Die zweite Teilaufgabe bestand in der eigentlichen Suche nach dem seelenlosen Drachen selbst. Hier sollten die Erfahrungen der beiden Dracheneltern eingesetzt werden. Lady Coralljah, selbst Mutter, hatte es treffend formuliert, als sie meinte, dass niemand einen größeren Willen haben könnte, den rettenden Drachen zu finden, als die Eltern der Drachenseele, die möglicherweise bald sterben würde, wenn ihre Suche nicht von Erfolg gekrönt werden würde.
Die dritte Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, alle Schriften, Urkunden und Aufzeichnungen genau nach jeglichen Informationen zu durchsuchen, die entweder auf den unbekannten Aufenthalt der Lorhdrachin Murwirtha, den des seelenlosen Drachen oder die verschwundene Formel hinweisen könnten. Da sich der Chronist Olstaff bereits seit einigen Tagen mit nichts anderem beschäftigte, als mit eben dieser Suche, sollte er es auch sein, der alle Informationen sammelte. Dabei sollte er von allen Mitgliedern des Rates tatkräftig unterstützt werden. So hoffte Okoriath, dass in Kürze jeder Bewohner des Drachenlandes, abgesehen von den Verbündeten Snordas’, zu der Suche beitragen würde.
Die so gewonnenen Informationen sollten dann beim Chronisten zusammenlaufen und dort von diesem, der kundigen Lady Coralljah und dem weitsichtigen Lorhdrachen selbst gesichtet werden.
Sobald sie davon überzeugt wären, eine halbwegs brauchbare Spur gefunden zu haben, sollte Okoriaths Tochter Sintarillh dann als Botin zu Merthurillh und Zaralljah fliegen, damit die beiden der Spur nachgehen konnten.
Doch es gab noch weitere, nicht minder wichtige Aufgaben, die nicht vernachlässigt werden durften. Neue „alte“ Verbündete wie die Zwerge des Hochlandes und die Menschen mussten gesucht, gefunden und davon überzeugt werden, dass auch sie sich auf den bevorstehenden Krieg vorbereiten mussten.
Auch bei dieser heiklen Aufgabe würden Knut von Tronte, Kronglogg und Trulljah über jegliche Hilfe dankbar sein, die ihnen zukommen würde. Das Zwergenvolk alleine war schon eine harte Nuss, die es zu knacken galt, aber die Menschen würden noch wesentlich schwieriger zu einer Vereinigung zu überreden, geschweige denn davon zu überzeugen sein. Sie lebten in ihrer eigenen Welt und wollten von Zwergen, Elfen und Drachen nichts wissen. Das beste Beispiel dafür war Adalberts Vater, der ehemalige Drachenjäger, gewesen.
Doch dieser war durch die Verkettung seines eigenen Sohnes mit diesen für ihn bis dato feindlich gesinnten Wesen leichter zu überzeugen gewesen, als es der König Ekleweif von Kronenberg sein würde, der in scheinbarer Ruhe und Sicherheit auf seiner Burg in der gleichnamigen Hauptstadt Kronenberg lebte. Noch wesentlich schwieriger würde es bei der einfachen Landbevölkerung werden.
Und nicht zuletzt war es auch sehr wichtig und notwendig, die Grenzen zum Ostland zu überwachen und zu sichern. Auch dabei waren wieder die Menschen das Hauptproblem, denn solange sie sich nicht mit dem Drachenrat und den Völkern der Elfen verbündeten, wäre die östliche Flanke, südlich des Kaltfließers, völlig ungeschützt.
Das wachsame Elfenvolk der Grenzgänger beobachtete bereits seit Generationen das Treiben des räuberischen Ostvolkes und wäre vom Elfenkönig Trillahturth sicherlich leicht zu einer Allianz zu überreden, zumal der Anführer der Ratswache Wortrillh selbst ein Elf der Grenzgänger und durch seine stetige Anwesenheit bei den Ratsversammlungen in alle Geschehnisse mit einbezogen worden war.
„Noch nie zuvor mussten wir unsere Kräfte so sehr zerreißen. Natürlich sehe auch ich die dringende Notwendigkeit, an mehreren Schauplätzen parallel zu wirken, aber wenn sich nur mehr von uns diesen Aufgaben widmen könnten, würde mich das deutlich beruhigen. Wie sehr sehne ich mir in diesem Moment meine Kameraden Rorgath und Fantigorth mit seinem Elfenreiter Timbarill an unsere Seite. Mit ihrer mächtigen Unterstützung und Wargos’ Wohlgefallen sähe die Sache schon ganz anders aus“, sprach Rostorrh allen aus der Seele.
