Ich orderte die Rechnung.
Der Kellner brauchte ewig.
Wir waren so gut wie in Aufbruchsstimmung, als ich intuitiv spürte, dass mich jemand beobachtete. Oder Ella. Oder uns beide.
Ich warf Fanny einen Blick zu.
Der bestätigte es mir.
Nur nicht wieder eine Schießerei.
Ich griff unauffällig in meine Jackentasche. Meine Derringer Double Tap hatte ich seit der Sache von gestern dabei.
Der Kellner kam mit der Rechnung. Ich bezahlte und dann sah ich die Augen.
Nein, den hatte ich noch nie gesehen, aber ich würde mir sein Gesicht einprägen.
Den ganzen Typen.
Er glotzte Ella an, als sei sie eine Prinzessin auf Brautschau. Na ja – sie war ja auch durchaus ansehnlich, um es mal altmodisch auszudrücken. Da glotzt ein Typ wie der schon mal, oder?
Die Augen des kleinen Mannes sagten mir alles:
Ich suche jemand Bestimmtes. Ich bin schlau, verschlagen, gefährlich, vorsichtig, eitel und brutal. Versuch erst gar nicht, dich mit mir anzulegen!
Ein zu kurz geratener Kleiderschrank mit einer Wampe. Bei der Schulterverteilung hatte er zweimal ‚hier‘ geschrien. Der Gang verriet mir, dass der Typ standfest ist. Einer, der Kampfsport macht. Oder machte. Zumindest das.
Eine Kampfmaschine auf zwei Beinen.
Vorsicht war angesagt.
Aber auch mit mir sollte er sich besser nicht anlegen. Ich war heiß darauf, den Sumpf auszutrocknen. Das Gespräch mit Ella war zumindest in dieser Hinsicht spitzenmäßig gelaufen.
Bevor der mächtige Kleine noch handgreiflich werden konnte, nahm ich Ella beim Arm und zerrte sie weg. Was ich gesehen hatte, reichte, um Vorsicht walten zu lassen. Fanny würdigte den Kleiderschrank mit keinem Blick mehr. Auch er wusste, wen er vor sich hatte.
Galt es nur noch herauszufinden, ob sein Besuch im ›Brenner‹ Zufall war, oder ob er es auf Ella oder mich oder uns beide abgesehen hatte. Oder war der rein zufällig im ›Brenner‹ gewesen und ich sehe schon Elefanten im rosa Nachthemd an mir vorbeilaufen …?
Da ich mich in der Welt der Halbwelt auskenne, war mir klar, dass ich nicht weiter darüber nachzudenken brauchte.
»MACHEN Sie ihm neues Angebot. Isch lege noch zwanzig drauf. Isch will sehen, wie reagieren er. Jetzt, wo er eigentlich ganz andere Sorgen haben müschte. Isch will das Objekt haben. In jedem Fall. Wie Sie das machen, überlasse isch Ihnen. Sie sollten sisch beeilen.«
Dr. Hartmann legte den Hörer behutsam auf, so, als ob der zerspringen könnte. Seine Anwaltskanzlei, also er selbst, denn die Kanzlei bestand nur aus ihm und einer Anwaltsgehilfin auf einer Zwanzig-Stunden-Basis, betreute den neuen Klienten erst seit einem halben Jahr. Nicht ganz freiwillig. Sein Tennispartner, Professor Dr. med. Wolkenheim, hatte ihm den Mann mit dem schlechten Deutsch aufs Auge gedrückt. Dafür hatte Wolkenheim seine Frau Lara, die seit Jahren unter einer schrecklichen Akne litt, kostenlos behandelt. Die Oberschichten der Haut im Gesicht abgeschliffen. Das war auch ganz gut gelungen. Lara, Münchenerin und seit ihrer gemeinsamen Schulzeit eine gute Freundin von Saskia Wolkenheim, der Frau des Professors für angewandte Gesichtsverbesserungen, war seitdem viel besser gelaunt.
Der neue Klient kam ihm damals gelegen, denn seine kleine Kanzlei auf der Leopoldstraße lief nicht so gut, wie er es behauptete. Mehr Schein als Sein.
Gesehen hatte er seinen Klienten noch nie. Alles lief über eine in Kuba registrierte Firma ab. Auch seine Vollmachten. Nicht ungewöhnlich, aber gewöhnungsbedürftig.
Dr. Hartmann hatte schnell gelernt, dass München anders tickt. Er war aus dem biederen Koblenz der Liebe wegen nach München gekommen.
