Ich bin Holger. Ich war der Mann von Doreen und der Vater von Marcel.
Und mit diesen Worten wirft er das Streichholz. Und jetzt weiß Melanie auch, woher der fiese Geruch kommt: Benzin!
Hitze hüllt sie ein. Die Schmerzen werden unerträglich.
Doch was fast noch schlimmer ist, ist der Lichtschein.
Sekunden bevor Melanie stirbt, erkennt sie an der Wand reihenweise Jacken und Mäntel. Und darunter Eimer mit verkohlten Knochen.
Sind es 10? Oder mehr?
Melanie begreift, dass sie nicht das erste Opfer von Holger ist – und sicher nicht das letzte sein wird.
Holger weiß das auch. Aber hinterher fühlt er sich immer ein wenig besser.
Und selbst wenn er diesmal wieder die Falsche erwischt hat – eines Tages lockt er mit seiner Falle die richtigen Täter an. Da ist Holger sich ganz sicher.
So sicher, wie das Feuer Gerechtigkeit schafft …
Auf Pinguine würde Alex nie schießen.
Auf keinen Fall!
Die sind niedlich. Sehr sogar, findet Alex. Und da macht er gerne eine Ausnahme. Wobei es eigentlich Quatsch ist, meint Alex. Pinguine wären zwar die perfekten Ziele. Langsam und watschelig und irre leicht zu treffen. Aber wann und wie sollte sich denn ein Pinguin auf sein Grundstück verirren? Mitten in der Pampa von Hessen? Dort, wo die Karten von TOM-TOM seit gefühlten 25 Jahren nicht aktualisiert wurden. Weil … warum? Was soll sich hier ändern? Hier werden keine neuen Straßen gebaut. Auch Vorfahrt oder Tempolimit ändern sich nicht. 100km/h auf der Landstraße und immer geradeaus. So findet man Alex auch. Wenn man will. Einfach der Landstraße folgen. Bis zum Tor. Aber reingehen sollte man lieber nicht. Sonst passiert das, was mit Frederik und Harald passiert ist.
Alex hatte mal im Internet etwas gelesen über solche Leute. „Moderne Schatzsucher“ nennen sie sich. Und sie haben kein Holzbein und keine Augenklappe und sie orientieren sich auch nicht nach einer Karte, wo irgendwo ein großes, schwarzes Kreuz eingezeichnet ist.
Sie haben GPS.
Und Funktionsjacken.
All das weiß Alex nur so am Rande. Es hat ihn nie interessiert. Bis zu dem Tag, wo er in seiner kleinen, gemütlichen Küche saß und sich gerade einen frischen Tee aufgegossen hatte. „Sanfter Ausklang“ stand auf dem Beutel und ein lächelndes Bärchen war abgebildet. Die Mischung soll beruhigen und entspannen. Das kann bei Alex nie schaden. Denn Alex ist ein Choleriker. So wie sein Vater. Bei dem haben auch immer alle gesagt, dass ihn eines Tages noch der Schlag treffen wird, wenn er sich immer so schnell aufregt. Wenn er diesen roten Kopf bekommen hat und die Adern seitlich am Hals dick wie Regenwürmer wurden.
„Du hast hohen Blutdruck! Das bringt dich noch um!“
Es war dann aber doch eine Bandsäge. Aber das ist eine Geschichte, über die Alex nicht gerne spricht. Weil es ihn daran erinnert, dass er diese unschöne Eigenschaft – oder sollte man Charakterzug sagen? – von seinem Vater geerbt hat. Sonst wäre die Sache mit der Bandsäge wohl auch gar nicht erst passiert. Aber Schwamm drüber.
Alex will nicht davon sprechen und wem sollte er es auch erzählen?
Er lebt hier alleine. Schon ziemlich lange. Seit Monika damals gegangen ist, kann er sich nicht mehr durchringen, es nochmal zu versuchen. Zweisamkeit abgehakt. Macht unterm Strich mehr Ärger als es einem bringt.
„Hau doch ab, du Schlampe!“ , hatte Alex damals noch – es war wieder ein Wutanfall – auf ihre Sachen geschrieben. Mit einem roten Edding.
„Hau doch ab, du Schlampe!“ auf jedes Kleid.
Auf jeden Pullover und jeden Schlüpfer.
Falls sie doch nochmal zurückkommt und ihr Zeug holen will.
