Peter Trawny - Der frühe Marx und die Revolution

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In einer im Sommersemester 2017 gehaltenen Vorlesung stellt Peter Trawny das frühe Denken von Karl Marx auf einführende Weise dar. Sie zeichnet den Weg nach, den Marxens Denken von seiner Beschäftigung mit Hegel und Feuerbach (1839–1841) über die »Pariser Manuskripte« (1844) bis hin zum Manifest der Kommunistischen Partei (1847) zurückgelegt hat. Wichtige Begriffe dieser Zeit wie der des Geldes, der Arbeit oder der Entfremdung werden eingehend erläutert. Ihre Ausarbeitung bei Marx wird historisch kontextualisiert. Eine die Vorlesung unausgesprochen begleitende Frage ist die, was Marxens sich in der »revolutionären Praxis« entfaltendes Denken den heute Lebenden noch zu sagen hat.

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In Berlin kam also Marx mit diesen Linkshegelianern in Kontakt und spielte unter ihnen bald eine zentrale Rolle. In dieser Zeit, um 1835/40, war Marx finanziell von seinem Elternhaus abhängig. Jenny, mit der er bereits verlobt war, wartete auf ihn, wobei sich das ständige Getrenntsein durchaus als problematisch erwies. 1838 starb auch noch der Vater, die Mutter blieb allein zurück, und sie verwaltete das Erbe, das Marx nun in regelmäßigen Abständen forderte. Sie starb sehr spät, so dass Marx’ Leben vom endlosen Streit um das Erbe geprägt war, das er brauchte, um zu überleben. Ein paar Jahrzehnte später sollte er die Abschaffung des Erbrechts fordern.

1841 wurde Marx in Jena in absentia zum Doktor der Philosophie promoviert. Das Thema war die Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie . Dieser Text gilt als verschollen. Es gibt aber noch eine unvollständige Abschrift von fremder Hand, die anstelle des Originals veröffentlicht wurde. An dieser Arbeit ist weniger wichtig und interessant, was Marx unmittelbar zu Demokrit und Epikur zu sagen hat. Wichtiger ist, dass er seine Auseinandersetzung mit diesen antiken Philosophen, die man ja gemeinhin als Atomisten bzw. Materialisten bezeichnet, an Hegel und seine Schule heranträgt. Zudem ist der Stil der überlieferten Partien alles andere als akademisch – dazu gleich. In der Tat spielen Demokrit und Epikur bei Hegel und überhaupt im Idealismus keine Rolle, eben weil sie sich als Materialisten erweisen. Demokrit und Epikur anstelle von Platon und Aristoteles? Das hatte durchaus eine programmatische Stoßrichtung.

Nach der Promotion machte sich Marx Hoffnung auf eine Professur. Doch hier nun hatte ihn das sym-biographische Verhältnis zwischen Denken und Leben schon eingeholt. Die Preußische Regierung verbot allen Angehörigen jener linkshegelianischen Diskussionsgruppen die akademische Karriere. Auf kritische Äußerungen über die wirklichen Verhältnisse im Staat reagierte dieser damit, den Kritikern ihre Subsistenz zu entziehen. Das war natürlich für Marx ein ungeheuerlicher Einschnitt. Solche Diskriminierung ist in der Geschichte der Philosophie kein Einzelfall. Auch sein Zeitgenosse Nietzsche ruinierte seine akademische Karriere einfach durch ein Buch, das den herrschenden Alt-Philologie-Bonzen nicht gefiel. Nach der Veröffentlichung der Geburt der Tragödie (1872) war Nietzsche darauf angewiesen, sich außerhalb der Universitäten durchzuschlagen. Allerdings wurde er von der Baseler Universität, an der er ja Professor gewesen war, mit einer Rente auf Lebenszeit unterstützt. Marx und Nietzsche, die wie wenige andere Denker das 20. Jahrhundert beschäftigt haben, waren beide akademische Versager. Man fragt sich, was das über die Akademie aussagt …

Da Marx der Zugang zu den Universitäten verwehrt wurde, entschied er sich 1841, zunächst Mitarbeiter und dann Redakteur der Rheinischen Zeitung in Köln zu werden. Diese Zeitung war von liberalen und demokratischen Bürgern gegründet worden. Marx entschied sich also für die Agora, für das Medium, die Öffentlichkeit. Was bedeutet das?

Ich möchte hier kurz etwas einschieben, was meines Erachtens stets eine wichtige Rolle in der Geschichte der Philosophie gespielt hat: Bei Platon sehen wir die Philosophie in zwei Urszenen. Einmal ist da Sokrates, der auf der Agora, dem Marktplatz, wo die Athener ihren Geschäften nachgingen, mit jungen Männern der gehobenen Schichten spricht. Er diskutiert öffentlich über öffentliche, politische Dinge. Er legt sich mit Politikern, Rednern, Sophisten und Dichtern an, um mit ihnen ihre lógoi zu prüfen. Haben sie etwas für die Polis zu sagen? Können sie die Polis, das Zusammenleben in ihr, verbessern? Oder sind sie doch eher nur Demagogen, die zuerst an sich denken?

