1 ...6 7 8 10 11 12 ...32 »Der Bursche hat ein unwahrscheinliches Glück gehabt.«
»Dafür jetzt ein unwahrscheinliches Unglück.«
»Tatsächlich. Neben dieser Frau möchte ich auch nicht als Krüppel leben.«
»Halten Sie den Fall für aussichtslos?«
»Nein.« Sligh hatte das Gefühl, schon zu weit gegangen zu sein. Er lenkte ab. »Was gibt es Neues im Revier? Nachfolger für Hawley schon in Sicht?«
Walker tat einige Züge an seiner Zigarette. »Man hört nichts.«
»Das pflegt der Vorbote von Überraschungen zu sein.«
»Sie könnten recht haben. Im Hintergrund entwickelt sich eine Figur. Ist aber noch nicht reif.«
»Ah.«
»Wäre überhaupt eine Novität – in jeder Richtung. Indianer als Agenturbeamter – haben wir schon –, aber Indianer aus dem eigenen Stamm, das haben wir noch nicht.«
»Wäre tatsächlich ungewöhnlich. Und bedenklich. Meinen Sie nicht?«
»Bis jetzt wurde es für bedenklich gehalten. Zu viele persönliche Beziehungen, Freundschaften, Feindschaften, alles irgendwie verschwistert, verschwägert, verbiestert, verärgert. Aber warum soll man nicht auch einmal neue Methoden versuchen?«
»Um wen handelt es sich denn?«
»Um einen gewissen Sidney Bighorn. Er hat eine aufsehenerregende Karriere gemacht. Guter Schüler, vorzügliches Abitur im Internat, College mit bestem Erfolg, schon als junger Mann am Stammesgericht angestellt – in der prekären Rolle des Anklägers gegen Angeklagte aus dem eigenen Stamm. Anerkennungswerten Mut gezeigt, sogar gegen Joe King. Dann plötzlich aus dem Amt ausgeschieden, Gründe nie öffentlich genannt. Vermutlich hatte er diesen King zu fürchten. Er ging von der Reservation weg und ist zurzeit in der Distriktverwaltung, das heißt also für mehrere Reservationen tätig. Er wird zur Inspektion hierher geschickt werden. Für den Posten eines Superintendenten ist er noch nicht reif. Aber er erscheint vielen als der kommende Mann.«
»Was sagt der Stamm?«
»Es gibt nicht ›den‹ Stamm, sondern tausend verschiedene Meinungen. Chief President Jimmy ist mit Sidney Bighorn verwandt.«
»Und Joe King ist zurzeit und bis auf weiteres nicht mehr zu fürchten.«
»Daher wird Sidney Bighorn ruhig inspizieren können.«
»Halten Sie eine Reservation auch für eine Art von Irrenanstalt?«
»Zum Teil. Zum anderen Teil Naturschutzgebiet für Wilde und solche, die es werden wollen.«
Sligh hob das Glas. Walker hielt mit.
»Mit wem war mein Vorgänger Eivie eigentlich zu eng liiert?«
»Mit den Kings.«
»Mit ihm oder mit ihr?«
»Mit ihm. Mit ihr ist nicht gut Kirschen essen. Sie hat schon einmal einen erschossen.«
»Zum Wohl. Das scheint ja eine originelle Familie zu sein.«
»Jedenfalls bin ich verblüfft, dass Mrs King derart viel Geld aufbringen kann. Sie haben eine verdammt teure Klinik gewählt, Sligh.«
»Die einzige, die eine gewisse Aussicht bietet. Ich bin an dem vollen Erfolg meiner Operation interessiert.«
Der Verwaltungsdirektor schaute verstohlen prüfend auf den Arzt, denn die Sache mit dem verschluckten und wieder ausgeschiedenen Zettel war Walker bekannt.
Sligh lenkte die Unterhaltung auf Whiskysorten.
Am folgenden Wochenende fuhr Sligh, M. D., nach New City und verschaffte sich durch den vertrauenswürdigen Empfangschef des guten Hotels eine Dame für eine Nacht, die vielleicht der Anfang von regelmäßigen Beziehungen ohne gegenseitige Verpflichtungen sein konnte. An Heiraten dachte er weniger denn je. Da er sich nun in New City befand und noch einen Tag bleiben konnte, suchte er Krause auf, den alten Büchsenmacher, der jetzt noch Jagdwaffen reparierte, mit gebrauchten Waffen handelte und eine Art von Liebhabermuseum alter Gewehre zusammengebracht hatte. Sligh fand dort den aufgeweckten Indianerjungen, den Krause adoptiert hatte, nachdem sein eigener Sohn gefallen war. Es stellte sich heraus, dass der Junge der Neffe der Kings, ein Sohn von Joe Kings Schwester Margret war, die in den Slums wohnte. Die Besucherrunde, die Joe King am Tage vor seinem Zusammenbruch gemacht hatte, erklärte sich so mit einem weiteren begründeten Anlass.
