So schön der Flug von Prince Ruppert, mit Anschluss nach Montreal, über die Küstengebirge nach Vancouver auch war, mit der „Travel Lodge“ am Rene-Levesque-Boulevard im Zentrum der Großstadt und in der Nähe von China Town hatten wir einen absoluten Fehlgriff gelandet. Das Hotel liegt nicht nur in einer unschönen Ecke, sondern der „gesamte Laden“ schien so unprofessionell zu sein, wie das Personal unfreundlich. Es bedurfte jedenfalls einiger Energie, die uns zugedachte Bleibe gegen ein Zimmer zu tauschen, dass die Bezeichnung „Standard“ wenigstens in Ansätzen erfüllte. Damit war der Start in der Millionenmetropole zwar ein ärgerlicher, doch für den Rest unserer vier Tage konnten wir der werbenden Überschrift des Stadtplanes uneingeschränkt zustimmen: Beautiful, exciting, friendly…
Die zweitgrößte französischsprachige Stadt liegt, mit 4,3 Millionen Einwohnern in der Provinz Quebec auf einer Insel im mächtigen St.Lorenz Strom dort, wo der Ottawa River in ihn einmündet. Die Stadt ist, acht Flugstunden von Paris entfernt und dazwischen der Atlantik, die Schnittstelle der beiden Gründervölker. Kulturell und kulinarisch gesehen, befindet sich der markante Höhenzug Mount (Mont) Royal auf der Ile de Montreal aber direkt neben dem Mountmatre. Die Abbruchorgie überlebten nur ein paar alte Gebäude, die heute den Lebensraum mit Glaspalästen amerikanischen Ursprungs teilen. Die Weltausstellung 1967 und die Olympischen Spiele neun Jahre später waren Triebfedern des Fortschritts, dessen eigentlicher Start 350 Jahre früher erfolgte, als der Franzose Samuel de Champlain 1611 unterhalb der Lachine-Stromschnellen des St.Lorenz Stromes einen Handelsposten errichtete. Die ersten Wege in dieses Gebiet hatte allerdings sein Landsmann Jacques Cartier schon 1535 geebnet, als er diesen Fluss mit seinem Segler befuhr und auf ein Indianerdorf namens Hochelaga traf, das damals auf der Höhe der heutigen Millionenstadt lag, für die inzwischen auch Hochseeschiffe längst zum Alltag geworden sind. Bis zur Stadtgründung sollte aber ein weiteres halbes Menschenleben vergehen, denn erst 1642 legte Paul de Chomedey Sieur de Maisonneuve mit seinen Siedlern und Soldaten dort an, wo sich heute die Altstadt präsentiert, am Pointe-a-Calliere. Lange konnten sich die Franzosen ihrer „kanadischen Kolonie“ aber nicht erfreuen, denn beim „Frieden von Paris 1763“ fiel das drei Jahre früher eroberte Land an die Briten. 1825 und 1836 gingen ebenfalls in die Geschichte der jungen Stadt ein: Zunächst mit dem Bau des „Canal de Lachine“, der die gefährlichen Stromschnellen umging und den St.Lawrence River auf seinem Weg vom Lake Ontario zum Atlantischen Ozean nach Norden weiter schiffbar machte. Danach war es die Eisenbahn, die ihrerseits für weiteren Aufschwung in der kommenden Metropole sorgte.
