«Aber natürlich! Warte einen Moment.» Lene Birkner kramte in einem Regal.
Währenddessen entdeckte die Besucherin den Reporter, und ihre Augen weiteten sich. «Oh, ein Neuankömmling. Sind Sie einer der neuen Hilfsarbeiter?»
«Nein, ich gehöre nicht zum Zirkus.»
«Schade.» Sie blinzelte ihm kess zu. «Sehr schade sogar. Überlegen Sie es sich noch mal, ja? Jemanden wie Sie könnten wir hier gut gebrauchen.» Ohne ihren Blick von ihm zu lassen, griff sie nach dem Nähgarn. Dann wirbelte sie hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
«Das war Mona», erklärte Lene Birkner, «unsere Schlangenfrau. Seien Sie besser vorsichtig bei ihr. Wen sie erst einmal im Würgegriff hat, den lässt sie nicht mehr los.»
«Danke für die Warnung.» Katzmann dachte kurz nach. «Haben Sie vielleicht eine Photographie von Ihrer Tochter, die Sie mir überlassen könnten? Ich würde sie gern mit abdrucken lassen.»
«Natürlich.» Die Mutter suchte in ihrem Regal und förderte schließlich die Photographie einer grazilen Blondine zutage. «Hier, das ist meine Nelly.»
Die Frau auf dem Bild wirkte so jung und unschuldig, dass Katzmann unwillkürlich den Atem anhielt. Er strich über die Aufnahme. Wo magst du nur sein?, grübelte er. Und was hat man mit dir gemacht?
«Nelly und Selina sind zusammen aufgewachsen», erzählte Lene Birkner leise. «Hier im Zirkus sind wir eine große Familie, aber die beiden sind einander ganz besonders verbunden. Sie sind wie Schwestern.»
«Ich hoffe, Nelly kommt bald gesund nach Hause.»
«Das hoffe ich auch.» Lene Birkner verkrampfte die Hände ineinander. «Aber die Polizei wird uns bestimmt nicht helfen.»
«Warum glauben Sie das?»
«Weil wir Zirkusleute für die Ordnungshüter nur ein Haufen Landstreicher ohne festen Wohnsitz sind. Der Mühe nicht wert.» Eine Träne kullerte über ihre Wange. «Nein, die Polizei wird sich kein Bein ausreißen, meine Tochter zu finden.»
Katzmann machte sich eine entsprechende Notiz. Er wusste, dass er eine gute Geschichte gefunden hatte. Womöglich konnte er dazu beitragen, dass die junge Artistin gefunden wurde. Er wollte gerade eine weitere Frage stellen, als die Tür ohne Vorwarnung aufgerissen wurde und ein mächtiger Schatten die Öffnung verdunkelte. Im nächsten Augenblick tauchte die massige Gestalt des Direktors in der Tür auf.
Albert Reuther wirkte aus der Nähe noch beeindruckender als in der Manege. Er war gut doppelt so breit wie Katzmann. Finster heftete er den Blick auf den Reporter. «Was machen Sie hier?», bellte er.
«Ich sammle Informationen für einen Artikel. Katzmann ist mein Name …» Der Reporter streckte seinem Gegenüber die Rechte hin, aber dieser ignorierte die Geste geflissentlich.
«Verschwinden Sie von hier! Wir wollen keine Schnüffler, die glauben, nach einer halben Stunde schon alles über das Zirkusleben zu wissen.»
«Das behaupte ich auch keineswegs. Ich möchte nur …»
«Es interessiert mich nicht, was Sie wollen! Das hier ist mein Zirkus, und ich mache die Regeln. Und ich will, dass Sie verschwinden.»
«Ich könnte helfen, Nelly zu finden.»
«Ach ja? Mit Worten und purer Hartnäckigkeit? Dass ich nicht lache! Wir werden sie selbst finden. Also machen Sie, dass Sie von hier wegkommen, ehe ich nachhelfe!»
Katzmann zögerte. Er hatte genügend Material für seinen Artikel gesammelt. Was ihm noch fehlte, konnte er durch Nachforschungen außerhalb des Zirkus herausfinden. Aber das war ihm nicht genug. Er wollte mehr über die Zirkusleute erfahren. Und über Selina.
«In zehn Minuten sind Sie verschwunden», drohte der Direktor, «oder Sie werden es bereuen!» Mit diesen Worten verschwand er aus der Tür.
Lene Birkner war blass geworden. «Ich danke Ihnen, dass Sie mir helfen wollen, aber es ist besser, wenn Sie jetzt gehen.»
«In Ordnung. Sobald ich etwas herausgefunden habe, lasse ich es Sie wissen.»
«Danke, vielen Dank!» Die Ältere umarmte ihn kurz, ehe sie sich hastig abwandte.
Katzmann kletterte aus dem Wohnwagen. Er hatte keineswegs vor, das Zirkusgelände schon zu verlassen. Stattdessen sah er sich nun suchend um. Er wollte Selina wiedersehen. Unbedingt. Der Direktor schien zum Glück verschwunden. Der Reporter überlegte einen Augenblick und eilte dann auf das große Zelt zu. Aber noch ehe er herausfinden konnte, wo Selinas Wohnwagen stand, erhielt er von hinten einen kräftigen Schlag auf den Kopf. Sterne explodierten vor seinen Augen. Dann gingen für ihn alle Lichter aus.
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