ihm stand. Hauptkommissar Huberbauer hatte sich noch immer nicht an Leichen gewöhnt. Noch dazu wenn sie so jung und hübsch waren wie Fee Herzog. Das schlaucht.
»Eine Überdosis von einer mit synthetischen Cannabinoiden versetzten Kräutermischung. Das ist der letzte Schrei in München. In irgendwelchen kleinen Drogenküchen gemischt. Das passiert nicht durch Zufall. Also der Tod. Eigentlich sind diese Mischungen nicht lebensgefährlich. Diese neuen Drogen erzeugen Gefühle erhöhter Energie. Wie die ‚Badesalze‘. Das sind alles Designerdrogen, die wir gar nicht mehr auf dem Schirm haben, so schnell gibt es neue Mischungen auf dem Markt. Klar, jede Droge kann tödlich sein. Aber hier wurde bewusst eine Überdosis verabreicht. Davon ist unser Arzt überzeugt. Wir müssen der Sache nachgehen. Eine Obduktion wird unvermeidlich sein, Herr Herzog.«
»Sagen Sie mir, wie ich helfen kann. Geld spielt keine Rolle. Ich will nur den Mörder. Verstehen Sie mich?«
Und schon hatte er sich am Stummel der einen die nächste Gauloises angezündet.
Nervenbündel, der Immo-Macker.
07:52. Die Explosion war bis zum Kanal zu hören. Die älteren Damen, die ihren Liebling am Nymphenburg-Biedersteiner Kanal Gassi führten, hörten nichts. Dazu waren die Gehörgänge schon zu sehr verrottet. Aber die lieben Tierchen. Die blickten ängstlich ihr jeweiliges Frauchen an. Sich sofort Blickrichtung West orientierend. Dann ein „wuff“ von sich gebend und noch mal stehenbleibend. Es war ein merkwürdiges Geräusch. Matt. Dumpf, aber eindringlich. Dass es die Drogenküche eines einundzwanzigjährigen Abiturienten ohne Abitur war, ahnten die Pinscherdackelmöpse nicht. Auch nicht, dass der in der Szene unter dem Namen ‚Dackelblick‘ bekannte Sohn des Promi-Bohrers Dr. ‚Volli‘ Bormann einen guten Ruf besaß, weil er quasi alle Drogen, die aktuell angesagt sind, binnen 24 Stunden beschaffen konnte …
Читать дальше