Von historischer Bedeutung, und wiederbelebt durch Restauration und Tourismus, ist in Montreal nur das Altstadtviertel Vieux-Montreal mit dem Place Jacques-Cartier und seinem Nelson Denkmal unten am Fluss. Mit Kutschfahrten auf Kopfsteinpflaster, Pubs, Clubs, Restaurants, Straßencafés, Souvenirläden und Blumenbeeten ist es Anziehungspunkt wie der Vieux-Port mit dem 1922 erbauten Uhrturm, vor dessen oberstem Aussichtsdeck 192 Stufen liegen. Der Blick auf das Stadtviertel an der alten Hafenfront, die vom Meer etwa 1.600 Kilometer entfernt ist und als Freizeitzentrum eine neue Bedeutung erlangte, lohnt sich aber doch. Unten auf der Promenade fährt die Jugend wie in Kalifornien auf Rollerplates entlang der alten Dogs und Lagerschuppen. Schattige Gassen der Altstadt mit traditionell französischem Charme laden zur Besinnlichkeit ebenso ein, wie die Basilique Notre-Dame-de-Montreal. Diese Meisterleistung der Baukunst, die im Herzen von Vieux-Montreal auch äußerlich prachtvoll in den kanadischen Himmel ragt, Gläubige und Touristen mit elf Tonnen schwingendem Metall – der gewaltigsten Glocke Nordamerikas – zur Andacht in ihr Inneres ruft, bietet 3.500 Menschen Platz und hat vom Eingang bis zum Altar auf der gegenüberliegenden Seite ein Gefälle von vier Metern. Ein blauer, mit Sternen übersäter künstlicher Himmel bewacht einen herrlichen Altar mit Holzschnitzereien und ähnlich gearbeiteten Kanzeln und Emporen. Sakrale Skulpturen, elf bunte Glasfenster, Gemälde und Goldverzierungen setzen weitere Höhepunkte, und gemeinsam mit einer großartigen Akustik schaffen sie eine märchenhafte Pracht und vereinigen sich mit neugotischer Architektur zu einer faszinierenden Komposition. Diese Schönheit betört, die handwerkliche Kunst lässt staunen, und die Atmosphäre zwingt förmlich zur Ruhe, Einkehr und zum Nachdenken. Und wenn die Casavant-Orgel, mit 6.772 Pfeifen eine der größten des Kontinents, ertönt, fühlt man sich klein, winzig klein. Als das Gotteshaus 1829 von dem New Yorker Architekten James O’Donnel gebaut wurde, war es die größte Kirche Nordamerikas, während heute die der Basilika angeschlossene Chapelle du Sacre Coeur mit ihrem bronzenem Altar ganz besonders bei Hochzeitsgesellschaften Anklang findet. Unweit dieser Basilika, an der Nordostecke des 1657 angelegten Place Royal, erhebt sich mit dem Museum für Archäologie und Geschichte ein architektonisch extravaganter Bau, der über die Ursprünge der Stadt informiert, und dessen Turm einen sehr schöne Blick auf den Hafen gewährt.
Unsere nächsten Schritte führen zum Rathaus, dem Hotel de Ville, das mit seinem grünen Dach und Turm 1967 für Aufsehen sorgte, als Charles de Gaulle anlässlich der EXPO der versammelten Menge ein „freies Quebec“ zurief, und damit die Frage nach der Staatszugehörigkeit der Provinz anheizte. Weiter geht es zur Chapelle de Notre Dame, dem Marche Bousecours mit seiner silbernen Kuppel, und danach zum Chateau de Ramezey. Das unmittelbar neben dem bunten Obst- und Gemüsemarkt liegende älteste Gotteshaus der Stadt, die Kirche der Matrosen, ist nach ihrem Bau 1657 mehrfach abgebrannt, als Holz- und auch als Steinkonstruktion. Die heutige, von deren Decke von Seefahrern gespendete Schiffsmodelle herabhängen, die sie nach ihren Gebeten zurückließen, in denen sie um eine glückliche Heimkehr baten, stammt von 1885. Der „Marche“ bietet zwar immer noch Obst und Gemüse an, aber seine ganz große Geschäftigkeit verlor er schon 1964, als diese in das moderne Stadtzentrum abwanderte, und sich auch das „Chateau“, das für den 11.Governeur Montreals errichtet worden war, zum Museum gewandelt hatte. Vorbei am Vieux Palais de Justice von 1856 und, gleich nebenan und an der Ecke zum Boulevard St.Laurent, wo – am Place d‘Armes – Alt und Neu zusammentreffen und sich auch modernste Hochhäuser nach oben recken, lohnt noch ein Blick auf das Denkmal des Stadtgründers.
