Hans Weigel, gezeichnet von Elfriede Ott, 1987
Wolff A. Greinert
Hans Weilgel
»Ich war einmal …«
Eine Biografie
Mit einem Vorwort von Elfriede Ott
und einem Beitrag von Prof. Dr. Johann Hüttner
Man ruft im Geist die Zukunft an:
Ihr seid die Richter unsres Tuns,
Blickt gut auf das, was wir getan,
Richtet uns gnädig, lernt an uns.
Hans Weigel
Am Abend einer Zeit
(Sechste, letzte Strophe)
Ja, es müsste etwas geschehen –
Und was geschieht?
Das einzige, was geschieht, ist,
dass man sagt, dass etwas geschehen sollte.
Aus dem Motto von Hans Weigels Artikelserie in Welt am Montag
Cover
Hans Weigel Hans Weigel, gezeichnet von Elfriede Ott, 1987
Titel Wolff A. Greinert Hans Weilgel »Ich war einmal …« Eine Biografie Mit einem Vorwort von Elfriede Ott und einem Beitrag von Prof. Dr. Johann Hüttner
Zitate Man ruft im Geist die Zukunft an: Ihr seid die Richter unsres Tuns, Blickt gut auf das, was wir getan, Richtet uns gnädig, lernt an uns. Hans Weigel Am Abend einer Zeit (Sechste, letzte Strophe) Ja, es müsste etwas geschehen – Und was geschieht? Das einzige, was geschieht, ist, dass man sagt, dass etwas geschehen sollte. Aus dem Motto von Hans Weigels Artikelserie in Welt am Montag
Elfriede Ott: Hans Weigel hat mir seine Gegenwart und Vergangenheit für meine Zukunft geschenkt Elfriede Ott
Erste Begegnungen mit Hans Weigel
Kindheit
Jugend
Lehrjahre in Hamburg, Berlin, Paris und Wien
Wiener Kleinkunst und Operette vor 1938
Im Exilland Schweiz
Johann Hüttner: Hans Weigel und Nestroy
Neubeginn
Als Geburtshelfer eines Romans
Der Mentor der österreichischen Nachkriegsliteraten
Im Dienste anderer
Jude oder Österreicher?
Der Kritiker – Verrisse und Hymnen
Die Affäre Dorsch und andere Verfahren
Die „Kalten Krieger“ des Kalten Krieges
Der sogenannte „Brecht-Boykott“ in Wien
Der Lebensmensch
Eine Erfolgsgeschichte: Weigels Molière-Übersetzungen
Eine gut funktionierende Ehe
Eine besondere Liebe
In unseren Gräbern leben wir
Dank
Lebensdaten im Überblick
Anmerkungen
Bibliografie
Personenregister
Bildnachweis
Impressum
Elfriede Ott
Hans Weigel hat mir seine Gegenwart und Vergangenheit für meine Zukunft geschenkt
Es war schon lange mein Wunsch, dass eine objektive, umfassende Biografie über Hans Weigel geschrieben wird, denn er war nicht nur für mich alles: Literat, Prophet, Liebender des Theaters, der Musik, des Kabaretts, der Schauspieler, die gut waren, der jungen Literaten, des Fußballs, der Musik, der Komponisten und vor allem Österreichs. Er war übertrieben in Zuneigungen und Abneigungen, sehend mit schwachen Augen, als Theaterkritiker gefürchtet und anerkannt, liebevoll und streng. Von vielen abgelehnt und doch geachtet, mit offenen Armen und introvertiert, schweigsam und redegewandt, anbetend und ablehnend und vor allem großherzig. Er war – auch im Alter – so jung, immer aufmüpfig, frech und immer zeitgemäß, nie seiner Zeit hinterher.