Der Lorhdrache nutzte den Gedanken seines erfahrenen Kämpfers und bat alle Anwesenden, kurz der zu Wargos aufgestiegenen Drachen und aller verstorbenen Freunde zu gedenken, bevor er diese Ratsversammlung mit der Mahnung auflöste, dass jeder Einzelne sehr gewissenhaft seiner Aufgabe nachkommen möge.
Wortrillh und Rostorrh machten sich auf den Weg an die östlichen Ausläufer des Trasli Karillhs, um den Kontakt zu den Grenzgängern aufzubauen. Rostorrh wollte jedoch nicht darauf warten, bis der Elf endlich quer durch das Drachenland von West nach Ost gelaufen war und flog auf direktem Wege zum Zwergenhain, um dort mit seinen geplanten Patrouillenflügen zu beginnen.
„Es kann nicht schaden, wenn Snordas sieht, dass wir nicht tatenlos herumstehen und abwarten, was er mal wieder im Schilde führt. Auf diese Weise werden sich seine Kundschafter und diese ehrlosen Feuerköpfe nicht zu sehr unseren Grenzen nähern“, meinte er voller Tatendrang und Vorfreude auf das eine oder andere Gefecht. Seine Aufgabe als Taktiklehrer war zwar sehr ehrenvoll und er konnte durch seine reichen Erfahrungen viel vermitteln, doch in seinem tiefsten Inneren war er eben ein echter Haudegen, der keinem Streit aus dem Wege ging.
„Sieh dich bitte vor meinem Bruder Furtrillorrh vor. Er wurde zwar durch den Katapultspeer von Adalberts Vater schwer verletzt, aber ich habe kurz zuvor seine riesigen Kräfte zu spüren bekommen. Er ist viel mächtiger als je zuvor“, warnte Merthurillh seinen alten Freund.
„Willst du damit etwa sagen, dass ich es nicht mit diesem Missgriff der Natur, der selbst eure Mutter angegriffen hat, aufnehmen könnte?“, fragte Rostorrh verärgert.
„Das wollte ich so nicht sagen, aber dein Wohl liegt mir sehr am Herzen, mein alter Kamerad“, beruhigte ihn Merthurillh.
„Schon wieder dieser sentimentale Schmus. Lasst endlich unseren vielen Worten Taten folgen“, forderte der alte Kämpfer und drehte sich dem Ausgang zu, nachdem der Lorhdrache mit einem zustimmenden Nicken die Ratsrunde aufgelöst hatte.
Merthurillh und Zaralljah flogen nur wenige Augenblicke später in südöstlicher Richtung davon. Sie wollten vorerst nur bis zum Elfenwald fliegen und erst bei der hereinbrechenden Nacht in Richtung Riffkoop weiterreisen, um möglichst wenig Aufsehen zu erregen. In Riffkoop selbst waren sie dann mit dem Elfenkönig Erithjull und Maradill verabredet, die bereits auf dem Weg in die Piratenstadt sein mussten.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Zaralljah endlich die traurige Stille, die sie beide zu trennen schien, durchbrach.
„Ob wir unseren geliebten Sohn je wiedersehen werden? Ich kann mir ein Leben ohne ihn gar nicht vorstellen. Sollten wir es nicht schaffen, zumindest seine Seele zu retten, dann hat mein Leben keinen Sinn mehr“, stellte sie traurig fest.
„Wir werden ihn wieder zurückbekommen, wenngleich er sich durch die Übertragung seiner Seele auf einen anderen Drachen nicht nur äußerlich stark verändern wird. Trotzdem wird es unser Allturith sein. Ich verspreche dir, dass ich mein Leben dafür einsetzen werde, dass wir wieder mit unserem Sohn zusammen sein können. Nichts wird mich von dieser Mission abhalten können. Ich bringe uns unseren Jungen zurück, das schwöre ich dir.“
Mit diesen markigen Worten wollte Merthurillh nicht nur die Verlustängste von Zaralljah unterdrücken, sondern auch seine eigenen.
„Ich habe dich seit deinem Erwachen aus dem Heilschlaf noch gar nicht über Adalbert reden hören“, stellte Zaralljah etwas später fest, „haben sich deine Gefühle für ihn verändert?“
„Nein, das ist es nicht“, antwortete Merthurillh, „es fällt mir im Moment nur schwer, meine Gefühle ihm gegenüber zu ordnen. Du weißt, dass ich diesen Menschenknaben tief in mein Herz geschlossen habe. Ich bezeichne ihn nicht nur als Sohn, irgendwie ist er das auch geworden. Dabei wird er natürlich nie den Platz von Allturith einnehmen können, aber spätestens seit dem Moment, als ich erfuhr, dass er zum Seelenträger unseres Sohnes geworden ist, habe ich ihn als mein zweites Kind angenommen.“
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