Das Gesicht vom Baron Karl ist wettergegerbt gewesen. Er hat einen struppigen Vollbart gehabt. Von vorne, sagen die Wiener, die ihn noch erlebt haben, hat er ausgeschaut wie der Sokrates und von der Seite wie der Liebe Augustin. Ersparen Sie mir bitte die Frage, wie denn der Liebe Augustin, von dem keiner weiß, wie er ausgeschaut hat, ausgeschaut hat. Ich müsst’ ihnen antworten: Grad so hat der liebe Augustin ausgeschaut wie der Baron Karl von der Seite. Dafür gibt es den Wiener Schmäh als Zeugen, und wenn Sie dem nicht glauben, ist für Sie sowieso Hopfen und Malz verloren in Wien.
Apropos Schmäh: Der hat natürlich um den Baron Karl einen Marathonlauf hingelegt, so grennt ist er, der Schmäh, was halt damit zu tun gehabt hat, dass offenbar nur die Favoritner gewusst haben, wie man den Namen richtig ausspricht. Und die haben es wohl nicht weitergesagt. Einmal nämlich ist das Gerücht umgegangen, der Baron Karl sei ein heruntergesandelter 77Adeliger, dann wieder hat es geheißen, weil man überrascht gewesen ist über die Klugheit vom Baron Karl, er sei ein gefallener Lehrer. Sein Vater hat nämlich, so gut er es als Ziegelarbeiter vermocht hat, bei seinem Sohn auf Bildung geachtet. Deshalb hat der Baron Karl Harmonika gespielt und auch Geige. Gelernt hat er Möbeltischler, aber das Handwerk hat er nur kurz ausgeübt.
Der Baron Karl ist ein gutmütiger Mensch gewesen, nur im Winter hat er an kalten Tagen zu randalieren angefangen und so lang Bahöö 78gemacht, bis die Polizei ihn verhaftet und in den warmen Arrest gebracht hat. Er ist kein richtiger Bettler gewesen. Ein Bettler geht ja auf die Leute zu und bittet sie um eine Gabe. Der Baron Karl hat indessen nie gebettelt. Betteln ist unter seiner Würde gewesen. Er hat kleine Hilfsarbeiten für Wirte und Marktstandler auf dem Viktor-Adler-Markt erledigt, und sowieso haben ihn alle Favoritner gekannt. So haben ihn Wirte und Standler und Branntweiner 79, aber auch der eine oder andere, der gewusst hat um seine Lage, eingeladen.
Um die ruppigen Weisheiten vom Baron Karl ranken sich eine Menge Anekdoten, aber niemand weiß, was davon wahr ist und was erfunden, weil der Baron Karl halt wirklich eine lokale Größe gewesen ist. Einmal stänkert ihn so ein hochnaserter Kerl an: „Ich versteh nicht, wie Sie in diesem Dreck leben können. Sie sind ja wie ein Ungeziefer!“ Sagt der Baron Karl: „Sigst, i beitl mein Dreg jedn Dog in da Fruah aus. Mei Dreg is nämlich außn. Oaw Se, liawa Hea, in eanara sauwan Wäsch – se kennan ian Dreg ned ausbeidln. San se gaunz gwiss, dass se ka Ungeziefa san? 80”
In der NS-Zeit ist er in diversen Obdachlosenheimen untergebracht worden. Vom Stänkern hat er auch da nicht lassen wollen. Den Gauleiter Bürckel 81hat er „Bierleiter Gauckel“ genannt, und ein anderes Mal hat er gesagt: „Wenn einer dumm ist, geht er zum Militär, dort kann er Spieß werden, und wenn er noch dümmer ist, wird er Gauleiter.“
Am 13. Oktober 1948 ist der Baron Karl in der Favoritenstraße von einem LKW der Besatzungsmächte angefahren worden und dabei ums Leben gekommen. Auf dem Wiener Zentralfriedhof ist er beigesetzt worden. Auf seinem letzten Weg sollen ihn rund 10.000 Menschen begleitet haben.
Den Diogenes von Favoriten hat man den Baron Karl genannt. Wahr ist aber auch, dass die Wiener immer ein bisserl zur Verklärung neigen. Obdachlosigkeit und Alkoholismus machen aus einem Menschen in der Regel keinen Weisen, sondern einen armen Teufel. Der Baron Karl ist vor allem eine Bezirkskoryphäe gewesen, weil ihn die Leute zu einer gemacht haben.
Einmal hat der Baron Karl gesagt, sein einziger Wunsch an das Schicksal sei: „I mechat amoe gaach 82in an Himmö einifliang.“ Das ist ihm sicher geglückt.
Übrigens hat man dem Baron Karl die Ehre angedeihen lassen, eine Straße nach ihm zu benennen. Nach dem Obdachlosenguru des vierten Bezirks haben sie eine Wohnstraße im zehnten Bezirk benannt.
Apropos zur Verklärung neigen: Also der Waldheim – ich sage Ihnen …
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