Alex ist jetzt nicht der Typ, der Fehler zugibt. Also nicht gerne. Und wenn – dann macht es ihn wütend. Da hilft auch der Tee mit den knuddeligen Bärchen nichts mehr.
Also hat Alex beschlossen, dass Frederik und Harald keine Fehler waren. Wenn hier überhaupt einer einen Fehler gemacht hat, dann ja wohl die beiden Idioten in ihren verschissenen, gelben Jacken. Schließlich ist das hier ein Privatgrundstück!
Und in Amerika hätte Alex hier sogar Tretminen legen können. Um sich zu schützen. Und er hätte einen ganzen Schrank voller schwerer Feuerwaffen.
Das wär was! Amerika!
Ist aber leider Hessen. In Deutschland.
Also muss die Armbrust reichen.
Trotzdem fragte sich Alex eine ganze Weile, wie zum Teufel die beiden Deppen ausgerechnet bei ihm auf der Wiese gelandet waren?
Er grub an der Stelle, wo die beiden zuerst gestanden, dann später gelegen hatten und jetzt auch verscharrt sind.
Alex musste dazu die beiden Kadaver sogar extra nochmal rausholen. Um genau nachzusehen, wo denn nun der dämliche „Schatz“ versteckt ist. Wär ja zu und zu bekloppt, wenn da nun jede Woche irgendwelche Penner kämen und auf seinem privaten schönen Land rumlaufen wollten.
Aber da war kein Schatz.
Wie sich später herausstellte, war es vielmehr ein Tippfehler in der Datenbank im Internet. Ja, es gab wirklich eine Datenbank. Und die Koordinaten von Alex‘ Grund und Boden waren offensichtlich aus Versehen da reingeraten.
Ein Skandal!
Fand zumindest Alex. Und sicherlich wäre das sehr einfach zu lösen gewesen – eine Mail an die Website und auf den Fehler aufmerksam machen. Fertig.
Aber Alex scheute die Registrierung. Er mag es nicht, wenn man ihm dann Werbung schickt. Und schon gar nicht mag er die Idee, dass irgendwelche verblödeten Nerds dann wussten, wo er wohnt, wie er heißt und vielleicht auch noch welche Pornos er sich ansieht.
Alex ergreift eine andere – mindestens so wirkungsvolle Maßnahme: Er kauft sich eine neue, bessere Armbrust. Zur Sicherheit.
Eine mit patentiertem Kreuz-Recurve-Rollen-System. Da wird die Sehne an vier Stellen gleichzeitig gestrafft. Das erhöht Schlagkraft und Präzision.
„Das ist im Vergleich, als ob Sie einen Apfel mit einem Skalpell schneiden oder ihn an die Wand werfen.“, hat der der Verkäufer gesagt. Alex hat das nie so ganz verstanden. Aber er hat das Ding gekauft. Weil’s das Teuerste und Beste im Laden war. Man gönnt sich ja sonst nix. Und teuer muss gut sein. Ein Leitfaden, mit dem Alex immer gut gefahren ist bisher. Auch beim Wein. Da hat er keine Ahnung von – aber wenn man die teuerste Pulle nimmt, stimmt es schon.
Warum soll das nicht auch bei Waffen funktionieren?
Die Nachmittage sind lang. Wenn man eine neue Armbrust hat. Wenn nichts passiert. Wenn man am Fenster hockt und den kleinen Schwärmen von Fliegen zuschaut, die über dem Gras tanzen. Wenn längst nicht genug Krähen vorbeikommen, um in der Übung für bewegliche Ziele zu bleiben. Wenn das Teewasser dauernd kalt wird.
Alex fühlt sich jetzt zwar sicher. Aber Sicherheit ist manchmal auch sehr, sehr öde.
Einmal kam einer von diesen affigen Familienvans vorbei. Diese „Platz für 27 Kinder, drei Bollerwagen und die Oma“-Dinger aus der Werbung. Wo die Monitore fürs Kinderberuhigungsprogramm gleich fest in die Kopfstützen eingebaut sind. Und natürlich hybrid. Man liebt ja die Umwelt.
Echte Umweltliebe wäre es, weniger hässliche Kinder zu produzieren, meint Alex. Aber ihn fragt ja keiner.
Und eigentlich wollen die Leute nur nach dem Weg fragen. Weil ihnen ihr Navi abgekackt war – vermutlich, weil die doofen Sprösslinge die Batterie mit ihren Disneyfilmen leergenuckelt hatten.
