„Oder wir schauen einer Person tief in die Augen und schmachten: ‚Deine blauen Augen … ‘“, sagt Stefan fast schwärmerisch.
„Die Liebe ist auch zum Staunen“, meint Maria. „Ich muss zum Beispiel meine Kinder nicht lieben. Ich liebe sie einfach – auch wenn beide braune statt blaue Augen haben.“
„Überhaupt das Auge!“, knüpft Lukas an. „Für mich als Naturwissenschaftler absolut staunenswert. Aber das lässt sich in jedem Biologiebuch nachlesen.“
„Willst du vom Thema Liebe ablenken?“, fragt Julia lächelnd.
„Nein, aber als Lehrer bin ich bestrebt, beim Thema zu bleiben. Und heute sind wir über deinen Bericht vom Film zum Stichwort Staunen gekommen.“
„Mit meinen Kindern lerne ich ganz neu das Staunen“, berichtet Maria. „Wenn ich sie abends zu Bett bringe, bete ich auch mit ihnen. Ich frage sie, wofür sie dankbar sind, was sie Schönes den Tag über erlebt haben. Oft beschreiben sie etwas in der Natur, was ich übersehen habe, sie aber begeistert und erstaunt hat.
„Ist das nicht eigentlich auch ein Thema in deinem Religionsunterricht?“, fragt Stefan.
„Ja, im Reliunterricht lese ich mit den Schülern Psalmen aus der Bibel“, antwortet Lukas. „Einige von ihnen loben die Schönheit und Zweckmäßigkeit der Welt, um Gott als Schöpfer zu danken. Ich erkläre den Schülern dann, dass wir in einem erstaunlichen Universum leben. Die Möglichkeit von Leben beruht nämlich auf einem genau abgestimmten Zusammenspiel von fundamentalen Naturkonstanten. Die Feinstrukturkonstante zum Beispiel – eine Kombination von vier anderen Konstanten – ermöglicht die lebensförderliche Wirkung von Wasser. Es besteht – wie ihr wisst – aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom. Aufgrund der gewinkelten Anordnung der beiden Wasserstoffatome und des Sauerstoffatoms entsteht die Eigenschaft eines elektrischen Dipols. Hätte die Feinstrukturkonstante einen geringfügig anderen Wert, könnte die Dipoleigenschaft der Wassermoleküle überhaupt nicht auftreten. Dann würden alle biologischen Funktionen des Wassers unmöglich sein. Die Feinstrukturkonstante hat aber im Zusammenspiel mit etwa 50 anderen Naturkonstanten genau die Größenordnung, die Leben auf der Erde ermöglicht. Ich führe das nicht auf einen Zufall, sondern auf Gott zurück. Für mich ist Gott derjenige, der all dieses Staunenswerte umfasst. Die Schönheit unserer Welt – und auch ihre Geheimnisse – weisen auf Gott zurück, der all das ermöglicht hat.“
„Der Naturwissenschaftler und Theologe hat gesprochen“, stellt Stefan fest.
„Ich muss jetzt leider zurück in die Klinik“, sagt Julia und steht auf.
Auch Maria ist in Aufbruchsstimmung: „Und ich muss meinen Laden nach der Mittagspause wieder öffnen.“
„Schade!“, meint Stefan. „So ein angeregtes Gespräch über Gott und die Welt habe ich schon lange nicht mehr erlebt.“
„Dann können wir uns doch einfach nächste Woche wieder hier treffen“, schlägt Maria vor. „Gleiche Uhrzeit?“
Die Männer sagen gleichzeitig: „Gute Idee!“
„Stefan, bringst du das nächste Thema mit?“, fragt Julia noch schnell.
„Einverstanden! Lasst euch überraschen!“
Die vier Freunde verabschieden sich schnell voneinander.
Maria nippt an einem leckeren Milchkakao. Etwas verträumt schweift ihr Blick durch ein Fenster des Cafés in den gegenüberliegenden sonnigen Park. Sie sieht Julia zügigen Schrittes kommen. Da tippt ihr Stefan auf die Schulter. Bald sitzen die drei gemütlich zusammen. Dann kommt auch Lukas dazu – wieder etwas verspätet.
„Die Klassenkonferenz hat sich leider in die Länge gezogen“, berichtet er. „Sorry!“
Die drei schmunzeln; Julia verkneift sich eine erneute Bemerkung zu seiner Verspätung. Sie bestellt sich einen Espresso, Stefan einen Cappuccino und Lukas einen Malzkaffee.
„Malzkaffee? So etwas haben wir nicht!“, entgegnet die Kellnerin.
„Ich meine so etwas wie Caro- oder Getreidekaffee“, erklärt Lukas.
