So verging die Zeit für die anderen.
Für mich stand sie still.
Der angeblich so berühmte DJ Dingdong, oder DongDong aus NYC wollte uns gerade anteasern, den absoluten Top-Song der Woche „Picco“ von „Unstoppable“ mit ihm abzufeiern, da ertönte aus einer Ecke ein gnadenlos aufdringlicher Schrei. Der Schrei einer Sirene klang dagegen wie ein abgestandener Pups im Weltall.
DJ Dindingeling unterbrach seine Werbehymne. Alle schauten in Richtung Treppe, von der aus es zu den Toiletten im Untergeschoss ging und erstarrten.
Ich erwachte aus meiner mir selbstverordneten Lethargie. Der Bulle brach mit mir durch. Handy raus, 110, Notarzt, dann die drei getippt: Sepp. Der neue Super-Commissario, der meinen Freund Mario, den Verschollenen – eigentlich war der im Zeugenschutzprogramm, aber das wusste keiner außer mir und dem neuen LKA-Chef A.D. Lauer – im Kommissariat 1 der Mordkommission abgelöst hatte.
Mein Instinkt sagte mir, dass etwas faul sei.
Ich sah den zuckenden Körper eines Mädchens mit einem auffälligen Long-Bob im Ombre-Ton und bahnte mir wild einen Weg zur Treppe.
Sepp war nicht erreichbar.
Mailbox.
»Komm ins MEGA, sofort!«, schrie ich in das smarte Teil, um dann, noch immer ganz (Ex)-Bulle, sofort die Situation mit meinem Smartphone zu filmen.
Gelber Schaum drang stoßweise aus ihrem Mund. Dann nur noch epileptisches Zucken.
Aus.
Als ich direkt neben ihr stand, war es bereits zu spät.
Das It-Girl war tot.
Definitiv.
Jetzt schrie der ganze Club. Schriller als jeder Jet beim Start von einer zu kurzen Piste auf dem direkten Weg zum Crash.
Panik brach aus.
Ich musste einen kühlen Kopf bewahren. Ich brüllte mit aller Kraft, die ich noch in meiner angefressenen Stimme aufbringen konnte:
»Fanny! Achtung!«
Braver Hund.
Hatte mich gehört. Hunde haben halt sensationelle Lauscher! Er wusste, was zu tun ist. Er riss sich in der Garderobe los, rannte zu mir, schneller als ein aufgepimpter, tiefergelegter 88er Golf GTI eines Luden von der Reeperbahn, warf mir einen fragenden Blick zu. Verstand mich und raste ebenso schnell wieder zur Eingangstür und machte sich dort breit.
An ihm kam in den nächsten Minuten, wenn‘s sein musste Stunden, keiner mehr vorbei. Das Party-Völkchen wollte sich nämlich sofort verpissen.
Jetzt hatten sie plötzlich alle Schiss. Verständlich, denn ich war mir sicher, dass in der Nacht Muntermacher aller Couleur und jeder Preisklasse unterwegs waren. Ein gefundenes Fressen für eine Razzia, die unweigerlich durchgeführt werden würde, sowie ich einen meiner Ex-Kollegen endlich erreicht hatte.
»Das ist ja Fee!«
Eine panische Stimme.
Es ist Ella, die Neu-Alt-Freundin von Anna, die in Schockstarre plötzlich neben mir stand, die Hand vor Entsetzen vor ihren süßen Schmollmund haltend.
»Mein Gott, das ist ja Fee!«, wiederholt sie sich und fing schrill zu kreischen an. Wie eine Kreissäge im Einsatz bei ihrem Vater, dem Professor für gewollte Körperveränderungen.
Jetzt stand auch Anna neben mir.
»Wer ist Fee?«, brüllte ich sie an, Münchens Party-People in Panik übertönend.
»Die kennst du nicht? Es ist Fee Herzog. Die Tochter vom Immo-Herzog. Dem reichsten Makler der Stadt! Das ist eine Katastrophe!«
Anna Fischer war ebenfalls in Panik. Na ja, nicht jeden Tag hat man eine eklig aussehende Leiche auf einer Party. Ich verstand das schon.
Die Models und Millionäre, die Söhne und Töchter, Banker, Makler und Mimosen drängten raus auf die Maximilianstraße. Wollten weg. Nichts wie weg. Aber Fanny stand wie eine Wand mitten in der einzigen Tür nach draußen. Gefährlich glänzende Augen und ein Gebiss …! Ein Ungeheuer, mit dem sicher keiner der Damen und Herren Feiglinge anlegen wollte.