Viktor Frankl, sein Freund seit den ersten Nachkriegsjahren, hatte durchaus recht, als er in einem Zeitungsinterview für ein Hans-Weigel-Porträt im April 1991 Hans mit den Worten charakterisierte: „Wann immer man etwas braucht, er ist da, für jeden seiner Freunde; tut, was er kann für seine Freunde. Er ist kein Opportunist und er traut sich etwas. Er hat Zivilcourage, nein, ich möchte sagen: Für mich ist er die Zivilcourage in Person.“
Und er war vor allem ein besonderer Mensch, der so vielfältig war in seinen Interessen, in seinen Einfällen, der so ernsthaft und so ungeheuer witzig war, ein Meister des Ad-hoc-Witzes (Aussprüche, in der Sekunde geboren, wurden zu Lach-Witzen), der literarisch so bewandert war und trotzdem jede Art von Unterhaltungsartistik bewundert und verstanden hat, der Mozart und Schubert in sich hatte und die Werger und den Fendrich gewertet hat und, und, und …
Wie kann einer, der das innere Erleben des Schauspielers nie selbst mitgemacht hat – wie kann der in seinem Buch Masken, Mimen und Mimosen die Seele des Schauspielers so aufblättern? Wie kann er wissen, was ewig gültig ist? Er hat extrem abgelehnt, aber auch extrem gejubelt, wenn ihm etwas gefallen hat. Aber ich glaube nicht, dass es unser Zueinander auch gegeben hätte, wenn er weiterhin Kritiken geschrieben hätte. Ich hätte das nicht ausgehalten. Dabei war er ein außergewöhnlicher, aber auch schwieriger Partner. Ich bin nicht in allen Dingen seiner Meinung gewesen, teilte durchaus nicht alle seine Ansichten: Wenn er zum Beispiel in aller Öffentlichkeit äußerte, was ihm in der heimischen Kulturlandschaft missfiel, hätte ich in einem Mauseloch verschwinden gemocht. Ein Beispiel von einigen: Bürgermeister Helmut Zilk lud viel Prominenz zu Hans Weigels 80. Geburtstag ins Rathaus ein. Am Ende seiner Geburtstagsrede zu dem neben ihm stehenden Jubilar: „Lieber Hans, wir freuen uns, dass wir dich ehren können, und zeigen dir jetzt, was für ein Geschenk wir für dich haben.“ Er drehte sich um, nahm ein großes Bild, drehte es nach vor: eine große Radierung des Burgtheaters von Luigi oder Robert Kasimir. Hans übernahm das Bild, bedankte sich, sagte nicht nur, welche Ehre das für ihn sei, sondern fügte noch hinzu, dass er diesem Bild in dem Moment einen Ehrenplatz geben würde, da Peymann nicht mehr Burgtheaterdirektor sein werde. Dass mir in diesem Augenblick das Herz stillstand, kann ich erwähnen, denn wenn der Hund aus dem eigenen Haus bellt und beißt, ist das nicht so angenehm.
Am nächsten Tag war für ihn eine Feier im Unterrichtsministerium. Ich flehte ihn an, Ähnliches wie am Vortag nicht mehr in der Öffentlichkeit zu sagen. Mich beruhigte er, aber in seiner Rede kam er darauf zurück: „Gestern habe ich etwas gesagt, das ich heute bestärken muss. Ich habe das Recht zu sagen: Wenn ein Burgtheaterdirektor nicht das Wort Chance sagt, sondern Schangse, dann gehört er zurück nach Bochum und hat hier nichts zu suchen!“ Konkret wehrte sich Weigel gegen die Beschimpfung und Verfolgung verdienter Schauspieler durch Peymann, dagegen, dass „der Burgtheaterdirektor negative Kritiken damit quittiert, dass er den Kritikern das Götzzitat schriftlich anschafft“. Danach ist Hans gleich zum Auto hinuntergelaufen, um zu hören, ob und was im Mittagsjournal darüber berichtet wurde. Strahlend – wie ein kleiner Giftzwerg – kam er zurück: Nicht nur in diesem Mittagsjournal, sondern jahrelang war Peymanns „Schangse“ ein geflügeltes Wort in den Medien, am Theater, in den Kabaretts. Niemand konnte ihn richtig einordnen: in seiner Liebe, seinem Zorn, seiner Zuneigung, seiner Ablehnung, seiner Zurückhaltung, seinen Beschimpfungen, seiner Großzügigkeit, seiner Härte, seinem Fleiß, seiner Schweigsamkeit, seinen offenen Armen, seiner Verschlossenheit, seinem Sarkasmus, seiner Hilfsbereitschaft, seinem Verstehen, seiner Wärme, seiner Kälte, seiner Unnachgiebigkeit, seiner Verlässlichkeit, seinem Wissen, seiner Kraft … Und das alles in zehnfacher Ausführung. Nicht normal verteilt, sondern von allem ein bisserl mehr. Und immer arbeitend. Nicht von früh bis abends, sondern von Anfang bis zur letzten Stunde.
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