„Es tut mir leid! Wir haben als Heißgetränke nur Kaffee, Tee und Kakao.“
„Dann bitte einfach heißes Wasser in einer Tasse!“ schlägt Lukas ihr vor.
„Das geht nur mit Teebeutel“, sagt die Kellnerin – schon etwas ungeduldig.
„Okay, dann legen Sie ihn dazu, aber ihn bitte nicht hineintunken!“
Nachdem sie gegangen ist, holt Lukas aus seinem Rucksack eine Dose mit Malzkaffee. „Der kommt ins heiße Wasser“, verrät er den Anderen leise.
Die grinsen amüsiert, sagen aber nichts dazu. Während sie auf die Getränke warten, erzählen sie sich, wie es ihnen geht. Dann fordert Julia Stefan auf: „Nun verrat‘ uns mal, welches Thema du dir ausgedacht hast!“
„Ein ganz schlichtes, aber grundlegendes: Freude“, erwidert er. „Erst dachte ich an Glück. Es gibt ja diese Ratgeber wie Wege zum Glück . Ich wollte euch ursprünglich fragen: Was macht euch glücklich? Gestern Nachmittag sollte ich einen Steinway-Flügel in einer Villa stimmen. Da war Finetuning angesagt. Er klang schon wunderbar, aber mit Hilfe einiger Kunstgriffe gelang es mir, dass die Klänge geradezu im Raum schwebten. Ich war glücklich. Dieses Glück bedeutet für mich Freude – eine tiefe Freude darüber, etwas in gelungener Weise schön zu machen. Bei dieser Arbeit bin ich hochkonzentriert, ganz bei der Sache. Ich vergesse dann die Zeit. Es ist fast so, als ob ich eins werde mit den Tönen und Klängen. Danach kommt große Freude in mir auf! Kennt ihr Ähnliches auch?“
Maria reagiert als erste auf Stefans Erlebnis: „Freude beobachte ich besonders bei meinen Kindern. Ich sehe ihre Neugier, ihre Freude am Spielen, wenn sie darin ganz versunken sind. Jan springt, hopst oder läuft ständig herum. Er hat so viel Energie und Lebenslust. Vor einigen Tagen zählte er auf, worüber er sich freut: über das Kinderzimmer, all seine Spielsachen, den schönen Sandkasten im Garten, den Fernseher, dass wir so reich sind – wenn er wüsste! –, dass er Arme und Beine hat, eine Schwester und eine Mami. Vor allem aber freut er sich, dass er selbst da ist, meinte er zum Schluss.“
„Kindermund tut Wahrheit kund“, zitiert Lukas ein Sprichwort. „Es ist natürlich besser zu leben, als gar nicht zu existieren. Denn wir sind nicht in ein furchtbares oder sinnloses Leben hineingeworfen. Es ist doch vielmehr so: Erst sind wir neun Monate im Mutterleib geborgen. Nach der Geburt können wir selbst atmen. Danach wachsen wir – hoffentlich behütet – in einer Welt auf, deren Atmosphäre uns vor tödlicher Strahlung schützt. Dazu das klare Wasser, die Wärme der Sonne, die fruchtbare Erde, die Pflanzen und Tiere. Ist es nicht einfach eine Freude zu leben – gerade jetzt im Sommer?“
„Die Winterzeit gefällt mir genauso gut“, bekennt Julia. „Skifahren in den Bergen im glitzernden Sonnenlicht, durch Neuschnee wedeln oder eine Schussfahrt riskieren. Ich erlebe Freude sehr intensiv im Winterurlaub.“
„Was ihr beschreibt, ist Schönheit“, meint Maria. „Auch wenn uns etwas bei der Arbeit oder beim Sport gelingt, hat das mit Schönheit zu tun. Freude ist das entsprechende Gefühl dabei. In meinem Laden verkaufe ich, was man Krempel nennt, aber wenn man genau hinschaut, sind diese Gegenstände schön: kleine Schränkchen, ein altes Radio mit Holzgehäuse, fein gestickte Kissen, selbstgeflochtene Körbe, bunte Vasen, verzierte Gläser. So etwas verschönert eine Wohnung und erfreut die Kunden.“
Lukas lächelt: „Ja, die Wohnung als kleine Welt für sich!“
„Genau!“, stimmt Maria zu. „Nicht nur die Natur, sondern auch unsere menschliche Kultur ist in der Regel schön und macht uns Freude.“
„Deshalb finde ich die Architektur im Krankenhaus so unangenehm“, sagt Julia. „Neonlicht, lange Flure, gestrichene Wände – das können die Reproduktionen moderner Malerei an ihnen nicht ausgleichen. Doch Funktionalität kann auch schön aussehen. Ich denke dabei an die Linienführung meines Cabrios. ‚Freude am Fahren‘ – dieser Werbespruch trifft zu.“
Читать дальше