Das Studium der antiken Medizin veranschaulicht ebenfalls, dass sie lange auf Tradition und wenig auf Fortschritt beruhte. Das bedeutet, in jedem Jahrhundert und jeder Kultur empfahlen Heiler vertrauensvoll Verfahren der Gesundheitsfürsorge, die sich aus heutiger Sicht allerdings als nutzlos herausstellen. Gleichwohl war der Umfang der Anstrengung, um Heilmittel zu suchen, phänomenal. Wahrscheinlich trieb die Bedeutung der Gesundheit die kontinuierliche Suche nach Heilmitteln an. Wahrscheinlich förderte die Wirkung der Autosuggestion zudem das Vertrauen als Bestandteil einer guten Praxis.
In ihrer Frühphase waren die medizinischen Praktiken mit einer Mischung aus Mythen, Aberglauben und Traditionen beladen. Dadurch war es schwierig, die tatsächlichen Ursachen der Krankheit zu klären. Da viele Erklärungen, wie die Gesundheit wieder hergestellt worden sei, völlig spekulativ und ohne physikalische Kontrolle waren, konnten diese Mythen wiederholt für Heilmittel glaubhaft gemacht werden, ohne kaum befürchten zu müssen, dass dies auf andere Weise widerlegt werden könnte. Weil sich Spekulation ohne mögliche Kontrolle bewusst jenseits der Kritik ansiedelt, ist sie für allmählich verbesserte Erklärungen nicht zugänglich.
Die Verbindung der spirituellen und physischen Aspekte der Krankheit stellt einen prominenten Trend in der frühen Gesundheitsfürsorge dar. Die Tatsache, dass Aspekte des Wohlbefindens über den Körper hinaus während der Geschichte diskutiert wurden, weist darauf hin, dass Gesundheitsfürsorge mehrdimensional ist. Tatsächlich erklärt die Aufmerksamkeit auf den Körper und den Geist in der Gesundheitsfürsorge die Verbindung von Heilern und Priestern in der frühen, der mittelalterlichen und der jüngsten Zeit. So war es z. B. im alten Ägypten ausschließlich den Priestern gestattet, Menschen zu behandeln.4 Solche geschichtlichen Tatsachen können auf die Gegenwart bezogen werden, um anzuzeigen, dass ein spiritueller Aspekt bei der Gesundheitsfürsorge benötigt wird oder zumindest hilfreich sein kann.
Das Studium der Frühgeschichte der Medizin enthüllt, dass naturalistische und supra-naturalistische Ansätze der Gesundheitsfürsorge seit den frühesten Tagen koexistiert haben.
Eine sorgfältige Untersuchung zeigt jedoch, dass ihre relative Bedeutung in wechselseitiger Abhängigkeit variierte: Lag die naturalistische Medizin im Trend, ging der supra-naturalistische Ansatz zurück.5
Das Studium der Medizin und der Praxis der Gesundheitsfürsorge vieler Jahrhunderte erbringt verschiedene allgemeine Einsichten. Manche subtilere Einsichten können aber nur durch eine genauere, detailliertere Inspektion entdeckt werden. So bleibt bei Generalisierungen in einem zu weiten oder zu distanzierten Rahmen die Tatsache unbemerkt, dass wichtigere Entdeckungen weithin das Ergebnis individueller Einsichten sind. Die folgenden Abschnitte stellen Individuen vor, die bedeutendere Entdeckungen im Blick auf die Rätsel menschlicher Funktionen machten. Bedauerlicherweise können wir angesichts des begrenzten zur Verfügung stehenden Rahmens nur einige Beiträge zu den Grundlagen der Gesundheitsfürsorge diskutieren.
DIE CHINESISCHE CHOI-MEDIZIN (500 V. CHR.)
Das Ziel der Chinesischen Medizin bestand darin, die Harmonie mit der Natur wiederherzustellen ( Tao ). Obgleich die alte Chinesische Medizin viele Modelle entwickelte, um Gesundheit und Krankheit zu erklären, darunter die Verbindung bestimmter Gefühle zu bestimmten Organen, bestand eines ihrer stabilsten Muster in der Verbindung von Typen des Pulsschlags mit körperlichen Gebrechen. Krankheit galt als Störung eines oder mehrerer Organe und entsprechend sollten die Pulsschläge gestört sein. In einer Untersuchung wurden zehn Bände dazu benötigt, um die große Anzahl von Pulstypen zu erklären, von denen unterstellt wurde, dass sie eine umfassende Bewertung des gesamten menschlichen Körpers gewährleisteten.6 Die unterschiedlichen Pulstypen erhielten aussagekräftige Namen wie ‚Weiden-Brise‘ oder ‚Blubbernder Bach‘, um Studenten und Praktikern sortieren und erinnern zu helfen. Mit anderen Worten: Die Sprache war wichtig für die Konzeptualisierung und Kodifizierung der Unterschiede.
