Der Bauplan der Burg sah eine spiralförmige Anlage wie bei der Stadt selbst vor. Innen bzw. oben lag der Haupthof mit dem größtem Bergfried-Komplex ( daitenshu mit mehreren Nebentürmen), der je in Japan geplant wurde. Der Plan war revolutionär. Der sechsstöckige Hauptturm sollte 44,3 Meter in der Höhe messen und auf einer 20 Meter hohen Basis aus Steinen ruhen. Diese Bergfriede waren die weithin sichtbaren Symbole der Macht ihrer Besitzer, vielleicht vergleichbar mit der Demonstration der göttlichen Macht durch hohe Kirchtürme im mittelalterlichen Europa. Gebaut wurde bis 1622 eine mehr den Friedenszeiten angepasste etwas kleinere Version des Hauptturms, die noch im 17. Jh. einem Feuer zum Opfer fiel, aber die Macht des Shōgun war auch so weithin sichtbar. Inzwischen überlegt man in Tōkyō, den hölzernen Hauptturm zur Olympiade 2020 originalgetreu wieder aufzubauen. Mehrere befestigte, größtenteils erhaltene Höfe, die jeweils die Größe einer eigenen Burganlage hatten, Palastbauten sowie Büros, Unterkünfte, Ställe und Magazine beherbergten, gruppierten sich um den eigentlichen Haupthof herum. Das Gelände war von 16 Kilometern Außenmauer umfasst und hatte 36 befestigte Tore an Kanälen und Gräben. Die Mehrzahl der bürgerlichen Bewohner von Edo konnte nicht hoffen, jemals in ihrem Leben in das Innere der Burg hineinzugelangen.
Erst 1640 wurde unter dem dritten Shōgun Iemitsu, 50 Jahre nach Beginn, der Bau der Burg Edo abgeschlossen. Die meisten Planer und Handwerker der ersten Generation waren gar nicht mehr am Leben. So war Tōdō Takatora 1630 nach weiteren Bauprojekten als wohl dotierter Fürst von Tsu gestorben. Katō Kiyomasa war als Fürst von Kumamoto sogar noch wohlhabender gewesen, aber wie ein Vorbote der kommenden friedlicheren Zeiten war ihm ein Tod auf dem Schlachtfeld nicht vergönnt. Er starb 1611 etwas überraschend nach einer kurzen Krankheit.
Der Ausbau von Edo und die Festigung der Macht – von Ieyasu bis zum vierten Shōgun Ietsuna (1641 – 1680)
Auf Tokugawa Ieyasu folgte schon 1605 sein Sohn Hidetada im Amt des Shōgun, der 1621 von seinem Sohn Iemitsu abgelöst wurde. Als Tokugawa Yoshinobu 1867 zum Rücktritt gezwungen wurde, war er als fünfzehnter Tokugawa-Shōgun zugleich der letzte Shōgun überhaupt.
Von Ieyasus Nachfolgern existieren zwar einige, aber oft nicht wirklich biographisch erhellende Zeugnisse. Sie lebten in der Burg Edo und standen an der Spitze aller Samurai und damit des ganzen Landes. Ihre Macht war im Prinzip so groß, dass europäische Besucher sie oft mit dem Kaiser in Kyōto verwechselten, dessen Bedeutung sich praktisch in seiner Funktion als Quelle der Legitimität erschöpfte. Buchstäblich zu Gesicht bekamen nur wenige einen Shōgun, weil fast alle Menschen sich tief vor ihm zu verneigen hatten und der Herrscher meistens hinter Vorhängen vor den Blicken der Besucher verborgen blieb. Die konfuzianisch geprägten Regeln des Tokugawa-Staats verboten es japanischen Autoren sich in irgendeiner Weise kritisch oder auch nur pointiert zu politischen Fragen oder gar der Person eines Shōgun zu äußern. Die offiziellen Chroniken, die Tokugawa jikki , enthalten natürlich entsprechend regierungsamtlich geprägtes Material. Glücklicherweise waren ausländische Besucher in ihren Briefen, Tagebüchern und gewichtigeren Werken freier in ihren Äußerungen. Nach Lage der Dinge kamen unter den Europäern seit der Mitte des 17. Jhs. nur Mitarbeiter der VOC, der Vereinigten Niederländischen Ostindien-Kompanie, im Rahmen regelmäßiger offizieller Besuchsreisen nach Edo, die der jeweilige Leiter der VOC-Faktorei von Nagasaki aus mit Begleitern durchführte.
