Gerade bei diesem Krieg wurde das Prinizp des »anderen, der angefangen hat« durch die westliche Propaganda in breitem Umfang verwendet, und zwar in einer besonderen Form, die bereits Arthur Ponsonby aufgefallen war: Weil der Feind unsere Stärke verachtet und unterschätzt, können wir uns nicht länger abwartend verhalten, sondern sind gezwungen, ihm unsere Macht zu demonstrieren.
Dieses Argument war vorher schon mit aller Deutlichkeit gegen Saddam Hussein ins Feld geführt worden: 1990 hatte dieser die internationale Gemeinschaft herausgefordert (das Wort verlangt natürlich nach einer Analyse!) indem er in Kuweit einmarschierte (oder, je nach Sichtweise, Kuweit dem Irak zurückgab!). Als die französische Tageszeitung Le Soir am 2. August 2000 an den zehnten Jahrestag dieses Ereignisses erinnerte, das Anfang 1991 den ersten Golfkrieg ausgelöst hatte, war auf der Titelseite zu lesen: »Am 2. August 1990 forderte Saddam in Kuweit die Welt heraus «.
Auf die gleiche Art behauptete die westliche Propaganda 1999, Jugoslawien habe die NATO herausgefordert und sie dazu gezwungen, mit militärischer Gewalt zu reagieren. Am 18. Januar 1999 schrieb Le Soir : »Jugoslawien hat die NATO mit unglaublichem Zynismus herausgefordert: Wird die weltweit größte Armee ihre abwartende Haltung noch lange rechtfertigen können?« Und Le Monde titelte am 6. und 7. August 2000: »Die neuen Provokationen [Hervorhebung der Autorin] des Slobodan Milosevic«.
Die NATO behauptete damals, auf eine serbische Kampagne »ethnischer Säuberungen« gegen Kosovo-Albaner reagieren zu müssen. Rückblickend jedoch bestätigen internationale OSZE-Gutachten interne Dokumente der deutschen Bundesregierung: Als die NATO am 24. März Jugoslawien zu bombardieren begann, regaierte Belgrad mit einer systematischen Kampagne von Gewalt gegen die albanische Mehrheit im Kosovo. Vor diesem 24. März hatten sporadisch Ausschreitungen der Polizei gegen die Albaner im Kosovo stattgefunden, bei denen man jedoch keineswegs von »ethnischen Säuberungen« sprechen konnte.27 Um jedoch die Bevölkerungen im Westen von der Rechtmäßigkeit des militärischen Vorgehens gegen Jugoslawien zu überzeugen, brauchte man das Argument eines Gegenschlags.
Dem Feind also, festgemacht in der Person des feindlichen Staatsführers, sollte die gesamte Kriegsschuld angelastet werden.
Schuld am Krieg ist Saddam Hussein, »der verbrecherische Diktator […] der das Scheitern der Verhandlungen in Djeddah selbst herbeigeführt hat, […] indem er internationales Recht gebrochen und provoziert hat.«28 Schuld am Krieg ist Slobodan Milosevic, der überdies in seiner Kompromißlosigkeit die westlichen Friedensvorschläge in Rambouillet abgelehnt hat.29 Le Vif-L’Express titelte am 7. Mai 1999: »Dem Diktator von Belgrad kommt eine erdrückende Verantwortung zu für das Elend des serbischen und albanischen Volkes«.
Auch auf die jüngsten Konflikte nach dem 11. September 2001 läßt sich dieses Propagandaprinzip anwenden. Diese Kriege waren ebenfalls auf beiden Seiten von Kampagnen begleitet, in denen betont wurde, daß die jeweils andere Seite den Krieg bewußt herbeigeführt habe. So versicherte zum Beispiel Colin Powell während des zweiten Irakkrieges: »Wir Amerikaner sind nicht kriegslüstern. Einen Krieg zu führen, widerstrebt uns zutiefst.«30 Und Tony Blair argumentierte: »Wir haben diesen Krieg nicht gewollt. Doch durch seine Weigerung, die Produktion seiner Massenvernichtungswaffen aufzugeben, läßt uns Saddam keine andere Wahl als zu handeln.«31
Wenn ein Angriff wie eine »Antwort« aussehen soll, muß der Feind uns »provoziert« haben. Schon ein banaler Vorwand oder ein Ereignis ohne wirklichen Bezug zum Konflikt kann als Anlaß zur Kriegserklärung fungieren. Eine Woche vor der Bombardierung Afghanistans titelte Le Soir : »Die Taliban und Bin Laden fordern die Vereinigten Staaten heraus«32, was unweigerlich den Gedanken an »Erwiderung« aufkommen läßt, Erwiderung auf den Angriff gegen das World Trade Center, auch wenn unklar ist, inwiefern die »Befreiung« Kabuls (oder später Bagdads) weitere Attentate wie das in New York, Bali oder Mombasa verhindern sollte. Um einen militärischen »Gegenschlag« rechtfertigen zu können, wurde ein Terrorakt kurzerhand zum Kriegsakt erklärt. So gesehen kam der Angriff auf das WTC einer Kriegserklärung gleich. Und um den zweiten Irakkrieg rechtfertigen zu können, benutzte man als Vorwand die Nachricht– die sich später als falsch herausstellte –, daß der Irak in Niger angereichertes Uran bestellt habe. Man brauchte den »Beweis«, daß die nukleare Bedrohung von Seiten Iraks eine reale Gefahr darstellt.33 Der Aggressor konnte seinen Angriff somit als legitime Notwehr rechtfertigen.
Selbst der einseitige Angriff auf Basra im Süden Iraks im März 2003 wurde im britischen Radiosender Sky News mit dem Satz kommentiert: »Unsere Artillerie hat zum Gegenschlag ausgeholt«. [Hervorhebung der Autorin]. Unter Bezug auf militärische Quellen hatte Sky News dieser Ankündigung Informationen vorausgeschickt (die natürlich später dementiert werden mußten), in denen es hieß, daß »ein Volksaufstand ausgebrochen ist, der von der irakischen Artillerie niedergeschlagen wurde.«34 Die Koalitionstruppen hätten damit also einfach nur eine ganz legitime Revolte unterstützt. Darüber hinaus ist ein Angriff manchmal unvermeidlich, wenn es gilt, die drohende Verletzung des eigenen Territoriums zu verhindern.
Kriege brechen also aus, weil Milosevic, Bin Laden oder Saddam Hussein sie bewußt herbeigeführt und provoziert haben. Letzterer ist für die Medien inzwischen nur noch kurz und bündig »Saddam«, ein Name wie ein Slogan.
Daß der Regierungschef des feindlichen Lagers so stilisiert wird, ist kein Zufall. Denn das dritte von Ponsonby herausgearbeitete Prinzip unterstreicht die Notwendigkeit, den Feind zu personifizieren. Und das geht am besten mit dem Führer des feindlichen Lagers.
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