Nun sehe ich, wie die zierliche Musikantin aus Avignon auf der Studiobühne einige Musiktitel improvisiert. Andere spielt sie mit Gestik, Mimik und ihrer voluminösen, klangreinen Stimme von Anfang bis Ende durch, darunter ihr „Akropolis Adieu“, mit dem sie erstmals eine Plattenmillion erreichte. Sie schmilzt dahin bei ihrem größten kommerziellen Erfolg „La Paloma adé “, der sich ganze 27 Wochen in den deutschen Charts behauptete und auf Platz eins landete.
Dass Monsieur Stark uns in die Warteschleife geschickt hat, empfinde ich nun eher als Gnade. Ich hätte in diesem Mäuschen-Modus gern ewig ausgeharrt. Denn so erleben wir in der einzigartigen Kurzfassung eines Mathieu-Konzertes eine gute halbe Stunde lang ihr damals schon breit gefächertes Repertoire und ich stelle mit Befriedigung fest, dass ich all ihre bisherigen großen Erfolge auf meinem „KB 100“ versammelt habe: „Martin“ und „Es geht mir gut, Chéri“ und „Ganz Paris ist ein Theater“, „Korsika“ und „Roma“, „Pariser Tango“ und „Der Zar und das Mädchen“, „Die Glocken von Notre-Dame“ und natürlich „Mon Crédo“ und „An einem Sonntag in Avignon“. Klassiker aus ihren Best-of-Alben.
Dann muss ich mich revidieren, denn ein Hit von ihr fehlt in meiner Sammlung. Sie probiert einen mir unbekannten Song mit dem Titel „Kinder dieser Welt“. Es geht nicht um das gängige Klischee von Herz und Schmerz, sondern um das Recht aller Kinder für eine Zukunft ohne Angst und Krieg. Eine brandneue Produktion, wie ich später erfahre, gerade erst in Rillen gepresst. Nach der euphorisch vorgetragenen Hymne „Das Wunder aller Wunder ist die Liebe“ und den schwungvollen Rhythmen von „Hinter den Kulissen von Paris“ sind es nun leise, nachdenkliche Töne:
„Kinder dieser Welt sollen nie mehr wieder Helden werden,
Kinder weinen Tränen, die die Mächtigen versteh’n,
wenn sie ihren Kindern in die Augen sehen.“
Danach Verblüffendes. Als ich gerade zu der festen Überzeugung gekommen bin, dass die lebhaft vor den Kameras agierende Sängerin uns total vergessen hat, ruft sie ihren Partnern zu: „Pause. Ich arbeite jetzt mit den Ostdeutschen!“ Dann kommt sie ohne Zäsur in energiegeladener Eile schnurstracks auf uns zu, begrüßt uns liebenswürdig wie gute alte Bekannte und bittet uns in ihre Garderobe, einen engen Raum voller Schlichtheit, in dem ein Filmteam schon mal Platzangst bekommen kann. Eine Herausforderung für Kameramann Eberhard Güldner. Denn was nützt das beste Fernsehinterview, wenn der Fokus nicht stimmt! Während er wieselflink Licht, Ton und Handkamera einrichtet, mir das Mikrofon reicht und sofort aufs Knöpfchen drückt, freut sich Mireille über einen taufrischen Rosenstrauß, den wir unterwegs erstanden haben. Blumen und Musik, sagt sie, sind ihre Leidenschaften.
Es ist 17 Jahre her, dass ich ihr Gesicht in Conakry erstmals auf einer westlichen Plattenhülle gesehen habe. Das jetzige Konterfei in natura hat an Wirkung nichts eingebüßt. Die einprägsame Erscheinung ist geblieben. Seit über zwanzig Jahren die immer gleiche dichte schwarze Pagen-Frisur mit Innenrolle, die an den Haarschopf von Prinz Eisenherz erinnert und für Generationen junger Mädchen ein unverwechselbares Leitbild prägte. Dazu ein zarter Porzellan-Teint. Dunkelschattige, ausdrucksstarke Augen unter elegant geschwungenen Brauen und markante, konturenstarke rote Lippen verstärken den Eindruck, dass die Zeit scheinbar spurlos am Wachstum ihres Lebensbaumes vorübergegangen ist.
Dass die Mathieu dem Interviewer gleich ein Privatständchen bringen würde, ahnte er da noch nicht. Foto: Marion Wahl
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