Clever, das muss man ihnen lassen: Sepp und seine Kollegen hatten, kaum waren sie im MEGA eingetroffen, alle Handys eingesammelt. Das war ihre erste Amtshandlung und ging so schnell und überraschend, dass die verwirrten, angeschickerten, angefixten Feiersüchtigen keine Chance mehr hatten noch zu telefonieren oder eine SMS zu schicken, Fotos auf Instagram zu posten oder Videos zu versenden.
Der Schock saß zu tief und das Ereignis war zu abstrus für die ‚high‘ (waren die meisten) ‚Society‘, so dass sie mit der Situation nichts richtig anzufangen wussten.
Inzwischen waren auch die Jungs von der Droge eingetroffen. Sauber! Weitere vier Bullen in Zivil, darunter eine Frau, die aussah, als sei sie selbst auf Droge …
Fanny bekam Besuch:
Zwei Schäferhunde beschnupperten ihn neugierig. Dass sie keine Drogen bei ihm vermuteten, verstand sich von selbst.
Tiere unter sich.
Können sie sich riechen, ist alles gut. Wenn nicht, ist Knurren und Zähnefletschen angesagt. Es blieb friedlich und Fanny war wohl ganz happy nicht alleine die Verantwortung tragen zu müssen. Er fühlte sich dank seiner Statur als der Boss. Logisch! Mindestens 92 Kilogramm Lebendgewicht. Seit der Sache mit dem Feingeist und den Russen hatte er noch mal vier Kilo draufgelegt. Diesmal keine Muskelmasse, sondern Bauch. Ihm ging es bei uns einfach zu gut und er hatte sich nach seinem letzten Einsatz gegen Feingeist & Co. auch eine Belohnung verdient.
Es kam richtig Unruhe auf. Schätze, im MEGA waren circa zweihundert Party-People. Die genaue Zahl kannte nur Sepp. Wenn ich mich so umblickte, sah ich definitiv in rund zweihundert ängstliche Augenpaare.
Die Temperatur im Club stieg.
Angst schüttet Katecholamine aus. Stresshormone. Adrenalin und Noradrenalin. Botenstoffe. Sie verbreiten die Nachricht:
„Scheiße, ich sitze in der Falle. Wohin mit meinen Pillen, wohin mit dem Koks, dem Ethanol, dem Ecstasy, dem Crystal Meth, Candyflipping, Badesalz, Spice, Krokodil und Russian Cocktail?!!“
Das Herz spinnt, die Gefäße verengen sich, der Blutdruck steigt. Der Körper schreit „Hilfe“ und hyperventiliert. Im MEGA war es inzwischen megawarm. Gefühlt 55 Grad plus!
Sonderschicht für die Kollegen von Sepp und die Hunde.
Klar, dass sich die PP verpissen wollten. Nur wie?
Der Laden war dicht. Dichter, am dichtesten.
Auf den Klos Hochbetrieb. Nützte nichts, denn dort standen ein paar Uniformierte in ihrem modischen Abenddress. Nix mit wegkippen. Schlucken war auch keine Lösung. Fallenlassen bei den gierigen deutschen Schäferhunden mit je 225 Millionen Geruchsrezeptoren in der Nase?
Keine gute Idee!
Kollektiv hörte Fanny, ohne dass etwas zu hören war, die Menschenmeute schon wieder sagen:
„Scheiße – wir sitzen alle in der Falle!“
Ella Wolkenheim begann zu zittern wie das berühmte Espenlaub. Nein, sie war nicht drauf, wie mir Anna versicherte. Auf gar nichts. Clean. Sie musste es wissen. Schließlich war es ihre Freundin, nicht meine.
»Geht‘s dir nicht gut, Ella? Kann ich was für dich tun?«, versuchte ich die verkrampfte Stimmung irgendwie in den Griff zu bekommen.
»Nein. Alles okay. Besser: fast! Mich schockt das alles. Fee war mein Sonnenstern. Meine beste Freundin. Seit dem Kindergarten, verstehst du?! Ich kann das gar nicht begreifen! Wer macht sowas? Die hat man doch vergiftet, oder?«
Dabei schaute sie mich so flehend an, dass ich fast auch ‘nen Anfall von Mitleid bekommen hätte.
»Wenn ich mich hier umsehe, würde ich eher sagen, die war auf einem harten Trip!«
Jetzt zuckte Ella Wolkenheim noch mehr zusammen. Wurde aschfahl und mit dem Zittern hätte sie jeden Wettbewerb um das beste Zittern im Espenwald gewonnen!
Ich hatte einen wunden Punkt getroffen. Der Ex-LKA-Ermittler in mir regte sich. Der siebte Sinn. Ellas Augen sprachen Bände.