Die Theorie der Pulstypen unterstellt, dass das Blut zu und von allen Organen des Körpers fließt. Daher können Anomalien oder Probleme in einem Organ bestimmte Veränderungen im Blutkreislauf verursachen, die durch Fühlen des Pulsschlages beobachtet werden. Den Puls zu fühlen, um eine ‚Lektüre‘ aller Organe des Körpers durchzuführen, passte zu einer Kultur, die Bescheidenheit schätzte. So fühlten Priester (Behandler) den Puls einer Frau beispielsweise zuweilen durch einen Vorhang oder stellten eine kleine Puppe zur Verfügung, um den Körperteil zu zeigen, der verletzt war.
Eine Beziehung zwischen den Veränderungen des Blutflusses und Problemen in unterschiedlichen Organen wurde mit höchst deskriptiven Begriffen ausgedrückt, um ein umfassendes Modell der Gesundheitsfürsorge auszubilden. Das Beispiel zeigt ebenso, wie die üblichen Sitten bzw. die kulturellen Muster die Typen der anerkannten Modelle und Praktiken ‚färben‘ können. Mit anderen Worten, derartige Formulierungen verwenden die gewöhnlichen Gedanken, Überzeugungen und Sitten.
DIE GRIECHISCHE MEDIZIN DES HIPPOKRATES (400 V. CHR.)
Die Werke des Hippokrates stammen aus der Hippokratischen Sammlung , die in der Bibliothek von Alexandria (Ägypten) zu Beginn des dritten Jahrhunderts v. Chr. zusammengestellt wurde. Allerdings ist es nicht sicher, ob alle oder einige dieser Bücher tatsächlich von Hippokrates geschrieben worden sind. Dennoch sind sie während seiner Lebenszeit geschrieben und sie sind zumindest von seiner Lehre beeinflusst.
Hippokrates war Lehrer am Tempel des Äskulap in Kos, der nach Äskulap benannt wurde, dessen Existenz unbestimmt ist. Es kann sich um einen Gott, einen Mythos oder um eine Person handeln. Das Wichtige an den Äskulapischen Tempeln besteht darin, dass es sich um Kliniken oder Orte handelte, in denen Menschen ihren Körper, die mentalen Prozesse und den Geist stärkten. Man hat oft gesagt: Die Kunst des Äskulap entwickelte sich zur Wissenschaft des Hippokrates.7
Hippokrates, der ‚Vater der Medizin‘, entfernte die Mythen und abergläubischen Überzeugungen aus medizinischen Bewertungen, indem er Ursachen und Wirkungen verband. Die moderne Gesundheitsfürsorge ist ihm darin verpflichtet, genaue Beobachtungen und genaue Interpretationen von Symptomen vorzunehmen. Er verstand Krankheit als Abweichung von der natürlichen Funktion und unterstellte, dass die natürlichen Gesetze bei voller und richtiger Funktionsweise die Gesundheit wieder herstellen könnten: „Die natürlichen Kräfte sind die Heiler der Krankheiten.“ 8 Hippokrates unterstellte vier Stimmungen bzw. Einstellungen und schrieb ihnen körperliche Pendants zu: Blut, Schleim, gelbe Gallenflüssigkeit und schwarze Gallenflüssigkeit. Seiner Ansicht nach war ein Mensch gesund, wenn die Stimmungen im richtigen Verhältnis zu einander standen. Andernfalls war der Mensch krank. Er glaubte zudem, dass jede Person und jeder Fall so voneinander verschieden waren, dass es nicht möglich sei, eine allgemeine Medizin für Individuen vorzuschreiben.
Hippokrates lehrte, dass Medizin sekundär sei, Übung und Ernährung dagegen primär seien. Als Grieche in einer Zeit des großen philosophischen Erwachens führte er logische Analyse ein und schlug vor, dass die Prognose bzw. Projektion zukünftiger Entwicklungen das Ziel des Arztes sei.9 Hippokrates war der Überzeugung, der Arzt solle mit den natürlichen Prozessen des Körpers arbeiten. Er beobachtete die Verbindung zwischen Struktur und Funktion im Körper und betonte stark die Wirbelsäule und den Bewegungsapparat System.10
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