Da Helena sich in dem Spital, in dem ich vorher gearbeitet hatte, auch nicht so recht wohlfühlte, konnte ich ihr in Basel auch zu einem neuen Arbeitsplatz verhelfen.
So ging der Sommer ins Land, der Herbst zog ein. Und mit ihm meine Schwiegereltern. Leider bekamen sie eine Ausreisebewilligung für einen 6-wöchigen Besuch bei uns. Es heißt immer, Mädchen verstehen sich nicht mit ihren Schwiegermüttern. Nun gut, ich wollte mit diesem „alten Zopf“ brechen und nahm mir vor, die liebe Schwiegertochter zu sein. Mir war allerdings nicht bewusst, wie lange sechs Wochen sein können.
Mein Schwiegervater war klasse, er trank gern seinen Wodka und gab sich viel Mühe, Konversation mit mir zu machen. Und es war ihm völlig egal, wie schlecht mein Polnisch war. Der gute Wille war da und das zählte schließlich. Er war ein lustiger und fröhlicher Zeitgenosse.
Meine Schwiegermutter? Ein Jammerlappen. Immer schlich sie auf leisen Sohlen durch die Gegend und mehr als einmal erschrak ich mich fürchterlich, als sie plötzlich hinter mir stand. Sie lief nur mit jammervollem Gesicht herum, brach bei jeder Gelegenheit in Tränen aus und konnte nicht verstehen, dass ich ihre Sprache nicht verstand. Auch verwöhnte ich ihren „Jungen“ nicht genug und erlaubte mir auch noch, nach einem anstrengenden Arbeitstag müde zu sein.
Naja, wie ich später erfahren habe, konnte sie mich nicht leiden (ich sie aber auch nicht), außerdem war ich sowieso nicht die richtige Frau für ihren „Bartusz“.
Ich muss noch schnell hinzufügen, dass damals alle polnischen Besucher der Meinung waren, die Schweiz sei das Land, in dem Milch und Honig in Litern flossen. Außerdem, der Bancomat gab immer was her. Und wir alle hatten supertolle, große Wohnungen, Farbfernseher, Auto usw. Alles Dinge, die es in Polen damals nicht gab. Also gingen all die lieben Besucher davon aus, dass wir Geld im Überfluss hatten. Sie konnten und wollten nicht verstehen, dass wir fast alle riesige Kredite aufgenommen hatten, um unsere Wohnungen einzurichten. Und diese mussten zurückgezahlt werden. Ach ja, und Steuern mussten wir natürlich auch zahlen.
Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass somit ein Schwiegerelternbesuch von 6 Wochen auch an unserem Geldbeutel nagte. Ich verdiente zwar sehr gut als Krankenschwester, doch mein neues Auto (ein neuer Golf, auf den ich mächtig stolz war) musste auch irgendwie abbezahlt werden. Bartek, der in Polen den Abschluss als Elektrofachingenieur gemacht hatte, arbeitete hier bei einer Firma mangels Sprachkenntnisse nur als einfacher Arbeiter.
Meine liebe Schwiegermutter hat das nie begriffen. Sie kaufte auf unsere Kosten ein, als ginge es ums Überleben. Bartek traute sich nicht, sie zu bremsen, schließlich war sie seine Mutter. Er stöhnte mir nur immer die Ohren voll.
Somit war gegen Ende des Besuchs meine Laune verständlicherweise denn auch grenzwertig. Wir stritten nur noch miteinander und ich konnte meine Wut und meinen Zorn vor meinen Schwiegereltern kaum noch zügeln. Demzufolge lief die Schwiegermutter nur noch heulend in der Gegend rum, denn sie konnte ja nicht verstehen, was ich sagte und warum ich sauer war.
Wären damals meine Freunde Charles und Mary nicht gewesen, ich glaube, ich hätte mich von Bartek getrennt oder meiner Schwiegermutter den Hals herumgedreht.
Gott sei Dank gingen auch diese schrecklichen Wochen endlich zu Ende und ich konnte die Fahrt zum Zürcher Flughafen kaum erwarten. Somit gab ich mir wieder ein bisschen Mühe, meine liebenswürdige und freundliche Seite in dieser Schlussphase zum Ausdruck zu bringen.
So gut gelaunt gestimmt steuerten wir denn auch dem Check-In-Schalter entgegen. Doch wir hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das Abflugdatum stimmte nicht mit dem jenes Tages überein. Nein, sie hatten den Flug nicht verpasst; im Gegenteil, wir waren zwei Tage zu früh am Flughafen! Das hieß im Klartext, Bartek und ich mussten die zwei wieder mit nach Hause nehmen und noch mal zwei Tage ertragen.
