Auch hier hat Covid-19 neue Akzente gesetzt. Nachdem die Pandemie zunächst dafür sorgte, dass die Klimathemen weitgehend aus dem Blick der Öffentlichkeit gerieten und von der Tagesordnung der Politik verschwanden, sind mit der Verabschiedung der umfangreichen nationalen und europäischen Hilfsprogramme und deren zumindest partieller Ausrichtung auf den Klimaschutz wieder neue Impulse zu beobachten.
Covid-19 traf auch die für Glasgow vorgesehene UN-Klimakonferenz 2020. Sie sollte der kritischen Auseinandersetzung mit den im Pariser Abkommen vereinbarten Zielen und den erreichten Fortschritten dienen. Sie wurde vorläufig auf das Jahr 2021 verschoben.
Die Aussagen des IPPC zur künftigen Klimaentwicklung werden von der überwältigenden Mehrheit der Klimawissenschaftler geteilt. Die seriöse Politik hat sich ihnen angeschlossen, zuletzt die deutsche Bundeskanzlerin A. MERKEL in ihrer Ansprache zum Neujahr 2021. Dass sich populistische Regierungen wie die von D. TRUMP in den USA oder J. BOLSONARO in Brasilien hierzu anders äußern, bis hin zur Leugnung der Fakten und zum Rückzug aus bereits geschlossenen Abkommen, mag ihnen innenpolitische Vorteile bringen, ändert jedoch nichts an der objektiven Lage.
Weniger eindeutig sind die sich bietenden Handlungsoptionen. Das hängt mit grundsätzlichen Einschätzungen zur Entwicklung der Welt und der Menschheit zusammen, die sich für Individuen wie Gesellschaften mit Abstufungen zwischen den Polen bewegt:
Status Quo erhalten
Welt dynamisch verstehen
Konkret kann man zunächst fragen, wie sich das Klima in den großen Zusammenhängen der Erdgeschichte darstellt. Naturgemäß gibt es hierzu quantitative Unsicherheiten, jedoch lässt sich in Abb. 6‑1 erkennen, dass Klimageschichte durch starke Veränderungen geprägt ist, mit vielen zwischenliegenden Warmzeiten. Unsere Gegenwart lässt sich hier am Ausgang der letzten Eiszeit einordnen.
Abb. 6‑1:
Erdklima in großem zeitlichem Zusammenhang; Quelle: Schönwiese, Christian-Dietrich: Klima im Wandel, Tatsachen, Irrtümer, Risiken; Deutsche-Verlags-Anstalt GmbH, 1992
Warmzeiten und Eiszeiten wechselten also ab, insbesondere auch in den letzten 1.000 Mio. Jahren. Einige Ereignisse ragen besonders heraus, so etwa die Katastrophe an der Perm-Trias-Grenze vor etwa 252 Millionen Jahren, die mit dem größten Massenaussterben der Erdgeschichte verbunden ist. Hauptverursacher war der sog. Sibirische Trapp, ein riesiger Vulkankomplex im heutigen Sibirien. Die Ausbrüche setzte nach Modellrechnungen mindestens 14,5 Billionen (?) Tonnen CO 2frei – fast das Dreifache der Menge, die durch das Verbrennen heutiger fossiler Brennstoffe auf der Erde entstehen würde. In den Jahrmillionen nach dem Vulkanereignis stiegen die Wasser- und Bodentemperaturen auf 35 bis 40 °C an, die Wassertemperatur am Äquator auf bis zu 40 °C. Die Modelle lassen auch erkennen, dass das Meer damals 76 % seines Sauerstoffs verlor.1
Die letzte Zwischeneiszeit, in der wir immer noch festhängen, begann vor etwa 10.000 Jahren mit deutlich erhöhten Temperaturen und ließ den Meeresspiegel um etwa 120m (!) steigen. Die von verschiedenen Autoren ermittelten Temperaturwerte deuten an, dass während des gesamten Holozäns erhebliche Temperaturschwankungen auftraten.2
Vor diesem Hintergrund sind Temperaturanstiege nichts grundsätzlich Neues, gegenwärtig allerdings mit einer Besonderheit: Der menschengemachte Temperaturanstieg hat sich in einem mit 100 Jahren erdgeschichtlich extrem kurzen Zeitraum vollzogen und ist damit ein neuartiges Phänomen ohne bekanntes Vorbild.3
Insgesamt folgt, dass der Zustand des Erdklimas nie der eines Status Quo war, sondern vielfachen Veränderungen unterlag und damit im Sinne der oben gemachten Unterscheidung dynamisch zu verstehen ist.
