Der Säurefaktor wird auch deutlich, wenn man den niedrigen pH-Wert vieler Honige betrachtet. Er liegt häufig zwischen 3 und 4. Bei Kastanien- oder Waldhonig beispielsweise jedoch auch schon mal zwischen 5 und 6. Die antibakterielle Wirkung mancher Honige ist zudem noch bei sehr hoher Verdünnung vorhanden, während sie bei anderen stark eingeschränkt ist. Ein starker, aktiver Manuka-Honig wirkt selbst dann noch sicher, wenn eine wässrige Lösung nur zwei Prozent Manuka-Honig enthält.
Methylglyoxal – Stress and Drugs and Caramel
Der einzigartige Manuka-Faktor wurde von einem Team von Lebensmittelchemikern um Prof. Thomas Henle an der Technischen Universität Dresden eindeutig als das Zuckerabbauprodukt Methylglyoxal (MGO) identifiziert. Die entsprechenden Forschungsergebnisse wurden auch im Rahmen der Doktorarbeit von Elvira Mavric dokumentiert und veröffentlicht sowie in einer weiteren Studie von Christopher J. Adams und Kollegen an der Waikato Universität in Neuseeland, Abteilung Chemie, bestätigt. An dieser Universität wird überdies schon mehr als zwei Jahrzehnte über Manuka-Honig geforscht, vor allem durch Prof. Peter Molan, der sicher so etwas wie der Honigpapst ist. Molan hat wohl wie kein anderer die Honigforschung und den medizinischen Einsatz von Honig in der Neuzeit vorangetrieben, und niemand, der sich heute ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzt, kommt an diesem Namen vorbei. Trotzdem war nicht er es, der das lange Mysterium um den nicht-peroxiden Wirkmechanismus in aktivem Manuka-Honig entschleierte. Er entwickelte zwar eine Methode, mit der eine annähernde Quantifizierung des Wirkstoffgehalts möglich ist, die aber nicht vollständig reproduzierbar ist und deren Ergebnis nicht absolut und nur in Relation zur antibakteriellen Effektivität einer Phenollösung wiedergegeben werden kann. UMF10 +entspricht mindestens der Wirkung einer 10-prozentigen Karbolsäure. Die Bestimmung des Methylglyoxalgehaltes dagegen erfolgt mengenmäßig absolut, das heißt, man kann den tatsächlichen Anteil an einer Menge Honig genau bestimmen, zum Beispiel 100 Milligramm MGO auf ein Kilogramm Honig.
Professor Thomas Henle, TU Dresden, identifizierte den einzigartigen Manuka-Faktor UMF
Bei anderen Honigen ist der MGO-Gehalt mit ein bis zwei Milligramm und manchmal vielleicht bis zu 20 Milligramm meist sehr gering. Auch in anderen Lebensmitteln einschließlich Bier und Wein, ja sogar in Tabakrauch lässt sich MGO nachweisen. In Brot oder Röstkaffee erscheint ein gewisser Gehalt an Methylglyoxal einleuchtend, da dies bei der Maillard-Reaktion entsteht. Bei der Zubereitung von Speisen ist diese oft beabsichtigt, weil dabei durch Karamellisierung der gewünschte Brat- oder Röstgeschmack sowie der typische Geruch und die braune Farbe entstehen.
Dass nun der Methylglyoxalgehalt im Honig durch eine unsachgemäße Handhabung bei Lagerung und Transport entstehen könnte, zum Beispiel durch Abstellen der Behälter in praller Sonne oder durch anderweitiges starkes Erhitzen des Honigs, ist in aller Regel auszuschließen, da dies einen gleichzeitigen Anstieg des HMF-Wertes bewirken würde. HMF steht für Hydroxymethylfurfural. Kalt geschleuderter Honig darf gemäß der Honigverordnung keinen höheren HMF-Gehalt aufweisen als 40 mg / kg. Jeder erhöhte Wert würde auf eine zu hohe Erhitzung hindeuten, durch die wertvolle Honigenzyme zerstört worden wären. Das bedeutet im Fall von Manuka-Honig, dass ein hoher MGO-Aktivitätsnachweis, bei gleichzeitig niedrigem HMF, auf den pflanzlichen Ursprung des Methylglyoxals hinweist.
