2015 wurden revidierte Diagnosekriterien publiziert (Wingerchuk et al. 2015). Dabei wird zwischen einer NMOSD mit Nachweis von Aquaporin-4-AK und einer Form ohne Aquaporin-4-AK-Nachweis unterschieden und damit die Bedeutung des AK-Nachweises hervorgehoben. Können AK nachgewiesen werden, genügt aktuell ein klinisches Kernkriterium, um die Diagnose zu sichern (Optikusneuritis, akute Myelitis, Area-Postrema-Syndrom, akutes Hirnstammsyndrom, dienzephales Syndrom mit typischen MRT-Läsionen oder symptomatisches zerebrales Syndrom mit typischen MRT-Läsionen). Fällt der Antikörpernachweis negativ aus oder ist nicht verfügbar, sind mindestens zwei klinische Kriterien notwendig, von denen eines eine Optikusneuritis, eine akute Myelitis mit LETM oder ein Area-Postrema-Syndrom sein muss. Weiterhin muss ein MR-tomografisches Korrelat für den Befund vorliegen. In den Kriterien wird zudem ein Ausschluss anderer Ursachen verlangt. Insbesondere, wenn der Nachweis von Antikörpern fehlt, kommt sowohl dem spinalen als auch der zerebralen MRT eine besondere Rolle zu (
Kasten 1.1, Wingerchuk et al. 2015 und
Abb. 1.2).
Neben der reinen NMO gibt es verwandte Krankheitsformen, die bei Nachweis von positiven NMO-IgG/ Aquaporin-4-Antikörpern zumeist zum Formenkreis der NMOSD gezählt werden. Zu nennen ist dabei die isolierte longitudinale transverse Myelitis (engl.: longitudinally extensive transverse myelitis, LETM ) , die drei oder mehr Segmente betrifft, sowie rekurrierende, isolierte Optikusneuritiden (RION). Studien konnten bei 25–60 % dieser Patienten einen positiven NMO-IgG-Nachweis liefern (Wingerchuk et al. 1999, Lennon et al. 2004, Wingerchuk 2007a). Nach den neueren Diagnosekriterien sind diese Erkrankungen in
Kasten 1.1: Bildgebungscharakteristika der NMO-Spektrum-Erkrankungen (Wingerchuk et al. 2015, Übesetzung von: Table 3 Neuroimaging characteristics of NMOSD).
LETM-Läsionen, assoziiert mit klinisch akuter transverser Myelitis (TM)
• Verstärktes Signal bei sagittalen T2-gewichteten Aufnahmen (standardisiert, T2-gewichtet, Protonendichte-gewichtet oder STIR-Sequenzen), die sich über drei oder mehr komplette vertebrale Segmente ausbreitet
• Treten vorherrschend im zentralen Rückenbark auf (> 70 % der Läsionen finden sich in der zentralen grauen Substanz)
• Läsionen reichern in der T1-gewichteten Sequenz Gadolinium an (eine besondere Verteilung oder ein Muster in der Anreicherung ist nicht erforderlich)
Mögliche andere charakteristische Kennzeichen
• Ausdehnung der Läsion in den Hirnstamm
• Volumenzunahme/Schwellung des Rückenmarks, reduziertes Signal in T1-gewichteten Sequenzen, korrespondierend zu einem erhöhten Signal in T2-gewichteten Sequenzen
Rückenmarks-MRT, chronisch
Langstreckige extensive Rückenmarks-Atrophie (scharf abgegrenzte entmarkerte Atrophie über > 3 komplette aufeinanderfolgende vertebrale Segmente und caudal zu einem bestimmten Segment des Rückenmarks abgrenzbar) +/-fokale oder diffuse Veränderungen im T2-Signal des atrophierten Segments
Ein- oder beidseitig angehobenes Signal in der T2-Wichtung oder in der T1-Wichtung Gadoliniumanreicherung im Sehnerv oder optischen Chiasma; relativ lange Läsionen (z. B. solche, die sich über mehr als die Hälfte der Strecke vom Orbit zum Chiasma erstrecken) und solche, die rückwärtige Aspekte des Sehnervs oder des Chiasmas betreffen
Zerebrales MRT: NMOSD-typische Läsionsmuster (erhöhtes Signal in T2-gewichteten MRT-Sequenzen, sofern nicht anders angegeben)
• Läsionen, die die dorsale Medulla mit einbeziehen (besonders in der Area Postrema), entweder klein und lokalisiert, oft beidseits, oder im Zusammenhang mit einer Läsion im oberen Halsmark
• Periependymale Oberfläche des vierten Ventrikels im Hirnstamm/Zerebellum
• Läsionen, die den Hypothalamus, Thalamus oder die periependymale Oberfläche des dritten Ventrikels umfassen
