Die beiden warteten einen Moment und musterten Finns Haltung. Der seinerseits packte die Lahras am hinteren Ende, zwang seine Kontrahenten mit einem kreisenden Hieb auf eine größere Distanz und rannte los. Der Blonde warf sein Schild und sprang in Deckung. Die Lahras spaltete das Holz und grub sich in die Deckplanken. Finn ließ seine Waffe zum Kurzschwert einschnappen, um den Gegenangriff des Schwarzhaarigen abzuwehren. Funken sprühten beim Aufeinandertreffen der Klingen. Regen prasselte auf das Blatt der Axt. Beide hielten dagegen. Das Indigo der Flammen spiegelte sich in den Augen des Angreifers, an dessen Hals dicke Adern hervortraten.
Nach zwei Herzschlägen trat der Kopfgeldjäger zu. Und obwohl Finns Plattenharnisch den Tritt dämpfte, wurde er nach hinten gestoßen. Er machte einen Ausfallschritt und sah die nächste Gefahr auf sich zukommen. In letzter Sekunde lehnte er seinen Oberkörper nach hinten und entging einer geworfenen Axt, die ihm den Schädel gespalten hätte.
Donner zerriss den Himmel und ließ die Angreifer im Elmslicht des Blitzes aufleuchten, der in einem benachbarten Dreimaster einschlug und den Hauptmast in eine brennende Fackel verwandelte. Die Angriffe sind abgestimmt, dachte Finn gerade, als er einen Ruck unter seinen Füßen spürte. Mit langgezogenem Knirschen brach der Bug vom Rumpf ab, auf dem Finn seinen Stand behauptete.
Der Schwarzhaarige verlor kurz den Halt, fing sich wieder und sprang zum benachbarten Schiff. Er landete ungeschickt auf dem Deck, rollte über die rechte Schulter ab und richtete sich auf. Sein Bruder schwang sich an einem Tau zu einer Sklavengaleere mit aufgerissenen Ruderbänken rüber. Der Bug, auf dem er vorher gestanden hatte, sackte ab und wurde zwischen den Schiffen zermalmt.
Der Schwarzhaarige funkelte Finn mordlüstern an, bevor er von einem gebrochenen Seitenarm des Masts an der Schulter getroffen wurde und zu Boden ging.
Sein Bruder eilte ihm zur Hilfe. Wieder goss ein Blitz Elmslicht über die Szene, dann barst der Himmel in einem Lärm, als würde er zerrissen.
Da die Kopfgeldjäger mit sich selbst beschäftigt waren, wandte Finn sich nach hinten um und suchte nach Khalea. Zu seinem Schrecken erblickte er lange Tentakel, die nach dem Mastkorb griffen, auf den sie sich gerettet hatte. Khalea stach wild in die Luft, unfähig die Gliedmaßen des Meeresungeheuers zu treffen. Auch Finn hatte Mühe, seine Furcht zu unterdrücken, die an seinem Verstand nagte.
Es war ein Höllenschwamm, das wusste er, obwohl er den Kopf noch nicht sehen konnte. Es sah aus wie eine Zeichnung in Bruder Malesens Buch. Nur hätte Finn nicht für möglich gehalten, dass so ein Wesen wirklich existierte. Panik begann seine Glieder zu lähmen. »O Herr«, begann er sein Mutgebet, »lass uns im Angesicht des Todes nicht mutlos werden.« Sein Herz tat einen Schlag. Dann explodierte ein Feuer in seinem Herzen und verbannte die Schatten der Furcht, die an seinem Willen fraß. Stärke und Mut pumpten durch seine Adern und klärten seine Gedanken.
»Nicht bewegen!«, brüllte Finn. »Das Ding reagiert auf Bewegung!« Es war zwecklos. Er konnte sich selbst kaum hören. Durch den Regenschleier war Khalea kaum auszumachen.
Obwohl Finn die drei Grundgebete des Kampfes beherrschte, konnte nur eins von ihnen aktiv sein. Die Flamme seiner Lahras war erloschen, dafür brannte das Indigo in seinem Herzen. Finn rannte über die Deckplanken. Jeder Schritt war eine Gratwanderung zwischen Halt und Gleiten.
Höllenschwämme waren so intelligent, ihren Kopf unter Wasser zu halten, während ihre hochsensiblen Tentakel nach allem schnappten, was sich bewegte. Es gab Tiere. Es gab Menschen. Und es gab die Unsterblichen. Neben ihrer physischen Stärke bargen sie die Erfahrung der Jahrtausende in sich. Geisterspuk und Sirenen wären Finn lieber gewesen.
In perfekter Synchronizität zuckten Tentakel zu Finn rüber. Er glaubte zu spüren, wie sich ihm die Aufmerksamkeit eines Unsterblichen zuwandte. Trotz des Unwetters trug der Wind Fetzen hellen Geschnatters an seine Ohren, das nach hunderten von irren Seemöwen klang.
