Aber der Mann, der davon besessen scheint, alle mit seiner Intelligenz und seinem Charme einzunehmen, macht keine abendlichen Spritztouren mit dem Motorroller zur Geliebten wie Hollande. Er heiratet nicht drei Mal wie Sarkozy. Er hat keine geheime Zweitfrau und Zweitfamilie wie ehedem Mitterrand. Macron hat eine 24 Jahre ältere Frau geheiratet, die bereits dreifache Mutter war. Und dann doch wieder ganz konventionell Macrons Nachnamen annahm.
Kurz: Emmanuel Macron entspricht keinem der Bilder eines Präsidenten der Fünften Republik, das die Franzosen kennen. Schwierig festzumachen — und genau deshalb unverkennbar? Oder muss man das Rad der Geschichte weiter zurückdrehen? Napoleon kam aus dem Nichts und war nur 30 Jahre alt, als er zum Ersten Konsul avancierte, politisch schwer einzuordnen, autoritär und ein Meister der Macht-Inszenierung. So wie Macron?
Die Stationen seines Lebens sind bekannt. Sie unterscheiden sich zunächst nicht grundsätzlich von denen eines jeden ehrgeizigen Politikers in Frankreich.
Die Kindheit verbringt Emmanuel Macron in der deindustrialisierten Provinzstadt Amiens im Norden des Landes: ein bildungsbürgerliches Elternhaus; das Studium an Eliteuniversitäten, gefolgt von einer Beamtenblitzkarriere. Dann der Eroberungsfeldzug: die stetige Annäherung ans Zentrum der politischen Macht. Zuerst als Mappenträger und Ideengeber wichtiger Regierungsberater. Dann der Abstecher in die Privatwirtschaft zwecks Füllens der Schatulle, um sich später die Durststrecken im Leben eines Politikers leisten zu können. Schließlich vor einer Präsidentschaftswahl — die das politische Leben Frankreichs für jeweils fünf Jahre bestimmt — die obligate Wette: Emmanuel Macron unterstützt die Bewerbung François Hollandes als Spitzenkandidat der Parti Socialiste (PS). Dies noch ehe der eigentlich für eine gemeinsame Kandidatur der linken Kräfte gesetzte Dominique Strauss-Kahn sich im Mai 2011 zurückziehen muss (der damalige Direktor des Internationalen Währungsfonds wird in New York aufgrund von Vergewaltigungsvorwürfen verhaftet).
Macron bleibt das Glück hold: 2012 setzt sich Hollande, der anstelle von Strauss-Kahn antritt, knapp gegen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy durch. Der Mittdreißiger Macron wird Hollandes stellvertretender Generalsekretär und Berater für Wirtschaftsfragen. Als Hollande 2014 zum vierten Mal die Regierung umbildet, folgt die Ernennung zum Wirtschaftsminister: Macron tritt ins Rampenlicht und inszeniert sich als liberaler Querdenker und unerschrockener Minister der Tat.
Durch kalkulierte Tabubrüche (wenn er beispielsweise Frankreichs Jugendliche dazu aufruft, sie sollten davon träumen, Milliardäre zu werden) bringt er sich selbst in die Schlagzeilen, die linke Regierungspartei in Rage und den Staatspräsidenten in Verlegenheit. Im August 2016 begeht er schließlich den Verrat an seinem Förderer Hollande. Macron verlässt die Regierung und kündigt im November an, bei den Präsidentschaftswahlen 2017 antreten zu wollen.
Und doch ist Macron eine singuläre Gestalt auf der französischen Bühne. Nicht nur, dass er eigentlich unerlässliche Etappen im Werdegang eines klassischen Politikers überspringt. Die Präsidentschaft ist Macrons erster Wahlsieg überhaupt. Lokalpolitiker, Bürgermeister, Abgeordneter und schließlich vielleicht Minister: Für die Ochsentour hatte der ehrgeizige Einzelgänger, der nur kurz, von 2006 bis 2009, Parteimitglied der Sozialisten war, offensichtlich keine Zeit übrig. Macron schafft den Senkrechtstart, indem er sich quer zur etablierten Parteienlandschaft und zum politischen System legt.
Macrons politische und persönliche Lebensgeschichte fällt aus der Reihe. Der Schriftsteller Philippe Besson sieht ihn als «Romanfigur». 10Macrons Selbstbeschreibung: «In Wirklichkeit bin ich nur Ausfluss der Vorliebe des französischen Volks für das Romaneske.» 11
In der Tat böte Macrons Leben Stoff für eine rasante Erzählung in der Kategorie « stranger than fiction », zuzüglich einer Prise Heldenepos. Hinzu kommen Romantik, überraschende Wendungen — und viel Spannung. Dies nicht nur, weil der Ausgang offenbleibt.