Aber eigentlich ging mich der ganze Schmarrn nichts an. Ich wollte nur Fanny und Anna einen Gefallen tun. Hatte mich allein 28 Euro Parkgebühren gekostet. Und nun hingen wir hier rum und ich machte mir auch noch ‘nen Kopf wegen einer Freundin meiner Freundin!
Doktor, schalt einfach ab und lass das die Bullen machen. Pack deine Bagage und ab durch die Mitte .
Aber Ella hing mir plötzlich am Hals. Sie fühlte wohl, dass ich sie beschützen konnte.
Weswegen brauchte sie Hilfe?
Mir war das peinlich, ehrlich. Anna war mein Sechser im Lotto. Das hatte sie mir erst heute wieder klargemacht. Nicht nur, weil sie einfach eine Granate im Bett ist. Das reicht nicht. Anna ist auch sonst ein Schatz und mit einem Charakter ausgestattet, den man ihren Eltern nun wahrlich nicht anhängen kann. Ja, ich weiß, der Alte ist tot, die Mutter abgehauen.
Das hatte Anna alles nicht verdient.
Ich war in der Vergangenheit zu oft auf Abwegen unterwegs gewesen. Das sollte ein für alle Mal ein Ende haben.
Ella – du bist nichts für mich. Du rattenscharfer Volltreffer!
»Fanny, Anna! Wir gehen!«, pfiff ich unfreundlich meine beiden Begleiter an. Ella hatte sich wider meinen Willen in meinen Unterleib geschmuggelt.
Ich war sauer auf mich, weil ich auf die Freundin meiner Freundin scharf war. Hatte ich mir nicht gerade Treue geschworen?
»HAST du gehört? Razzia im MEGA. Das ist einfach nur mega Scheiße! Was habe ich dir immer gesagt? Du bist einfach eine gottverdammte Niete!«
Der Angerufene brach in Schweiß aus. Gerade hatte ‚Dackelblick‘ sich schlafen gelegt. Er war früher gegangen, weil er fürchterlichen Dünnschiss bekommen hatte. Einfach so. Urplötzlich. Aus dem Nichts heraus. Sein Glück, sein Pech.
Woher wusste Ufuk schon wieder, dass es heute Nacht im MEGA eine Razzia gegeben hatte? Der Türke muss eine echt gute Verbindung zu den Bullen haben! Kacke, verdammte Kacke!
‚Dackelblick‘, der eigentlich Rainer Bormann heißt, war durch den Wind.
Er selbst war immer clean.
Die hätten mich checken können. Null Problemo!
Der Abend hatte sich gelohnt. Zweihundertachtundvierzig Päckchen hatte er verkauft.
Gemischtwaren.
Die Lotterie brachte ihm 29.200 Euronen ein. Clubmiete, Getränke, Fingerfood und der DJ abgezogen: Reingewinn 15.000. Den musste er sich mit zwei weiteren Parteien teilen. Für ihn blieben 40 Prozent. DJ DenDen legte für ‚Dackelblick‘ immer kostenlos auf. Den hatte er in der Hand. DJDD brauchte er nur ein Flugticket zu hinterlegen. Amsterdam-München. Peanuts. Und er hatte mindestens fünfzig neue Kunden gewonnen, die dauerhaft was wollten.
Genau das war sein Plan gewesen.
Nicht schlecht für drei Stunden. Aber nun …
Wie konnte es zu einer Razzia kommen? Wer hat gequatscht, wer hat den Tierschutzverein verpfiffen? Wen soll ich jetzt im MEGA anrufen?
Nee, Rainer, mach das bloß nicht! Nachher orten die noch dein Handy .
Mir kann keiner was .
Ich war gar nicht da .
Außerdem …
An Schlaf war nicht zu denken. Erst der Dünnschiss, dann der Anruf von Ufuk. 04:22.
Rainer Bormann, Sohn des Promi-Bohrers Dr. med. dent. Volker Bormann. Der 21-Jährige, der in der Szene nur ‚Dackelblick‘ genannt wurde, weil er so treu, so lieb und harmlos gucken konnte wie ein hinterlistiger Rauhaardackel, der ständig nach Fressen bettelt. ‚Dackelblick‘ wälzte sich hin und her.
Dann raste er wieder aufs Klo.
Dann schlich er sich wieder ins Bett.
So ging das alle paar Minuten.
04:38. ‚Dackelblick‘ schreckte hoch, als er die Sirene hörte. Ein fieser Ton, den sein Vater hatte einbauen lassen. Gar nicht laut, aber eine Frequenz, die ihn gleich wieder auf den Topf springen ließ. Einfach nur ätzend.
Ätzender Ton und Dünnpfiff.
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