Zu den gebildetsten dieser Männer gehörte Isaac Titsingh (1745 – 1812; 1779 – 1784 in Japan), der nicht nur zweimal zum Hof nach Edo reiste, sondern dank guter japanischer Kontakte viel einheimisches Material sammeln konnte, aus dem er ein kolossal anmutendes Standardwerk über das damals im Westen relativ unbekannte Japan machen wollte. Seine weitere Karriere und sein dandyhaftes Leben verhinderten dies, aber nach Titsinghs Tod erschien unter Mitwirkung des Berliner Professors Julius Heinrich Klaproth in Paris ein Destillat, das, zuletzt als Secret Memoirs of the Shōguns auf Englisch herausgegeben, interessante und einmalige biographische Angaben bis hin zum elften Shōgun Ienari enthält.
Auf die übermächtige, schließlich definierte Dynastiegründergestalt Tokugawa Ieyasu folgte, wie bereits erwähnt, sein dritter Sohn Hidetada (1605 – 1623). Hidetadas Regentschaft wurde vom dauernden Einfluss seines übermächtigen Vaters überschattet, dessen Vertrauen in den Sohn angeschlagen war, seit dieser zur Entscheidungsschlacht von Sekigahara 1600 zu spät erschienen war. Andererseits konnte Ieyasu als noch lebender Ex-Shōgun und sogar als Verstorbener zur Sicherung seiner Dynastie beitragen. In Hidetadas Regentschaft fällt der weitere konsequente Ausbau von Edo. Auch Hidetada (gestorben 1632) dankte vorzeitig ab, um seinem neunzehnjährigen Sohn Iemitsu (1623 – 1651) als Ōgosho (Ehemaliger Shōgun) den Rücken zu stärken. Dessen Regierungsjahre fallen zusammen mit der Beschränkung der europäischen Präsenz auf die Holländer in Nagasaki (Sakoku-Edikte) sowie einer drakonischen Christenverfolgung im ganzen Land. In Edo wurde ein kirishitan yashiki (etwa: Christen-Residenz) genanntes Gefängnis errichtet für insgesamt zehn Missionare, die trotz der Verbote noch in Japan waren oder neu kamen. Die Lebensverhältnisse in diesem Gefängnis müssen erträglich gewesen sein, Pater Giuseppe Chiara etwa lebte dort von 1646 bis 1685 und Giovanni Battista Sidotti (1668 – 1715) war dort Gesprächspartner des berühmten Gelehrten und Staatsmanns Arai Hakuseki (s. Der Historiker Arai Hakuseki, S. 82). 1792 wurde das Gefängnis aufgelöst, heute erinnern ein Straßenname und eine Gedenktafel in Kohinata im Bezirk Bunkyo-ku an die Einrichtung.
Weniger glimpflich kamen die japanischen Konvertiten von Edo davon. Schon zu Amtsantritt von Iemitsu wurden 50 Christen öffentlich verbrannt. Spitzel des Shōgunats forschten Samurai und Bürger aus, und alle Stadtbewohner mussten sich in die Gläubigenregister der buddhistischen Tempel eintragen. Blieb ein Verdacht, wurden sie gezwungen, auf Christus- oder Marienbilder, die meistens aus Metall waren und in ihrem abgetretenen Zustand heute noch zu den Sammlungen einiger japanischer Museen gehören, herumtrampeln. Diese Praxis nannte man fumie. Wer sich weigerte, wurde, oft unter der Aufsicht ehemaliger Christen, Verhören und äußerst grausamen Folterungen unterworfen. Zahlreiche Gläubige wurden hingerichtet.
Die Ausrottung des Christentums war so drastisch, dass der amerikanische Historiker George Elison 1973 das Wort »Endlösung« (final solution) als Überschrift für das sie betreffende Kapitel in seinem Buch Deus Destroyed wählte.
Der vierte Shōgun Ietsuna (1651 – 1680) folgte seinem Vater als Zehnjähriger auf den Thron. Obwohl insgesamt fünf Regenten die Staatsgeschicke lenkten, kam die Tokugawa-Dynastie in Bedrängnis. In Edo hatte sich ein Problem mit herrenlosen Samurai, den rōnin , entwickelt. Die häufigen Machtwechsel und Enteignungen in den Fürstenhäusern hatten jedes Mal Hunderte, wenn nicht Tausende von stellungslosen Samurai produziert, von denen viele in der Hauptstadt ihr Glück suchten, und dies keineswegs immer auf gewaltlose Art. Zu Beginn von Ietsunas Amtszeit verdichteten sich die Unruhen zum sog. Keian-Aufstand, auch als Tosa-Verschwörung bekannt. Eine Gruppe von Rōnin unter Führung von Marubashi Chūya und Yui Shosetsu plante, die Stadt Edo anzuzünden, um in der folgenden Konfusion in die Burg des Shōgun einzudringen und diesen zu ermorden. Neben der Not der Rōnin war auch eine alte Rachegeschichte, die einen ehemaligen Fürsten der Provinz Tosa betraf, mit im Spiel. Stümperhafte Ausführung und Verrat erlaubten den Machthabern, den Plan zu entdecken und die Beteiligten hinrichten zu lassen.
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