Die Methylglyoxal-Stoffwechselwege werden offensichtlich durch Stressfaktoren in den Zellen eingeleitet. Denkbare Auslöser beim Manukastrauch sind salzhaltige Böden, Hitze, Kälte und anhaltende Trockenheit. Typischerweise wächst Manuka dort, wo Landwirtschaft nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist. Die stressinduzierten, hohen Methylglyoxalgehalte finden ihren Weg über den Blütennektar direkt in den Honig, und zwar ohne jegliche Enzym-beimengung seitens der Bienen. Es gibt anscheinend auch Hinweise darauf, dass es sich bei Manuka-Honig, ähnlich wie beim Lindenhonig, nicht um einen reinen Blütenhonig handelt. Vielmehr könnte es auch ein Gemisch aus Honigtau und Nektar sein. Honigtau- oder Waldhonig stellen die Bienen aus den klebrig-süßen Ausscheidungen von Blatt- oder Schildläusen her. Manukapflanzen werden von verschieden Vertretern der Gattung Schildläuse, vor allem Eriococcus orariensis und Coelostomidia sp., heimgesucht und ausgesaugt. Bienen lassen sich normalerweise nicht lange bitten, wenn ihnen solches Naschwerk geboten wird. Als weitere mögliche Quelle für das Methylglyoxal wurden Mikroorganismen gehandelt. Doch die aktuelle Forschung bietet eine recht plausible Erklärung, die mit einer Vorstufe zum MGO zusammenhängt.
Ernte und weitergehende Forschung
Beim Manukaöl erfolgt die Ernte immer noch weitgehend von Hand, da in unwegsamem Terrain der Maschineneinsatz zu schwierig wäre. Die Blätter werden meist von flinken Maorihänden in atemberaubender Geschwindigkeit gesammelt. Die Sammlerinnen von Manuka-Honig haben dagegen sechs Beine und scheren sich nicht um die Beschaffenheit des Geländes, da sie das weite Blütenmeer mit riesigen Geschwadern aus der Luft ansteuern. Natürlich sammeln die Bienen keinen fertigen Honig, sondern vor allem den süßen Nektar der Manukablüten, aus dem sie in einem komplizierten Fertigungsprozess den einzigartigen Manuka-Honig gewinnen. Was diesen Honig so einzigartig macht, haben wir ja bereits besprochen: der besondere Wirkstoff, der selbst unter erschwerten Bedingungen seine antibakteriellen Eigenschaften nicht einbüßt, das Methylglyoxal.
Den Forschern hat es keine Ruhe gelassen, sie wollten Antworten auf Fragen wie die nach dem Grund für den unterschiedlichen Aktivitätsgrad der Manuka-Honige. Man fand schließlich heraus, dass dieser während der Lagerung offenbar zunimmt. Die Erklärung dafür lieferte ein bereits im Nektar nachweisbarer Stoff, der so etwas wie eine Vorstufe zum Methylglyoxal darstellt. Dabei handelt es sich um Dihydroxyaceton (DHA, Glyceron), ein einfaches Kohlenhydrat, das jedoch enorm wichtig für bestimmte Stoffwechselprozesse sein soll. Mit ihren Kollegen Christopher J. Adams und dem berühmten Prof. Peter Molan veröffentlichte Prof. Merilyn Manley-Harris das Ergebnis einer entsprechenden Studie an der Waikato Universität. Sie berichtet: »Seit einiger Zeit wissen wir, dass die einzigartige antibakterielle Aktivität des Manuka-Honigs mit dem Vorhandensein von Methylglyoxal oder MGO zu tun hat, aber bis jetzt war der Ursprung des Methylglyoxals nicht bekannt. Unter Imkern ist es sehr wohl aufgefallen, dass der MGO-Gehalt mit der Lagerung zunimmt, aber es gab keine Forschungen, die diese Beobachtung gestützt hätten.«
Pflanze oder Biene – woher stammen die nicht-peroxiden Inhibine?
Der Gehalt an antimikrobiellen Wirkstoffen kann je nach Trachtpflanze recht unterschiedlich ausfallen. Häufig kann eine spezifische Heilwirkung des Honigs analog zu den Heileigenschaften der Pflanze beobachtet werden. Doch erstens variieren die Werte selbst bei Proben innerhalb der gleichen Sorten, und zweitens weisen sogar Honige, die von den Bienen aus Zuckerwasser hergestellt wurden, eher geringfügig niedrigere Werte als Honige aus Blütennektar auf. Das legt nahe, dass die Bienen den größeren Anteil an der Produktion dieser Stoffe haben. Sicher scheint indes, dass bei unserem Sonderfall Manuka-Honig die pflanzliche Herkunft den entscheidenden Beitrag zu seinen antimikrobiellen Eigenschaften leistet.
Die Untersuchungen der chemischen Fakultät der Waikato Universität ergaben, dass Dihydroxyaceton oder DHA in unreifem Honig, bereits kurz nachdem die Bienen ihn in die Waben eingebracht haben, vorhanden ist. Mit fortschreitender Reifung des Honigs wird DHA in MGO umgewandelt, den Stoff, dem der Manuka-Honig seine außergewöhnliche antibakterielle Wirkung verdankt.
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