Alex hat keine Wegbeschreibung für die Leute. Aber eine ganze Menge Bolzen. Stahlspitze mit Carbon-Korpus. Die hat er er gleich im 100er-Karton gekauft und muss die dann später nicht mühsam aus den Leichen herauspopeln. Wenn die erst einmal fest im Knochen stecken … das braucht man wirklich nicht.
Nicht bei der Hitze.
Die Einsamkeit ist nie schlimm gewesen. Alex ist einer von denen, die immer nur doof aus der Wäsche gucken. Wenn jemand so Sachen fragt, wie „Hast du wirklich nie woanders gelebt? Nie in der Stadt? Immer auf dem Dorf?“
Alex grinst dann nur. Und sagt „Warum sollte ich?“
Einsamkeit ist ja eigentlich nur Zeit mit einem zu verbringen, den man liebt. Und Alex ist mit sich glücklich. Er braucht nichts weiter. Andere Leute schon mal gar nicht.
Die ganzen Jahre war das so. Nur er. Sein Elternhaus. Und die Natur drum herum. Das pure Glück.
Na, schön … vielleicht gepaart mit ein wenig Paranoia hier und da. Aber im Großen und Ganzen: Glück.
Leider merkt Alex, dass das jetzt vorbei ist. Jetzt, wo er weiß, wie prickelnd und aufregend Besucher sein können. Jetzt vermisst er sie plötzlich.
Mit bloßem Rumsitzen und Warten lässt sich an dem Zustand nicht viel ändern. Aber vielleicht durch das Internet …
Alex überwindet seine Abscheu vor der Welt da draußen. Vor den anonymen Regierungsbehörden und Spinnern, die einen da digital belästigen könnten, und meldet sich an. Auf der Geocaching-Seite mit dem Tippfehler.
Alex schreibt noch ein, zwei Kommentare über „den tollen, geheimnisvollen Schatz“ auf seinem Acker. Und trägt noch drei, vier weitere Caches ein. Alle verstreut auf seinem Grundstück – und alle wunderbar von der Küche aus zu beobachten.
Urplötzlich ist das kleine Flecken Nirgendwo im Hessischen Outback eine Art Disneyland für Schatzsucher in Funktionsjacken. Theoretisch.
Praktisch wartet hier Alex mit seiner Armbrust.
Und die Ernte ist reich.
Im Laufe der nächsten zwei Monate kommen viele. Sieben Männer. Drei Frauen. Zwei Hunde und ein Kind.
Alles Volltreffer. Direkt zwischen die Augen. Bei dem ersten Hund musste Alex kurz seine moralischen Maßstäbe prüfen: Sind Tiere nicht grundsätzlich unschuldig? Versaut es einem das Karma? Darf man sowas?
Alex kam zu dem Schluss: „Ja, darf man. Was betreten die auch Privatgelände?“
Und so drückte Alex ab. Er schießt auf jeden.
Nur nicht auf Pinguine. Da bleibt Alex sich treu.
Nach einer Weile kommen aber leider keine neuen Eindringlinge mehr.
Alex fühlt, wie er nervös wird. Wie die Unruhe auch vom Bärchen-Tee nicht mehr zu bändigen ist. Ein Jäger ist nur ein Jäger, wenn er auch jagt.
Aber die Scheiß-Beute bleibt weg.
Die Erklärung ist dann ziemlich einfach. Als Alex sich mal wieder in die Geocaching-Seite einloggt, sind alle Daten seines Grundstücks gelöscht.
Laut Administrator-Kommentar, weil keine Feedbacks gekommen sind. Weil es sich offenbar um Karteileichen handelt oder um Einträge eines Trolls.
Wieder was gelernt über die seltsame Welt der Hobby-Schatzsucher. Wenn es da keine Bewertungen gibt, ist man raus. Schlimmer als bei Amazon.
Alex ist ratlos. Und weiter unzufrieden. Es fing gerade an, Spaß zu machen. Und jetzt? Dass man aufhören soll, wenn es am Schönsten ist … das hat sich ein Vollidiot ausgedacht.
Alex überlegt schon, dass er vielleicht unter einem anderen Usernamen neue Schätze posten sollte, als er das gelobte Land entdeckt. Und es ist keine 40km entfernt. Drei Caches! Auf einem Acker!
Alex steigt in seinen Wagen – packt genug Munition ein, Tarnkleidung und eine Thermoskanne Tee.
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