Noch bevor der erste violette Fangarm Finn erreichte, schlug er das Glied ab. Der Stumpf schnellte wie eine Bogensehne zurück. Finn stellte sich breitbeinig auf und schützte seinen Körper mit einem Wirbel der Lahras. Nachdem zwei weitere Tentakel der Klinge zum Opfer gefallen waren, hielten die anderen Arme kurz inne, brachen dann Latten, Balken sowie Masten aus den Verankerungen und warfen damit nach ihm.
»Bei den Verfluchten Sieben«, presste Finn zwischen den Zähnen hervor und warf sich auf den Bauch. Hinter ihm krachte ein Balken gegen das Führerhaus und ebnete es ein. Jetzt wurde ihm klar, weshalb Bruder Malesen ein Boot mit Ballisten und Harpunenwerfern neben den Höllenschwamm gezeichnet hatte. Sobald man sich in Reichweite der Fangarme begab, war man ihnen ausgeliefert.
Wieder ertönte das infernalische Schnattern, diesmal lauter. Es kam näher und war rauer, als würde es ein Schmählied singen.
Finn wälzte sich auf den Rücken und verharrte. Die Tentakel bogen und wanden sich durch die Luft. Jeder in eine andere Richtung. Finn wartete, bis sie weg waren und richtete sich wieder auf. Doch da drehten die Fangarme auch schon um und schossen auf ihn zu. Plötzlich schlang sich ein schleimiges Etwas von hinten um ihn. Ein Tentakel riss ihn von den Beinen, als würde er eine Distel an der Wurzel packen. Schiffe, Wasser und grauschwarzer Himmel verschwammen für einen Augenblick in einem Wirbel aus Bildern. Finns Finger krallten über das Deck, während sein Verstand versuchte, zu begreifen, was passiert war. Das Vieh hatte ihm eine Falle gestellt und nun bugsierte ihn der Fangarm am Fußgelenk über eine mit Wrackteilen übersäte Lücke zwischen zwei Handelsbarken. Ein schwammiger Kopf mit violetter Haut hob sich aus den Trümmern. Intelligenz leuchtete in den vielen obsidianschwarzen Augen, die sich auf Finn richteten.
»Eine interessante Eintagsfliege seid Ihr«, flüsterte der Höllenschwamm in Finns Gedanken. »Habt Ihr je über Eure Sterblichkeit nachgedacht?«
Finn schüttelte den Kopf, weil die Gedanken des Schwamms wie Maden durch seinen Schädel krochen. Noch ehe er sich davon erholen konnte, tat sich ein Riss auf dem Schwammkopf auf, Zähne richteten sich nach oben aus und bewegten sich wellenförmig.
Ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel und gewährte Finn einen Einblick in die Dämonenhölle. Überall im Wasser, an Decks, in Nischen und Ritzen lugten Tentakel hervor, als sei das Untier das Nervenzentrum des lebendig gewordenen Schiffsfriedhofs. Das Wesen musste eine ungeheure Größe haben.
Hitze schlug Finn von einem der Handelsschiffe entgegen. Der Blitz hatte Mast und Segel in Brand gesetzt.
Der Tentakel wirbelte Finn durch den Laderaum eines aufgeschlitzten Schiffsrumpfs. Kisten, Fässer und Flaschenzüge schlugen ihm entgegen. Finn schlug mit der Lahras wild um sich und versuchte, etwas Fleischiges zu erwischen. Durch einen Glückstreffer ließ der Zug schlagartig nach und er kam auf Bodendielen zum Liegen.
Er blickte an sich herunter und sah vor seinen Füßen ein zuckendes Tentakelstück liegen. Er rappelte sich hoch, aber nicht schnell genug, weitere Glieder krallten sich in den Laderaum und kippten das Schiff zum Maul hin. Das Wrack ächzte unter der Belastung, Nieten sprangen heraus und Bretter schnappten aus ihren Positionen.
Finn steckte die Lahras in die Scheide und warf mit allem, was er zu fassen bekam. Bretter, kleine Kisten, Flaschen, Vorratskrüge. Die Behältnisse zerbarsten am Ungeheuer, übergossen es mit Flüssigkeiten, Mehl und Rollen voller Tunepseide. Bevor es sich die Tücher von den Augen ziehen konnte, hechtete Finn über die Laderaumtreppe aufs Deck hinauf. Oben blendeten ihn die Flammen, die Mast, Reling und Takelage verzehrten. Finn kam zum Stehen und bedeckte seine Augen. Der kurze unachtsame Moment reichte dem Wesen, um ihn wieder an den Füßen zu packen und hart auf den Boden zu schleudern. Finn griff um sich, schnappte nach einer brennenden Latte und schlug damit nach dem Tentakel, den die Schläge nicht beeindruckten. Der Fangarm hob ihn vom Deck und ließ ihn erneut über dem Maul des Schwamms baumeln.
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