Das hat Monika nie gemacht. Wahrscheinlich auch nie vorgehabt. Aber Alex wollte sichergehen: „Falls sie kommt … dann wird sie schon sehen.“
Wie gesagt: Sie kam nie mehr.
Alex hatte also seinen Tee mit dem niedlichen Bärchenbild geschlürft, als er die beiden Gestalten sah. In ihren knallgelben Funktions-Arschteuer-Atmungsaktiv-Jacken.
So im Nachhinein hätte ihm das schon einen Hinweis geben können.
Gelb. Knallgelb.
Welche Einbrecher ziehen sich schon so an? Und kommen tagsüber quer über den Rasen gelaufen?
Das ist wohl schon ungewöhnlich. Aber woher sollte Alex das wissen? Es waren – verdammt nochmal – seine ersten Einbrecher. Also mutmaßlichen Einbrecher.
Er war jedenfalls total aufgeregt. Und erschrocken. Nicht unbedingt in der Reihenfolge.
Alex stand am Fenster, hinter den Vorhängen, und spähte hinaus. Die beiden gelben Hansel staksten über seine Beete. Achteten darauf, dass nichts kaputt ging von dem Salat. Oder wollten sie nur keine Fußabdrücke hinterlassen?
Alex traute denen alles zu.
Auch, dass sie ihn umbringen wollten.
Nicht nur beklauen.
Auch abschlachten.
Wär ja einfach. Wer sollte denn hier seine Schreie hören? Der nächste Nachbar war über drei Kilometer weit weg. Und schwerhörig. Falls den nicht auch schon jemand abgeschlachtet hatte. Oder er an Altersschwäche gestorben war. Alex hatte seinen Nachbarn jedenfalls schon über ein Jahr nicht mehr gesehen.
Alex wusste in diesem Augenblick, dass es eine Frage von „die oder ich„“ war. Sowas weiß man einfach. Da muss es keine Anhaltspunkte geben oder dieses ganze Zeug, nach dem einen die Polizei oder der Richter später fragen würde.
Scheiß auf Beweggründe!
Alex wollte leben! Und zwar nicht, weil es besonders toll war. Sein Leben. Eher im Gegenteil. Aber das Leben – so dachte Alex sich später beim Bierchen – das Leben ist kostbar. Man hat nur eins. Vermutlich.
Scheiß auf Reinkarnation!
Harald und Frederick waren inzwischen hinten auf der Wiese. Irgendwann war das mal Monikas Kräutergarten gewesen. Aber jetzt nur noch kniehoher Dschungel.
Die Schatzsucher liefen herum. Starrten auf ihre kleinen GPS-Geräte und packten dann eine Schaufel aus.
Aha!
Falls Alex vorher noch irgendwelche Bedenken gehabt hatte – jetzt nicht mehr. Spätestens jetzt nicht mehr.
Schaufeln sind für viele Dinge gut. Fürs Grabschaufeln. Fürs Köpferunterhacken, wie bei den Zombieserien und sie sind in den richtigen Händen Waffen. Ziemlich gute Waffen. Mit den scharfen Kanten am Rand. Okay. Jetzt nicht so gute Waffen wie Alex‘ Armbrust. Aber ganz okay im Nahkampf.
Scheiß auf Nahkampf.
Harald merkte erst, das Frederik tot war, als er ihn was fragen wollte. Und in dem Moment, als er den Bolzen im Auge seines Freundes stecken sah, da erwischte es auch ihn. Alex musste kichern. Wenn es stimmte, dass sich die letzten Bilder vor dem Tod irgendwie auf der Netzhaut einbrennen, dann würde man bei Frederik und Harald nur noch etwas Kleines, Rundes, Spitzes erkennen, das sich mit über 100km/h näherte.
Alex kicherte weiter. Das war vermutlich das Adrenalin, das einen durchspült, wenn man gerade dem Tod von der Schippe gehüpft ist.
„Schippe. Hi, hi, hi.“
Alex konnte gar nicht mehr aufhören, zu kichern.
Später – es muss locker eine Woche später gewesen sein – da las Alex dann eine ganze Menge im Internet. Über „Geocaching“ und die sogenannten Schätze, die man da so sucht, anschaut und wieder verbuddelt. Über die nutzlosen Sachen, die da drin sind, in diesen kleinen Keksdosen. Und über die Freude, die so ein Hobby in der freien Natur einem machen kann.
Mal abgesehen von Harald und Frederick.
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