Hätte er geahnt, dass er schnell in der ‚Society‘ landen würde, wäre er in Koblenz geblieben. Aber seine Frau Lara meinte es nur gut, als sie ihm die Familie Wolkenheim vorstellte. Sie hatte die Hoffnung, dass ihr frisch angetrauter Mann, der „brillante Anwalt“ Fred Hartmann, den Schönheitsguru vertreten könnte. Das war lieb, aber dumm gedacht. Der hatte genügend Anwälte, die auf Medizinrecht, Versicherungsrecht und Persönlichkeitsklagen spezialisiert waren. Auf dem Gebiet kannte sich Hartmann gar nicht aus.
Durch die Freundschaft der Frauen ließ sich der Professor dazu herab, dem „armen Hund“, wie er ihn nannte, wenn Hartmann nicht dabei war, einen Klienten zuzuführen, nachdem seine Frau Saskia mal wieder ankam und fragte, ob er nicht einen Job für den „kleinen Anwalt meiner Freundin Lara“ auf der Leopoldstraße hätte.
Dr. jur. Hartmann würde wieder eine Kostennote an die kubanische Firma schicken. Wie jeden Monat. Seine Stunden nach dem RVG ordnungsgemäß abrechnen und allein durch diesen Klienten seine Halbtagssekretärin pünktlich bezahlen können. Dann würde er versuchen, mit dem Verkäufer des Objektes noch einmal einen Termin auszumachen, um dem Auftrag seines Klienten zu entsprechen.
Ich sitze in der Falle. Am liebsten würde ich zurückgehen. Koblenz, da gehöre ich hin! Aber die haben mich an der Angel. Beide Seiten. Ohne Moos nix los. Leute wie die haben einen Riecher für schwache Positionen. Mit dem Macho zu verhandeln ist nicht mein Ding. Dem bin ich nicht gewachsen. Was für Zahlen!
Zwanzig mehr. Millionen. Euro!
»Sepp, du lagst mit deinem Tipp gar nicht so falsch. Die Tochter des Immobilien-Königs wurde definitiv ermordet. Schade um das junge Mädchen. Aber zur Sache.«
Der zuständige Pathologe hatte Hauptkommissar Huberbauer zu sich gerufen, um mit ihm die Ergebnisse seiner Tätigkeit direkt durchgehen zu können.
»Oberflächlich betrachtet, hatte das Mädchen ‚nur‘ synthetische Cannabinoide im Körper. So, wie es schon der Notarzt vermutet hatte. Denn das ist die in München zurzeit angesagte Droge. Aber um tödlich zu sein, hätte die schon mindestens ein, zwei Dutzend der Pillen schlucken müssen. So dumm kann auch eine junge Frau wie die hier vor uns liegende nicht gewesen sein. Raffiniert: ‚Man‘ hat dem Mädchen noch Botulinum-Neurotoxin in die ihr verkauften Drugs beigemischt. Ein Nervengift, das man in abgeschwächter Form heute auch in der Schönheitschirurgie verwendet. Während früher das C-Botulinum als Verursacher der Lebensmittelvergiftung Botulismus sehr gefürchtet war, werden die von ihm erzeugten Proteine seit den 1980er Jahren auch zu medizinischen Zwecken eingesetzt, vorwiegend zur Behandlung neurologischer Bewegungsstörungen. Und eben bei Schönheits-OPs zur vorübergehenden Abschwächung von Falten.«
»Also ist es das Zeugs, dass sich die Leute in die Falten spritzen lassen?«, fragte Kommissar Sepp nach.
»Ja und nein. Eine andere Form von Botox, wie man das Gift allgemein nennt. Botox ist schon gefährlich genug für den Körper. Aber das hier … In diesem Fall ziemlich raffiniert und schwer zu finden. Die Giftwirkung dieser Proteine des Botulinum-Neurotoxins beruht auf der Hemmung der Erregungsübertragung von Nervenzellen. Insbesondere wird eine Muskelschwäche ausgelöst. Bis hin zum Stillstand der Lungenfunktion. Botulinumtoxin ist eines der stärksten bekannten Gifte. Und genau das ist es, was dein Ex-Kollege gesehen und der Notarzt richtig festgestellt hat: Schaum vorm Mund. Atemstillstand. Erstickung. Kein schöner Tod.«
Hauptkommissar Sepp Huberbauer verließ die Pathologie und zündete sich sein unvermeidliches Zigarillo an. Er würde den Vater informieren müssen und auch dem ‚Doktor‘ Bescheid geben. Das wäre zwar nicht ganz vorschriftsgemäß, aber er dachte, er sei es Daniel Richter schuldig …
»Ich habe alles im Griff. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Wir haben heute schon mehr umgesetzt als am ganzen Wochenende!«
Ufuk war extra mit der U-Bahn nach Freimann gefahren, um von dort aus seinen Boss in Istanbul über eine der wenigen noch funktionsfähigen öffentlichen Telefonzellen anzurufen. Dahin konnte man das Gespräch eventuell zurückverfolgen, aber nicht, wer telefonierte.
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