Ich probte den Zwergenaufstand! Wurde fast hysterisch! Aber den Flug umzubuchen kam natürlich aus finanziellen Gründen ebenso wenig in Frage, wie die zwei in ein Hotel zu stecken. Das hieß also, in den sauren Apfel beißen, wieder nach Hause fahren und in zwei Tagen nochmals antraben.
Heute weiß ich nicht mehr, wie ich die zusätzlichen Tage überstanden habe. Vermutlich bin ich zu Charles und Mary geflüchtet. Doch alles hat irgendwann mal ein Ende und beim zweiten Anlauf klappte das mit dem Flug dann auch tatsächlich.
Bartek und ich waren wieder allein und ich konnte mein nächstes Ziel ansteuern. Ich wollte endlich schwanger werden. Mittlerweile sah meine Familie auch endlich ein, dass ich nicht die Schwangerschaftsdauer eines Elefanten hatte. Also konnte ich diese Sache in Absprache mit meinem Mann in Angriff nehmen.
Gesagt, getan. Pille abgesetzt. Aber schwanger werden war leichter gesagt als getan. Wir übten mittlerweile schon tapfer einige Monate lang, aber nichts passierte. Auf Anraten meines Frauenarztes begann ich, regelmäßig jeden Morgen Temperatur zum Ermitteln des Eisprungs zu messen.
Dieses Protokoll sprach ich denn auch häufig mit meiner Freundin Mary durch, die ja schließlich als Hebamme genügend Erfahrung damit hatte.
Aber es passierte weiterhin nichts. Da ich auch nie eine regelmäßige Periode hatte, konnte mir selbst das sorgsam geführte Protokoll nicht wirklich weiterhelfen.
Damals konnte man einen Schwangerschaftstest nicht wie heute bereits nach zwei überfälligen Tagen machen. Nein, mindestens zwei Wochen Wartezeit musste man einkalkulieren. Selbst dann gab es über eine eventuelle Schwangerschaft noch keine Sicherheit.
Ich glaube, es war kurz vor Weihnachten. Zwei Wochen Wartezeit waren vorbei – wobei das bei meiner unregelmäßigen Periode eigentlich nichts zu sagen hatte. Ich wagte einen erneuten Test und bat das Labor unserer Onkologiestation um Hilfe.
Die Wartezeit bis zum Ergebnis zog sich zwei Stunden hin. Dann endlich, ja, der Test war positiv! Natürlich ohne Gewähr, aber das interessierte mich nicht, das wollte ich nicht wahrhaben. Hurra, ich war endlich schwanger!
Stolz machte ich sofort bei meinem Frauenarzt einen Termin, schließlich wollte ich hundert Prozent sicher sein, bevor ich mich der Welt mitteilte.
Einen Tag später saß ich aufgeregt mit meinem Temperaturprotokoll beim Arzt im Sprechzimmer. Er sah sich dieses in Ruhe an, blickte zu mir und meinte dann mit ernster Miene: „Sie sind nicht schwanger, Sie hatten jetzt und die letzten Monate keinen Eisprung. Eine Schwangerschaft ist demnach völlig ausgeschlossen“.
Ich war platt, das konnte ich nicht glauben, denn irgendwie fühlte ich mich schwanger. Also beschloss ich, noch ein paar Tage abzuwarten und dann mit Mary zu reden. Mary war damals schon eine sehr gute und erfahrene Hebamme. Ich vertraute ihr fast mehr als meinem Arzt und kurz nach Weihnachten erklärte sie sich schließlich nach langem Hin und Her bereit, mich zu untersuchen, obwohl dies in einem frühen Stadium einer Schwangerschaft nicht ganz ungefährlich ist. Es drohte das Risiko einer Fehlgeburt. Ihr Befund viel positiv aus! Ich war wirklich schwanger! Kein Eisprung, aber schwanger! Endlich! Auch Barteks Freude war riesengroß.
Bevor ich jedoch meinem Vater die Botschaft über das fünfte Enkelkind überbringen wollte – meine Schwester hatte bereits drei Kinder mein Bruder Paul eines – rief ich bei Dorothea an. Sie sollte als Erste von unserem Nachwuchs erfahren. Nachdem ich sie also überschwänglich von meiner Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt hatte, kam kurz und knapp lachend ihr Kommentar: „Hey, gratuliere, aber ich bin auch wieder schwanger!“ Was für eine Überraschung! Ich hatte ja nicht gewusst, dass sie und mein Bruder auch am Üben für das zweite Baby waren.
Nun begann für uns also der Wettlauf um die Geburt. Wir hatten fast am gleichen Tag Termin und wir alle waren uns einig, dass es sehr spannend werden würde. Schlussendlich sollte aber ich dieses Rennen gewinnen. Auch mein Vater freute sich und war nun auch restlos davon überzeugt, dass meine Ehe mit Bartek gutgehen würde.
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