ELTERN Durch dein Verhalten ist etwas zu Bruch gegangen. Das muss auf jeden Fall wiedergutgemacht werden.
ANTON Das mag schon sein, aber mir ist das egal. Ich habe mich schon entschuldigt.
ELTERN Okay, aber du sollst wissen, dass wir nicht vergessen, dass noch eine Wiedergutmachung aussteht. Vielleicht wäre es gut, wenn du einen Vorschlag machst. Wir haben Zeit und warten auf deine Ideen.
Nach einem solchen Gespräch können die Eltern einige Tage abwarten. Zu diesem Zeitpunkt kann auch der Unterstützerkreis hinzugezogen werden, den die Eltern aufgebaut haben. Eine Person, zu der das Kind einen guten Draht hat, bringt sich dann in den Prozess ein.
In Antons Fall ist eine solche Person seine Tante.
TANTE Ich habe gehört, was passiert ist. Deine Eltern haben vorgeschlagen, dass du Ideen für eine Wiedergutmachung anbietest, und darüber möchte ich gerne mit dir sprechen.
ANTON Okay, aber ich verstehe das nicht ganz. Was meinen sie mit Wiedergutmachung?
TANTE Überlegen wir doch gemeinsam, was als Wiedergutmachung für dich infrage kommen würde. Ein paar gute Ideen werden wir wohl zusammensammeln können. Der Vorschlag sollte sowohl mit deiner Würde vereinbar sein als auch deine Eltern zufriedenstellen.
ANTON Aber warum? Ich sehe nicht ein, warum ich mir jetzt darüber Gedanken machen muss!
TANTE Wenn du keine Vorschläge machst, werden deine Eltern sich etwas als Wiedergutmachung überlegen. Möglicherweise musst du dafür tief in die Tasche greifen, oder sie kürzen sogar dein Taschengeld. Aber ich bin mir sicher, dass, wenn du ihnen mit meiner Hilfe einen konstruktiven Vorschlag machst, sie ihn bestimmt annehmen werden. Ich werde dann auch versuchen, sie von deiner Idee zu überzeugen. Dann sind sowohl sie als auch ich zufrieden.
ANTON Das klingt gut, aber ich verstehe noch immer nicht, was das Ganze mir bringt.
TANTE Wenn du eine Wiedergutmachung vorschlägst, gehst du damit den ersten Schritt und zeigst, dass dir deine Familie wichtig ist und du dazugehören möchtest. Du verlierst nicht an Ansehen, sondern gewinnst welches.
ANTON Na schön, das ist vielleicht wirklich nicht so schlecht. Aber wie soll ich das jetzt machen?
TANTE Wie gesagt, ich bin gerne bereit, dir zu helfen. Wir können Möglichkeiten suchen, die auch für dich in Ordnung sind. Es geht hier nicht darum, wer der Boss ist! Du sollst einfach nur mit einer Geste deiner Cousine und deiner Familie zeigen, dass es dir nicht egal ist, was passiert ist.
Der Wiedergutmachungsprozess bringt festgefahrene Situationen wieder in Gang. Anstelle des problematischen Verhaltens des Kindes stehen die Lösungsansätze im Vordergrund. Ein Vorteil der Wiedergutmachung ist, dass ein Kind einen solchen Vorschlag akzeptieren kann, eine demütigende Strafe hingegen nicht. Durch die Teilnahme an einer Wiedergutmachung erfährt das Kind bzw. der Jugendliche Würdigung. Es kann darauf stolz sein und sich als selbstwirksam erleben. Dies ist gerade im Kindergarten ein wirksames Instrument.
Durch den gewaltlosen Widerstand und die Wiedergutmachung öffnen sich in problematischen Situationen neue Türen und während der Suche nach einer geeigneten Handlung entsteht Kontinuität. Die Anzahl an Möglichkeiten steigt und dadurch die Wahrscheinlichkeit für eine gute, konstruktive Lösung. Die Wiedergutmachung bezieht sich außerdem nicht nur auf den konkret angerichteten Schaden, sondern auch auf den Schaden, der in den Beziehungen zu anderen Personen entstanden ist. So kann das Kind wieder Verbundenheit und Zugehörigkeit zu seinem Umfeld – sei es die Familie, der Kindergarten oder die Schulklasse – erleben.
Wie läuft ein Wiedergutmachungsprozess ab?
Folgende Punkte sind wichtig:
•Reaktionen verzögern, deeskalieren und Hilfe suchen, organisieren und annehmen.
•Gewaltlosen Widerstand leisten, klare Botschaften vermitteln und bei diesen bleiben.
•Die Idee der Schadenswiedergutmachung ins Spiel bringen und gemeinsam Vorschläge und Ideen zur Wiedergutmachung sammeln.