Die Erfahrung aus der jüngsten Geschichte lehrt uns: Reformer aus der politischen Mitte haben immer mal Populisten den Weg geebnet. Donald J. Trump folgte auf den übervorsichtigen Barack Obama, das Tandem der Links- und Rechtspopulisten Luigi Di Maio und Matteo Salvini auf den selbsternannten zentristischen «Bulldozer» Matteo Renzi. Wird sich die Geschichte wiederholen und Macron als tragischer Verlierer die Stufen des Élysée-Palasts ein letztes Mal herabschreiten und seiner Nachfolgerin, der rechtsnationalistischen Marine Le Pen, die Hand schütteln müssen?
Auf jeden Fall hat Frankreichs jüngster Staatspräsident der Geschichte zwei Qualitäten eines typischen Romanhelden. Erstens glaubt Macron, seines Glückes Schmied zu sein, Autor der eigenen Lebensgeschichte. «Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich immer diesen Willen: Selbst mein Leben zu wählen und zu bestimmen», 12schreibt Macron 2016 in seiner Kampagnenschrift Révolution .
Als Fünfjähriger will er von seinem Elternhaus zur Großmutter ziehen. Mit zwölf Jahren beschließt der in einer nicht-religiösen Familie aufgewachsene Macron, sich taufen zu lassen. Mit 16 Jahren verliebt sich der Teenager in Brigitte Auzière, eine Französischlehrerin an seinem Gymnasium. Mit 38 Jahren entscheidet er sich ohne Rückendeckung einer Partei, für das höchste Amt der Republik zu kandidieren. Und seiner neuen Ich-Partei En Marche! gibt er die Initialen seines Namens.
Macron entscheidet, wen er liebt, wem er dient, was er tut. Er ist autonom, sein Wille ist ihm Gesetz — das imponiert den Franzosen. Ob Jacques Chirac über die Metro-Schranke sprang oder der Chansonnier Serge Gainsbourg live im Fernsehen Banknoten in Flammen aufgehen ließ: Frankreich hegt eine große Liebe zum kleinen Regelbruch, es hat viel Sympathie für denjenigen, der eine verbotene Abkürzung nimmt, und eine Faszination für Eigenwillige, die sich über Konventionen hinwegsetzen, ja ganz und gar nach ihren Gesetzen leben.
An Macron fasziniert die Franzosen insbesondere die Liebesgeschichte mit seiner Ehefrau. Fast ein Vierteljahrhundert älter ist die Studienrätin, die Macron als Leiterin der Theater-AG seines Jesuiten-Gymnasiums La Providence in der Picardie kennenlernt und die nun Frankreichs première dame ist. Es ist die Geschichte einer amour interdit im Wortsinn: In Frankreich werden sexuelle Beziehungen (auch einvernehmliche) von Lehrpersonen mit minderjährigen Schülern und einem Altersabstand von mehr als 15 Jahren mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft.
Diese liaison dangereuse ist vor allem ein Bruch gesellschaftlicher Normen. Ganz Amiens tuschelt über die Affäre. Brigitte Auzière ist nicht irgendwer. Sie entstammt einer alteingesessenen Chocolatier-Familie. Sieben Confiserien betreibt das Unternehmen, das mittlerweile in der sechsten Generation geführt wird und dessen Spezialität macarons (!) sind, ein luftiges Mandelgebäck. Und: Brigitte ist verheiratet und Mutter; eine ihrer Töchter ist Macrons Klassenkameradin.
Die Situation wird 1993 etwas entschärft, als Macron mit 16 Jahren von Amiens nach Paris wechselt. Am Elitegymnasium Henri IV, das seine Schüler unter den Besten der Republik auswählt, absolviert er sein Abitur, das Baccalauréat. Doch auch die Hauptstadt bringt Macron nicht auf andere Gedanken, hartnäckig drängt er Brigitte in stundenlangen Telefonaten, sich von ihrem Mann zu trennen.
Ein Jahr darauf verlässt Brigitte nun ebenfalls Amiens und unterrichtet an einem Pariser Gymnasium, um bei Macron zu sein. 2007 heiratet das Paar, das auch in Paris Aufsehen erregt. «Wir hatten einigen Gegenwind. Wollten wir eine Liebe wie die unsere leben, mussten wir uns ein dickes Fell zulegen, um böswilligen Kommentaren, dem Spott und den Gerüchten standzuhalten. Wir mussten Schulter an Schulter stehen, mutig und lebensfroh sein», sagt Brigitte später in einem Interview. 13
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