Ein Status Quo (im engen Sinn) ist erdgeschichtlich eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen wird.
Und da der Mensch seit der Industrialisierung nicht nur kräftig in die natürliche Umwelt eingreift, sondern sich auch seine eigene Umwelt (Zivilisation) schafft und diese beständig verändert, gilt das auch für die wirtschaftsgeographische, technikhistorische und sozialgeschichtliche Perspektive.
Die massive Umgestaltung der Welt durch den Menschen hat schließlich P. CRUTZEN dazu gebracht, mit dem Anthropozän ein neues Zeitalter für unsere Gegenwart auszurufen, das seit der Mitte des 20. Jahrhunderts das Holozän abgelöst hat.4
Temperaturerhöhungen von 3, 4 oder 5 °C sind in erdgeschichtlicher Betrachtung kein dramatischer Vorgang. Aus zivilisatorischer Sicht sieht das allerdings anders aus: Die Verschiebung des fruchttragenden Gürtels nach Norden bzw. Süden, die Überschwemmung der Küstenlandschaften und der dortigen Infrastruktur, die Ausbreitung der Wüsten etc. sind reale Bedrohungen für unsere menschengemachte Umwelt, die sich neuen Bedingungen anpassen muss. In Kap. 12, Folgen des (ungebremsten) Klimawandels, wird hierauf im Detail einzugehen sein.
Es kann befürchtet werden, dass die notwendigen Veränderungen sich nicht immer sanft vollziehen und z.B. massive Wanderungsbewegungen die (relative) Stabilität der Staatengemeinschaft (zer)stören. Das dann als Klimakatastrophe zu bezeichnen, geht allerdings deutlich zu weit, auch wenn sich die Medien nicht scheuen, den Terminus immer wieder aufzugreifen. Die Welt hat die technischen und finanziellen Mittel, diesen Übergang gleitend zu gestalten. Die Frage jedoch, ob und vor allem wie der Mensch hier eingreifen soll und kann, ist trotz mancher Initiativen noch offen, zu großen Teilen mindestens.
Dass die CO 2-Emission mittelfristig zu reduzieren und langfristig ganz zu stoppen ist, steht außer Frage und hat in den Beschlüssen von Kyoto und Paris schon ihren Niederschlag gefunden.
Wie das im Einzelnen zu erreichen ist, bleibt allerdings international offen und den Mitgliedstaaten der Protokolle überlassen. Immerhin gibt es seit Kyoto einen Ansatz, der hier weiterhelfen kann: Festlegung nationaler Gesamtemissionen und die Möglichkeit, zwischenstaatlich Emissionsrechte zu handeln.1
Die zentrale Rolle in diesen Grundsatzüberlegungen kommt den nicht-fossilen Energiequellen zu, die in fernerer Zukunft die Weltenergieversorgung tragen müssen. Als solche stehen bereit:
Nukleare Energie aus Kernspaltung
Die sog. Erneuerbaren Energien (Wasserkraft, Windenergie, Solarenergie, Bioenergie)
Geothermie und Wärmepumpen
Verbesserung der Effizienz als Maßnahme, dem gleichen CO2-Ausstoß eine höhere Produktivität zu geben
Nukleare Energie aus Fusion
Wenn diese Optionen in absehbaren Zeiträumen greifen, wäre dies die Lösung des Klimaproblems, denn die CO 2-Konzentration in der Atmosphäre ist langfristig reversibel, wenn der „Nachschub” fehlt, die Produktion von CO 2also aussetzt. Das ist in Abb. 6‑2 für die Konkurrenz Erneuerbare Energien vs. Energie aus fossilen Quellen einmal dargestellt. Wobei die Grundannahme ist, dass die billiger werdenden regenerativen Energieformen allein aufgrund ihres zunehmenden Preisvorteils die fossilen Energien zunehmend ablösen.
Das Basisszenario der oberen Kurve überlässt den Verlauf allein den Marktkräften, während die übrigen Szenarien eine schnellere, ggf. auch durch Förderung erreichte Substitution annehmen. Im Basisszenario wäre dann in rd. 160 Jahren ein Maximum der CO 2-Konzentration und in rd. 270 Jahren ein maximaler Temperaturanstieg von rd. 5 °C erreicht, mit danach jeweils wieder absinkenden Werten.2
Abb. 6‑2:
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