• Große, konfluierende, uni- oder bilaterale subkortikale Läsionen oder Läsionen der tiefen weißen Substanz
• Lange (1/2 Länge des Corpus callosum oder größer), diffuse, heterogene oder ödematöse Läsionen des Corpus callosum
• Lange Läsionen des kortikospinalen Trakts, uni- oder bilateral, die zusammenhängend die Capsula internal und Großhirnschenkell betreffen
• Ausgedehnte periependymale Hirnläsionen, häufig mit Gadoliniumanreicherung ,
Abkürzungen: LETM = Longitudinally extensive transverse myelitis, NMOSD = Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen, STIR = short tau inversion recovery, TM = transverse Myelitis
Abhängigkeit des Antikörpernachweises zu den NMOSD zu rechnen oder nicht (Wingerchuk et al. 2015). In einer prospektiven Studie wurden Patienten mit dem ersten Schub einer LETM untersucht. Zu Beginn der Studie (29 Patienten) wurden 37,9 % der Patienten als seropositiv für NMO-IgG getestet. Innerhalb eines Jahres erlitten fünf von neun seropositiven Patienten (aus einer restlichen Gesamtzahl von 23 Patienten), aber keiner der seronegativen Patienten einen zweiten Schub einer erneuten Myelitis (vier Patienten) oder Optikusneuritis (ein Patient) (Weinshenker et al. 2006). Allerdings ist die Bedeutung der Höhe des Antikörpertiters als prognostischer Marker therapieunabhängig umstritten (
Kap. 1.3.2, Serologische Biomarker- NMO-IgG/Aquaporin-4 AK).
Aufgrund der niedrigen Prävalenz weltweit im Vergleich zur MS beruhen die Empfehlungen weitgehend auf Expertenmeinungen. Da die Erkrankung im Allgemeinen keinen schleichenden Verlauf nimmt und daher die Behinderung an das Auftreten von Schüben gebunden ist, zielen die bislang eingesetzten Therapien auf die Behandlung des akuten Schubes und die Prophylaxe erneuter Schübe. Zumeist wird eine akute Optikusneuritis und Myelitis in Anlehnung an die Behandlung bei der MS mit einer hochdosierten, intravenösen Kortisonpulstherapie behandelt. Allerdings konnte gezeigt werden, dass ein rascher Beginn nach Auftreten der Symptome entscheidender für den Therapieerfolg ist als bei der MS. Die empfohlene Dosierung in einem NMO-Schub wird mit 1 g/d Methyprednisolon für drei bis fünf Tage angegeben (Wingerchuk und Weinshenker 2005; Kleiter und Gold 2016). Die komplette Remission wird im Allgemeinen nur bei jedem dritten bis fünften Patienten erreicht. Eine retrospektive Studie mit 871 NMO-Patienten zeigte, dass sich die Symptome mit einer eskalierten Schubtherapie deutlich besser zurückbildeten. Nach einem Behandlungszyklus verzeichneten 19,1 % der Patienten eine Komplettremission und 16,4 % keinerlei Verbesserung. Nach dem letzten Behandlungszyklus zeigten nur 6 % der Therapierten keinerlei Remission (Kleiter et al. 2016). Insbesondere wenn Patienten schwer betroffen sind und bei vergangenen Schüben gut auf Plasmapherese angesprochen haben, sollte erneut primär an eine Plasmapherese gedacht werden (Kleiter et al. 2016; Kleiter et al. 2018). Auch hier ist der frühe Beginn einer Therapie offenbar entscheidend (Bonnan et al. 2018). Zumindest, wenn unter Kortisontherapie keine Remission eintritt, sollte ein Plasmaaustausch mittels Plasmapherese oder Immunadsorption direkt im Anschluss durchgeführt werden (Watanabe et al. 2007, Bonnan et al. 2009; Merle et al. 2012; Kim et al. 2013). Ein Abwarten über zwei Wochen, wie es teilweise bei der MS nach Schubtherapie propagiert wird, sollte bei der NMOSD nicht erfolgen. Der Plasmaaustausch senkt den Spiegel von Aquaporin-4-Ak, allerdings ist die Therapie auch bei seronegativen Patienten wirksam, sodass möglicherweise noch nicht bekannte Antikörper involviert sind. Der Einsatz von intravenösen Immunglobulinen zeigte bei fünf von neun Patienten, bei denen eine erste Therapie versagt hatte, Erfolg. Größere Fallserien zu diesem Vorgehen stehen allerdings noch aus.
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