•Dem Kind/Jugendlichen Zeit lassen.
•Gemeinsam mit dem Kind daran arbeiten, Unterstützer in den Prozess einzubeziehen.
•Die Wiedergutmachung darf das Selbstbewusstsein des Kindes nicht untergraben. Es soll sein Gesicht wahren können.
•Das Kind ermutigen und bei der unmittelbaren Durchführung unterstützen.
Ein Wiedergutmachungsprozess kann eine langwierige Angelegenheit sein, die viel Geduld und Kraft braucht. Nur mit viel Gefühl erkennt und nutzt man den Moment, in dem plötzlich etwas möglich wird, das vorher sehr unwahrscheinlich war.
Der 16-jährige Bastian beleidigt im Geografieunterricht seine Lehrerin: »Von dir, dummer Gans, will ich nicht mehr unterrichtet werden. Du machst den langweiligsten Unterricht überhaupt. Verzieh dich!« Bastian wird von der Schulleitung, seiner Beratungslehrerin und der Geografielehrerin in den Nachdenkraum gebracht. Während der Geografiestunden soll er ab jetzt dort bleiben und nach einer Lösung suchen, wie er sein Verhalten wiedergutmachen kann. Bastian kommt das ganz gelegen. Er erzählt seiner alleinerziehenden Mutter: »Jetzt brauche ich endlich nicht mehr bei dieser faden Tante im Unterricht zu sitzen. Im Nachdenkraum ist es viel besser. Dort machen mir die netten Lehrer konkrete Angebote. Ich bleibe da!«
Die Zeit vergeht und Bastian versäumt mehrere Geografiestunden. Begleitet vom Direktor kommt die Geografielehrerin zu Bastian und kündigt an: »In der übernächsten Geografiestunde findet die Abschlussprüfung für dieses Schuljahr statt. Du wirst sie in der Klasse ablegen. Allerdings darfst du die Klasse nur betreten, wenn du den Vorfall vor ein paar Wochen in Ordnung gebracht hast.« Bastian lächelt und denkt sich nichts dabei.
Plötzlich ist er wie vom Blitz getroffen. Letztens hatte er ein Vorstellungsgespräch für eine Lehre als Automechaniker. Dort hat er vorher sein Praktikum gemacht, was ihm riesigen Spaß bereitete. Um den Job zu bekommen, muss er allerdings ein ordentliches Schulabschlusszeugnis vorweisen, was ohne Geografienote nicht möglich ist. Bastian weiß nicht weiter und versucht es auf seine übliche Art und Weise: Er terrorisiert seine Mutter, ein gutes Wort für ihn einzulegen und ihm nicht seine Zukunft zu verbauen. Er wird sich sicher nicht bei der Lehrerin entschuldigen, das soll gefälligst sie machen.
Die Mutter holt ihren Bruder zu Hilfe. Bastian hat ein gutes Verhältnis zu seinem Onkel, und als sie über die Angelegenheit reden, kommen sie gemeinsam auf eine Idee: Bastian wird sich vor der ganzen Klasse entschuldigen und auch für alle Pizza mitbringen, um den Schaden wiedergutzumachen.
Gemeinsam bereiten sie den Tag der Wiedergutmachung vor. Auch Bastians Mutter hilft und ermutigt ihn, einen Plan für den Tag zu entwerfen. Als der Tag gekommen ist, fährt Bastian zusammen mit seiner Mutter und seinem Onkel in die Schule. Seine Mutter redet Bastian gut zu, doch Bastian verliert den Mut und er will das Weite suchen. Sein Onkel bleibt beharrlich. Er versucht, Bastian zu überzeugen, dass seine Mitschüler ihn als Pizzabringer bejubeln werden. Außerdem ist schon alles vorbereitet. Nach und nach leuchten Bastian die Vorteile ein. Er geht erhobenen Hauptes in die Klasse, spricht seine Entschuldigung aus und verteilt die Pizza. Die Jugendlichen klatschen in die Hände. Bastian ist wieder Teil der Klassengemeinschaft.
Damit wird mehr als deutlich: Wiedergutmachung bringt eine starke und positive Haltung in die Erziehung und schließt den Kreis der Grundelemente gelingender Beziehung.
Wiedergutmachung stärkt die Selbststeuerung und die Beziehung
Wiedergutmachung ist ohne einen sicheren Hafen oder unterstützende Eltern und Lehrer nicht denkbar. Im Weiteren bedeutet dies, dass Eltern beharrlich sein und ihren Kindern einen fixen Anker bieten sollten. Wiedergutmachung ist nicht ohne Deeskalation möglich und ermutigt zur Selbstaktivität. Sie fördert gute Beziehung und ist ein Grundelement zur Entwicklung eigener Selbststeuerung (Bauer 2015).
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