Wir haben aber noch eine andere Urszene, vielleicht als Reaktion auf den Philosophen auf der Agora: Um 387 vor Christus kauft Platon im Nordwesten von Athen ein kleines Grundstück, eine Art Garten oder Park, dem Heros Akademos gewidmet, um dort die erste Philosophenschule zu eröffnen. In der »Akademie« konnten Philosophen abgeschieden von der Öffentlichkeit, zurückgezogen und unter sich, die philosophischen Probleme bedenken. Es war der Ort einer verschworenen Gemeinschaft mit teilweise religiösen Gebräuchen. Platon war der erste Leiter der Akademie, auf ihn folgte eine ganze Reihe weiterer. Erst im Jahre 529 nach Christus verbot der christliche Kaiser Justinian I. die Institution. Im 15. Jahrhundert knüpften Intellektuelle in Florenz wieder an das Modell an. Es war jedoch auch in der Zwischenzeit nicht gänzlich verloren gegangen, hatte – unter anderen Vorzeichen – in den Klöstern des Mittelalters fortgelebt. Daraus entstand dann die Universität.

Soviel zur exoterischen und esoterischen Dimension der Philosophie. Der Philosoph bzw. die Philosophie geschieht in der Öffentlichkeit, d.h. in den Medien (im Medium), und sie findet auch an den Universitäten statt. In den Medien präsentiert sie sich als eine Denkform, die der Allgemeinheit etwas zu sagen hat, in den Universitäten als eine Art von Forschung, die sich auch auf Fragen einlassen kann, die für die Allgemeinheit irrelevant sind (z. B. das Herausgeben von historisch-kritischen Ausgaben philosophischer Werke, die von der Öffentlichkeit nur mehr oder weniger wahrgenommen werden). Dass hier eine zuweilen krass vorgetragene Trennung besteht, zeigt ja der Umgang mit Marx und Nietzsche im 19. Jahrhundert. Denken Sie nicht, dass sich da besonders viel geändert hat.

Die Arbeit in der Rheinischen Zeitung war für Marx einerseits notwendig, er musste Geld verdienen, um mit Jenny eine Familie gründen zu können, andererseits entsprach der Schritt in die Öffentlichkeit aber auch seinem politischen Denken, dem Anspruch seines Denkens. Dazu gehörte auch Marx’ Stil. Bereits in der Dissertation pflegte Marx einen essayistischen Stil. Er war überhaupt jemand, der – wie Nietzsche – auf Stil einen Wert legte. Auch das prädestinierte ihn mehr zum Philosophen auf der Agora als zu einem in den Mauern einer Forschungsanstalt. Wenn Marx subjektiv darunter gelitten haben mag, von einer solchen Anstalt ausgeschlossen zu werden, so möchte ich behaupten, dass er mit dem, was er eigentlich wollte, bei einer Zeitung viel besser aufgehoben war. Hier konnte seine Wirkungsgeschichte beginnen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist das Verhältnis von Marx’ Biographie und Denken tatsächlich symbiotisch geworden. Als Journalist hatte er die Möglichkeit, seine kritischen Kommentare zu veröffentlichen, zugleich spürte er aber auch den Effekt dieser Kommentare in Form politischer Verfolgung. Im Zuge der Karlsbader Beschlüsse von 1819 herrschte in Preußen ein sehr rigides Zensur-System, besonders angewendet auf den Journalismus. Diese Zensur bekam die Rheinische Zeitung zu spüren. Im Jahre 1843 wurde sie verboten. Marx heiratete Jenny und emigrierte mit ihr nach Paris. Er sollte niemals mehr Preußisches Staatsgebiet betreten.

Ein Ereignis in Marxens Leben möchte ich hier aber noch nachtragen. Während seiner Arbeit bei der Rheinischen Zeitung lernte Marx einen gewissen Friedrich Engels (1820–1895) kennen. Engels stammte aus einer Barmer Industriellenfamilie. Später, vor allem nachdem er die Anteile seines Vaters an einer Textilfabrik in Manchester übernommen hatte, wurde er zu dem reichen Industriellen, der den notorisch in Geldnot steckenden Marx unter die Arme greifen konnte. Marx und Engels verstanden sich bei ihrer ersten Begegnung keineswegs besonders gut. Das gab sich aber mit der Zeit. Nach 1844 bildeten Marx und Engels nicht nur freundschaftlich, sondern auch politisch ein Doppelgestirn, das höchst effektiv zusammenarbeitete.

Die Schriften, die ich Ihnen vorstellen werde, entstanden alle ungefähr in der Zeit von 1843 bis 1850, darunter Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie , Zur Judenfrage , beide 1843, die Ökonomisch-philosophischen Manuskripte (1844), Thesen über Feuerbach bzw. die Deutsche Ideologie (1845) und gemeinsam mit Engels das Manifest der Kommunistischen Partei von 1848. Ich werde mich in dieser Vorlesung nicht mit Das Kapital (1867) beschäftigen, auch wenn ich einmal daraus zitieren werde, so wie auch aus der Kritik der politischen Ökonomie von 1858. Das Kapital ist ein Text, der nicht in eine Einführung in das Marx’sche Denken gehört. Er ist das ökonomische Hauptwerk seiner reifen Jahre.

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