Wie auch immer: An meine Lauscher drangen Sirenen. Irgendjemand muss auch noch die Bullen gerufen haben. Ich war es nicht oder hatte Sepp meinen Anruf mitten in der Nacht doch mitbekommen?
Es waren drei Einsatzwagen.
Sepp schob sich als Erster an Fanny vorbei. Der kannte den Aufsteiger aus der Ettstraße und war nicht abgeneigt, die Verstärkung willkommen zu heißen.
Super. Auf Sepp war Verlass.
Ich stand noch immer an der Leiche. Kein schöner Anblick, wenn man Situationen wie diese nicht gewöhnt war. Nicht eine Person hatte den Club verlassen können. Der Mörder musste noch unter uns sein …
ES wurde eine lange Nacht. Sepp machte mit seinem Team einen gründlichen Job. Stoisch ruhig – er war ein ganz anderer Typ als mein ‚verschollener‘ Freund, Ex-Hauptkommissar Mario vom Morddezernat München 1 – ließ er von allen Partypeoples erst mal die Personalien aufnehmen. Das dauerte. Und nicht nur das: Schnell wurde mir klar, dass das keine Party des Tierschutzvereins Starnberg war.
Wie ich vermutet hatte – ein Fake.
Es ging im MEGA mega um Saufen, Abzocken und Drogen …
»Wie kommst du denn auf diese ‚Party‘, Doktor?«, fragte mich Sepp auch sofort, nachdem sich seine Leute und er einen Überblick verschafft hatten.
»Gute Frage. Einladung per SMS. Und da Fanny gestern vier Jahre alt geworden war, dachte ich, die Leute vom Tierschutz wussten das, weil ja mein guter Fanny registriert ist. Du weißt doch, Kampfhunde und so. American Staffordshire Terrier, Bullterrier und Pit Bull Terrier, sowie Bullmastiff, Staffordshire Bullterrier, Dogo Argentino, Bordeaux Dogge, Fila Brasileiro, Mastin Espanol, Mastino Napoletano und Mastiffs, wie mein Tosa Inu, unterliegen der Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde!
Die liebenswerten Viecher haben Kennzeichnungspflicht. Der Tierschutz. Ich wollte Fanny eine Freude machen, wenn er schon eingeladen ist …«
»Den Tierschutzverein Starnberg gibt es nicht. Vergiss es. Wir wissen noch nicht, wer dahinter steckt, aber das ist auf jeden Fall eine Falle für Leute wie dich und deinen Fanny!«, antwortete mir der immer ernste und müde aussehende Sepp, der schon seit über zwanzig Jahren Dienst in München tat. Ein unauffälliger Beamter. Immer korrekt, nie aus der Ruhe zu bringen und kein Freund von meinem Tosa Inu.
Soviel stand fest.
»So was Ähnliches dachte ich mir schon, Sepp! Na ja, das geht mich hier nichts an. Das ist euer Job. Ich mach mich dann mal vom Acker, wenn du nichts dagegen hast. Fanny, den du nicht leiden kannst, hat euch gut vertreten, denke ich mal.«
»Ja, danke. Wenn du mich fragst, ist die ‚Party‘ hier gemacht, um Drogen zu verticken. Die laden ein, tun so als ob, spendieren den Kids ein paar Drinks und, wenn‘s gut geht, ein paar Häppchen dazu, damit sie sie später in der Nacht ausnehmen und ihnen ihre scheiß Pillen andrehen können. Die Dealer wollen neue Kunden anwerben. Ich habe gerade schon die Kollegen vom Drogendezernat gebeten, sich die Jungs mal unter die Lupe zu nehmen. Die werden gleich eintrudeln und ich schätze, da werden einige der Herrschaften unruhig. Schau nur in ihre Gesichter!«
Mit dem Statement ließ mich der behäbig schlurfend und immer viel zu langsam gehende Kommissar stehen, um sich gleich noch mal umzudrehen:
»Das weißt du selbst. Das Mädchen ist an einem Drogencocktail gestorben. Für mich Mord. Eindeutig.«
Dann trottete Sepp wieder die paar Meter zum Tatort und zündete sich ein Zigarillo an. Er erinnerte mich an Columbo, den etwas wirr wirkenden, zerknautschten und angeblich vergesslichen Inspektor der Los Angeles Police vergangener Filmtage, der es mit seinem vertrottelten Charme, kühler Analyse und gesundem Intellekt faustdick hinter den Ohren hatte.
Verrückt: Für Sepp waren alle unter Fünfzig ‚Kids‘. Ich mag diese altmodischen Herren bei der Polizei …
Anna versuchte, Ella Wolkenheim irgendwie zu trösten. Seit die Bullen das MEGA übernommen hatten, waren drei Stunden vergangen und Ella heulte noch immer.
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