Sligh ließ sich von Krause die alten Waffen zeigen und ihre Geschichte erzählen. Da er geduldig zuhörte und Zeit im Überfluss zu haben schien, erfuhr er anschließend auch alten und neuen Stadtklatsch. Er hörte, dass die ehemalige Schmugglerkneipe des Vaters Black and White und seines Sohnes O’Connor verwaist gewesen war, seit Black and White eines Tages von King in Notwehr erschossen worden war, O’Connor aber wegen Rauschgifthandels im Zuchthaus saß und seine Schwester Esmeralda, die Frau mit den grünen Augen, außer Landes hatte gehen müssen. Krause versicherte, dass die Kneipe neuerdings eine solide Bierkneipe geworden sei. Wenn sich je wieder ein Rauschgifthändler einnisten wollte, dann sicher nicht an diesem bekannt gewordenen Ort. Überhaupt habe Black and White in New City selbst kaum Kunden gehabt. Wenn man einem Prozessergebnis Glauben schenken könne, habe er nur Zwischenhandel mit Unbekannt getrieben.
»Ungeschminkt ausgedrückt, Mr Krause, würde das heißen: O’Connor hat seine Kunden nicht verraten. Gangstermoral.«
»Weniger Moral, Doc, als Angst vor seiner Schwester Esma. Dem Weib ist er hörig gewesen.«
»War die Reservation mit verwickelt?«
»Nur mit Brandy.«
»Das lässt sich wohl bei den Indsmen nicht ausrotten.«
Krause lächelte verzeihend über den unangebrachten Hochmut. »Bei uns hat sich die Prohibition ja auch totgelaufen, Doc. – Aber etwas anderes: Wie geht es Joe? Geben Sie noch Hoffnung, Doc?«
»Ja. – King war doch am letzten Tag vor seinem Zusammenbruch bei Ihnen, Krause. Fühlte er sich nicht wohl?«
»Es war nichts zu merken.« Krause drehte dem Arzt den Rücken, während er antwortete, und hängte ein altes Gewehr wieder an seinen Platz an der Wand. »Aber was wollen Sie bei einem solchen Mann sagen? Joe hat noch indianische Erziehung. Der Vater war Traditionalist, und Joe ist schon als ein Junge von zehn Jahren bei einem uralten Medizinmann in die Lehre gegangen. Bei dem alten Blinden – der ist nun schon tot.«
»Schade. Aber mir als Arzt hätte er seine Kunst doch nicht verraten. Sein Schüler Joe kann sich auf geradezu wunderbare Weise beherrschen. Das ist, wie ich schon bemerkt habe, auch unter Indianern heute eine Seltenheit geworden.«
»Bleibt die teure Klinik unvermeidlich, Doc? Können Sie Joe nicht wieder ins Indian Hospital nehmen?«
Slighs Gesicht wurde hart. »Kann ich. Aber ich habe dort nicht die gleichen Möglichkeiten für die Heilung. Ich selbst besitze nicht die orthopädischen Spezialerfahrungen von Doktor Miller. Hat die Frau finanzielle Schwierigkeiten?«
»Noch nicht. Aber wenn das jahrelang weitergehen soll … Nun, ich bin ja auch noch da.«
Sligh verabschiedete sich und schlenderte zu der ehemaligen Kneipe Black and White O’Connor, um ein Bier zu trinken. Er traf nur Publikum, das ihm unverdächtig schien, doch beschäftigte ihn die Vorstellung, dass von dieser Gastwirtschaft aus Rauschgiftschmuggel für oder zumindest über New City betrieben worden war, stärker, als er sich selbst eingestehen wollte.
Die Augen waren wieder da, groß, dunkel, wie sie Roger Sligh in Urwäldern, Dschungeln, Malariagebieten schon gesehen hatte – tiefer, mit einem schwerer fassbaren Licht, als Roger Sligh sie je gesehen zu haben glaubte.
Er fuhr nach Hause, gab sich eine Spritze und verfiel in einen Betäubungsschlaf. In der folgenden Nacht schlief er spät ein und wurde gegen Morgen von Angstträumen verfolgt. Da innere Unruhe seinem Charakter, seiner Lebensauffassung und seinen Lebensansprüchen zuwiderlief, geriet Sligh von neuem in jene Mischung von Zynismus, Angst, Spleen und Übellaunigkeit, die er bei seiner Übersiedlung in die Einsamkeit der Prärie hatte hinter sich lassen wollen. Er wurde nur äußerlich und nur mit mehr Spritzen, als er selbst für gut hielt, darüber Herr. In seinem Gemütszustand machte sich ein neues Moment geltend. Vor seiner Begegnung mit dem merkwürdigen Patienten Joe King hatte seine Furcht nur Anonymes und Abstraktes als Anlass und Gegenstand gehabt. Jetzt klammerte sich seine aufgerührte Phantasie an einen Menschen, den er gesehen hatte. Seine Vorstellungen konnten etwas packen. Er hatte endlich einen Gegner von Fleisch und Blut. War ihm zuvor zumute gewesen wie in dem Texas-Duell seines sagenumwobenen Vorfahren, der im Dunkel auf einen nicht erkennbaren Feind hatte schießen müssen, so wühlte er nun in sich selbst den Hass von Mann zu Mann, Auge in Auge auf. Mit Wollust stürzte er sich in die Möglichkeit, den andern auf persönliche Weise zu verfluchen. Die Feindschaft bekam Hand und Fuß. Ein Sendbote des gespenstischen Feindes war unter Menschen aufgetaucht.
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