Das Chinesenviertel mit kleinen Läden, Ständen und Restaurants, das sich in der Nähe der Altstadt um die Rue de La Gouchetiere ausbreitet, ist eher wenig aufregend, sodass wir schon recht bald über den Boulevard Rene Levesque in das moderne Geschäftszentrum marschieren, dass sich völlig anders als die Altstadt zeigt. Es ist der Business Distrikt der Wolkenkratzer, der großen Hotels und Einkaufszentren mit dem unverwechselbarem Place Ville Marie, wo sich auf einem kreuzförmigen Grundriss ein verspiegelter Hochhauskomplex erhebt, für den der chinesisch-amerikanische Stararchitekt Ieoh Ming Pei verantwortlich zeichnete, der auch Hongkongs Bank of China und die Louvre-Pyramide in Paris entworfen hat. Hochmodern ist auch der Glaspalast, der mit einer öffentlichen Eislaufbahn im Voyeure empfängt, an der Rue de la Gouchetiere 1000 – seine Hausnummer – dessen Stockwerke beim Bau 1992 auf 50 begrenzt werden mussten, weil kein Bau in der Stadt den Mount Royal übertreffen darf.
Trotz aller Modernität wurde, in der Nähe des Eaton Centers, auch Altes wunderbar integriert. Hier steht, vor moderner Spiegelglasarchitektur, die kleine, gotisch inspirierte Christ Church Cathedral, der man aus Gewichtsgründen 1927 eine Turmspitze aus Aluminium spendierte, um das Problem des nachgebenden Bodens zu lösen. 1987 fand man eine intelligentere Idee und setzte die „Promenades de la Cathedral“ unter das Gotteshaus, womit die Kirche nun sicher auf dem Dach diese Shopping Mall steht. Spätestens hier, im modernen Geschäftszentrum, wird man auch daran erinnert, dass es im kanadischen Winter bitterkalt wird und stellt fest, dass das Labyrinth unterirdischer Shopping-Center zwischen den Plätzen Ville-Marie, Canada und Bonaventure auch aus dieser Sicht eine geniale Idee war. Dreißig Kilometer sollen es insgesamt sein, verflochten, quer verbindend, verwirrend und unendlich erscheinend, ihre Wege in der Tiefe suchend. Das „Ville Souterraine“ ist eine gewaltige Maulwurfsburg der modernen Konsumgesellschaft, und sie verbindet Kaufhäuser, Bürotürme, Metrostationen, Modeläden, Gemüsestände, Restaurants, Drogerien, Hotels oder Kinos miteinander. Der Sommer jedoch gehört der Lebensfreude, und die Großstadt zeigt sich von einer ganz anderen Seite, ziemlich französisch und leger, mit Segeln, Golf, Jazz- und Filmfestivals, Straßencafés, großen Sportveranstaltungen, Feuerwerk oder auch nur durch Ausgelassenheit. Im Sommer wird in vollen Zügen genossen, denn das Leben findet draußen statt, in zahllosen Parks oder dem bewaldeten Mount Royal, der majestätisch über der Stadt thront und einen grandiosen Rundblick über das Häusermeer und den St.Lorenz Strom gewährt. Eingeschlossen sind dann auch die „Bank von Montreal“ mit ihrem protzigem Portal und die „Banque Nationale de Paris“ mit der Menschengruppe „Illuminated Crowd“ vor dem Wolkenkratzer aus Glas und Beton, dessen Türme Macht verkünden. Die Blicke streichen dann auch über zahllose Museen für Geschichte, Kunst und Architektur, Kinos, Theater, das Studentenviertel „Quartier Latin“, die berühmten Einkaufstempel „Centre Eaton“ – eine fünfstöckige Galerie mit Restaurants, Geschäften und dem gleichnamigen Kaufhaus nebenan – und seinen Konkurrent La Baie, dessen Wurzeln zur berühmten Hudson‘s Bay Company zurückführen, und auf die McGill Universität. Ins Blickfeld rücken dabei auch Kirchen wie die „Cathedrale Marie-Reine-du Monde“, die sich an Roms Petersdom anlehnte und Sitz des Erzbischofs von Montreal ist, oder, am Place du Canada, die „Eglise anglicaine St.-George“ mit sehenswerten Holzarbeiten und Wandteppichen aus der Londoner Westminster Abbey.
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